Online-Glücksspiel – LG Erfurt plant Vorlage zum EuGH in mehreren Verfahren (LG Erfurt 8 O 392/23 und 8 O 1125/23)

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Nachdem sich mit dem Hinweisbeschluss des BGH I ZR 88/23 scheinbar die Weichen zu den wesentlichen Fragen bei Rückforderungen von Sportwetten-Verlusten und zumindest mittelbar auch zu wesentlichen Punkten bei Rückforderungen bei Casino-Verlusten endlich gestellt schienen, greift nun das LG Erfurt in mehreren Fällen in die Thematik grundlegend ein.

Das LG Erfurt beabsichtigt mehrere anhängige Verfahren auszusetzen und die relevanten Fragen dem EuGH vorzulegen. Hierzu erließ das LG Erfurt am 29.04.2024 für das Verfahren 8 O 1125/23 für Sportwetten und daneben am 02.05.2024 für das Verfahren 8 O 392/23 für online-Casinos jeweils einen ersten Beschluss, in welchem es zu seinem Vorhaben Stellung nimmt.

Die Ausführungen des LG Erfurt in den beiden Beschlüssen sind durchaus interessant, dabei dürften vor allem zwei Punkte herausstechen. Zum einen kritisiert das LG Erfurt relativ deutlich die bisherige Rechtsprechung einschließlich des BGH zum Umgang mit möglichen Vorlagefragen. Zum anderen zweifelt es an der Rechtmäßigkeit des bereits anhängigem Verfahren EuGH C-440/23.


Geplante Aussetzung und EuGH-Vorlage für online-Casinos, LG Erfurt 8 O 392/23

Trotz des bereits am EuGH C-440/23 anhängigen Verfahrens zur vergleichbaren Problematik möchte das LG Erfurt auch für online-Casinos ein (weiteres) Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH einleiten. Das LG Erfurt geht dabei nicht grundsätzlich davon aus, dass die deutschen Regelungen zum Totalverbot des alten GlüStV aus seiner Sicht in jedem Fall vollkommen europarechtswidrig sind oder aber, dass sie dies zumindest tendenziell wären. Das Gericht betont ausdrücklich, dass es sehr wohl Argumente gibt, welche die bisherige einheitliche deutsche Rechtsprechung zu einer europarechtskonformen Ausgestaltung des deutschen Glücksspielrechts bestärken. Allerdings räumt das Gericht auch ein, dass mit guter Begründung ebenso eine entgegenstehende Sichtweise zumindest denkbar sein könnte.

Hier führt das LG Erfurt 8 O 392/23 für online-Casinos aus:

„Es ist möglich, dass das Internetverbot mit dem Unionsrecht vereinbar ist und einer zivilrechtlichen Rückforderung keine unionsrechtlichen Hürden entgegenstehen (…..). Auf der anderen Seite ist es möglich, wie von der Beklagten vertreten, dass das deutsche Internetverbot unionsrechtswidrig ist und dies zugleich zivilrechtliche Rückforderungsansprüche ausschließt.“

Um hier eine verbindliche und zügige Lösung zu bekommen, sei nur eine Klärung über den EuGH möglich.


Ein anderer Aspekt des LG Erfurts, welcher für eine erneute Vorlage zum EuGH spricht, ist das bereits anhängige Vorlageverfahren EuGH C-440/23 selbst. Dort hatte ein maltesisches Gericht unter einer eher merkwürdigen Konstruktion den EuGH um Klärung der deutschen Rechtslage gebeten.  Dabei geht das LG Erfurt davon aus:

„Allerdings erscheint die Zulässigkeit der maltesischen Vorlage zweifelhaft. Zudem bringt das maltesische Gericht nur einen Teil der im vorliegenden Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblichen Fragen vor den Gerichtshof. (….). Weiter könnte sich das maltesische Ersuchen vor einer Entscheidung aus Luxemburg erledigen, so dass eine abschließende Klärung ausbliebe.“

Das bedeutet, dass das LG Erfurt zumindest einmal in Betracht zieht, dass das Vorlageverfahren aus Malta möglicherweise in einer Form konstruiert ist, dass es als Vorlagefrage an den EuGH gegebenenfalls nicht zulässig sein könnte. Im Ergebnis würde es dann keine klärende Entscheidung geben. Ebenso könnte das Vorlageverfahren aus Malta noch platzen, wenn es seitens des vorlegenden maltesischen Gerichts zurückgenommen wird. Dann würde wieder eine vollkommen unbestimmte Zeit Unklarheit herrschen, soweit kein weiteres Vorlageverfahren zum EuGH gelangt.

Zumindest diese Argumentation des LG Erfurt ist im Grunde nicht verkehrt, wenn Ziel eines Vorlageverfahrens zum EuGH die abschließende Klärung rechtlicher Grundsatzfragen ist.


Geplante Aussetzung und EuGH-Vorlage für online-Sportwetten, LG Erfurt  8 O 1125/23

In einem weiteren Verfahren gedenkt das LG Erfurt auch eine Vorlage zum EuGH hinsichtlich online-Sportwetten vorzunehmen. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, da hierzu erst vor wenigen Wochen der BGH im Verfahren I ZR 88/23 höchst selbst eine Vorlage zum EuGH ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Es ist dem LG Erfurt natürlich nicht verwehrt, wenn es mit einer stichhaltigen Begründung sich gegen den BGH stellt und eine eigene Vorlage zum EuGH initiiert. Und hier kritisiert das LG Erfurt recht deutlich den BGH und führt beispielsweise aus:

„Es erstaunt, dass in Deutschland mit teilweise hohem Aufwand dargelegt wird, warum man nicht vorlege oder vorlegen müsse, anstatt sich selbst an den Luxemburger Gerichtshof zu wenden.“

Das ist natürlich nicht komplett von der Hand zu weisen. Allerdings sollte – entgegen den Ausführungen des LG Erfurt – sehr wohl erst einmal geschaut werden, ob nicht mit den bisherigen Äußerungen des EuGH zur Thematik eine europarechtskonforme Lösung auf nationaler Ebene gefunden werden kann. Hier lässt das LG Erfurt jede Auseinandersetzung mit der bereits vorliegenden EuGH-Rechtsprechung vermissen. Allein der Verweis darauf, dass das Glücksspielrecht „hochkomplex“ sei, erscheint dann doch ein wenig dürftig, um eine Vorlage zum EuGH unter Außerachtlassen der bereits vorliegenden EuGH-Rechtsprechung zu begründen. Das wäre vor allem deshalb angezeigt, weil im Grunde die gesamte OLG-Rechtsprechung, welche neben dem BGH die Aussetzung und Vorlage zum EuGH verneint haben, sich mit der bislang vorliegenden EuGH-Rechtsprechung ausgiebig befasst haben. Dazu hätte das LG Erfurt durchaus ein wenig mehr Mut zeigen können, um seine geplante Aussetzung und EuGH-Vorlage plausibler erscheinen zu lassen.

Dennoch dürfte das LG Erfurt zumindest einen Punkt machen, wenn es ausführt:

„Es kann hier nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Bundesgerichtshof mittlerweile in zahlreichen Fällen zu Unrecht einen „acte clair“ oder einen „acte éclairé“ angenommen hat, was nur durch Vorlagen von Instanzgerichten korrigiert werden konnte (…). Besonders deutlich trat dies zum „Abgasskandal“ zu Tage.“

Ins „Zivildeutsch“ übersetzt: es gab genügend Fälle, in denen der BGH von einer klaren Rechtslage mit Blick auf europarechtliche Vorgaben ausgegangen ist, dann aber der EuGH aufgrund einer Vorlage eines untergeordneten Gerichts die Rechtsprechung des BGH komplett gekippt hat. Beispiele hierfür sind die Abgasfälle oder aber die Widerrufssachverhalte bei Kreditverträgen.


Was will das LG Erfurt überhaupt geklärt bekommen?

Im Kern geht es in beiden Vorlagesachverhalten um die Ausgestaltung der europäischen Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV. Diese ist im Grundsatz Kern der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dabei ist nun jedoch fraglich, inwieweit im Einzelnen die grundsätzlich geltende europäische Dienstleistungsfreiheit durch nationale Regelungen beschränkt werden darf. Sehr vereinfacht dargestellt möchte das LG Erfurt klären,

  • ob dem Totalverbot für online-Casinos Art. 56 AEUV entgegensteht,
  • wenn dem so ist, ob dann eine Klage vor dem nationalen Gericht zur Rückforderung der Verluste überhaupt möglich ist,
  • wenn dem so ist, welchen Bewertungsmaßstab die jeweiligen Gerichte anzuwenden haben, da ja eigentlich eine ordnungsgemäße (rechtswidrig) Lizenz verweigert wurde
  • ob und in welchem Umfang Einzahlungslimits beachtlich und vereinbar sind.

Für Sportwetten möchte das LG Erfurt sodann – ebenso sehr vereinfach – wissen,

  • ist mit Blick auf Art. 56 AEUV eine zivilrechtliche Sanktion wegen einer fehlenden Lizenz möglich?
  • ist eine zivilrechtliche Sanktion möglich, wenn zwar ein Verstoß gegen Art. 56 AEUV anzunehmen ist, das Angebot aber aus sonstigen Gründen nicht „lizenzfähig“ war? Stichwort Einzahlungslimit etc.
  • wie ist die Frage eines Rechtsmissbrauchs zu bewerten, wenn die Spiele genutzt worden sind, später dann aber die Verluste zurückgefordert werden?

Nochmals, das ist jetzt sehr vereinfacht dargestellt, die geplanten Vorlagefragen des Gerichts umschreiben diese Kernpunkte mit zahlreichen Unterpunkten. 


Ist die Vorlage zum EuGH durch das LG Erfurt bereits erfolgt?

Zwar hat das LG Erfurt die Vorlage an den EuGH noch nicht vorgenommen (Stand 03.05.2024). Allerdings ist davon auszugehen, dass dies passieren wird. Selbst dann, wenn in einem der Verfahren beispielsweise eine Vergleichslösung zwischen den Parteien vor einer Entscheidung des Gerichts getroffen wird oder aber wenn eine Klage zurückgenommen wird, so deutet das LG Erfurt an, dass dies nur 2 beispielhafte Fälle sind. Es teilt insoweit in beiden Beschlüssen mit:

„Es ist beabsichtigt, das vorliegende Verfahren nach Fristablauf auszusetzen, es ggf. mit weiteren anhängigen Online-Casino-Fällen zu verbinden und diese Fälle sodann dem Gerichtshof der Europäischen Union gebündelt zur Vorabentscheidung vorzulegen.“

Dass nun alle am LG Erfurt anhängigen Verfahren vor Ablauf der gesetzten Frist „erledigt werden“, dürfte nicht anzunehmen sein, sodass das Vorhaben des LG Erfurt spätestens Ende Mai/ Anfang Juni 2024 Realität werden dürfte.


Was bedeuten mögliche EuGH-Vorlagen für anhängige Verfahren?

Inwieweit eine tatsächliche Vorlage zum EuGH durch das LG Erfurt Auswirkung auf anhängige Verfahren anderer Gerichte hat, bleibt abzuwarten. Maßgeblich dürfte sein, welche Vorlagefragen im Detail am Ende gestellt werden. Zwar gilt daneben, dass jedenfalls erstinstanzlich ein hohes Interesse der Parteien an einer zügigen Prozessführung besteht. Allerdings dürfte sich die Frage einer Aussetzung dann spätestens in der Berufung stellen.

Klar ist aber in jedem Fall, dass für diejenigen Kläger, welche bereits ein Verfahren an einem Gericht haben, mit Blick auf den Zeitlauf einer EuGH-Vorlage sich keine Verjährungsprobleme ergeben. Mit Erhebung bzw. Zustellung der Klage sind die Verjährungsfristen gehemmt, egal wie lange eine Verfahrensaussetzung nun dauert.


Was bedeuten mögliche EuGH-Vorlagen für anhängige Verfahren am BGH?

Offen bleibt auch, wie der BGH selbst im Sportwetten-Verfahren I ZR 90/23 verfährt, sollte hier tatsächlich kein Vergleich zwischen den Parteien geschlossen werden und ein neuer Termin anzusetzen sein. Auszuschließen ist nicht, dass der BGH selbst das Verfahren mit Verweis auf die neuerliche Vorlage zum EuGH aussetzt. Zumindest erscheint das die naheliegendste Vorgehensweise, wenn der BGH eine einheitliche Linie zum bereits ausgesetzten Verfahren I ZR 53/23 fahren möchte. Das wäre jedenfalls auch insoweit sicherlich recht charmant für den BGH, da er selbst eine Vorlage zum EuGH in seinem Hinweisbeschluss vom 22.03.2024 ausgeschlossen hat. Durch eine Verfahrensaussetzung mit Verweis auf die Vorlage des LG Erfurt bräuchte der BGH sich daher nicht groß zu einem Gesinnungswandel erklären, denn letztlich wurde auch die Verfahrensaussetzung BGH I ZR 53/23 vom BGH mit nicht einem einzigen Satz begründet, sondern lediglich angeordnet.


Was bedeutet das für Spieler, welche noch keine Klage erhoben haben?

Hier sieht das Ganze schon etwas anders aus. Nur deshalb, weil die Rechtsprechung aufgrund einer EuGH-Vorlage „still steht“, wird die Verjährung als solches nicht gehemmt, blockiert oder ausgesetzt. Das ist nur dann der Fall, wenn die Klage bereits erhoben ist, siehe vorstehend. Damit wird es zugegebenermaßen für all jene Spieler, die sich noch nicht für eine Klage entschieden haben, nicht unbedingt einfacher. Ein Abwarten auf eine verbindliche Klärung seitens des EuGH bedeutet ein erhebliches Risiko, in die Verjährungsproblematik zu gelangen. Dieses Risiko ist vor allem mit Blick auf die derzeitige Diskussion zur Verjährung bei Rückforderungsprozessen auf keinen Fall zu unterschätzen. Das muss jedem Spieler also klar sein, wenn er sich für ein Abwarten entscheidet.


Vorläufiges Fazit:

Man kann sicherlich geteilter Meinung sein, ob die angekündigten Vorlageverfahren durch das LG Erfurt nun als Ärgernis oder dankenswert als wesentlicher Beitrag für die Klärung der Rechtslage zu werten sind. Klar dürfte aber bereits jetzt sein, dass die Vorlagefragen des LG Erfurt deutlich mehr Substanz haben als es im Verfahren EuGH C-440/23 des maltesischen Gerichts der Fall ist, zumal es dort auch eher um Zweitlotterien ging, nicht um online-Casinos oder Sportwetten. Überzeugend ist zumindest der Ansatz, wenn das LG Erfurt hinsichtlich etwaiger online-Casinos Bedenken an die Zulässigkeit der maltesischen Vorlage im bereits anhängigen Verfahren EuGH C-440/23 benennt oder aber das Risiko einer dortigen vorzeitigen Erledigung anmahnt. Denn in beiden Fällen wäre wohl niemandem geholfen, die zu klärenden Rechtsfragen wären wieder auf unbestimmte Zeit offen.

Offen ist, wie der EuGH im Falle einer Vorlage durch das LG Erfurt reagieren wird, dabei vor allem, wie schnell tatsächlich eine verbindliche Entscheidung getroffen wird. Man muss nicht wirklich Fachmann in europäischem Prozessrecht sein, um zu sehen, dass eine Entscheidung kaum innerhalb der nächsten Wochen und Monate vorliegen wird. Selbst dann nicht, wenn der EuGH für eine deutschen Vorlage und die bereits anhängige maltesischen Vorlage einen einheitlichen Zeitplan festsetzen würde.

Ebenso dürfte klar sein, dass nach einer Entscheidung des EuGH vermutlich ein Warten auf eine Stellungnahme des BGH in den dort noch anhängigen Fällen eintreten wird. Alles in allem wird daher die gesamte Problematik noch deutlich Zeit beanspruchen. Fragen zur maltesischen Vollstreckungssperre „Bill55“ oder aber Fragen der Verjährung sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt. Geduld ist folglich weiterhin oberstes Gebot.


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.


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