Verfall, Verjährung und Abgeltung von Ansprüchen auf Urlaub – Neue Vorlage an den EuGH

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Einführung

Der arbeitsrechtliche Anspruch auf Urlaub, in Deutschland geregelt im Bundesurlaubsgesetz (hiernach „BUrlG"), wird seit einigen Jahren maßgeblich durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (hiernach „EuGH“) zu Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und zu Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechte-Charta geprägt. Die arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung des EuGH hat dazu geführt, dass Arbeitnehmer Urlaubsansprüche häufig auch dann nicht verlieren, wenn diese über Jahre hinweg auflaufen. Bedeutung hat das insbesondere dann, wenn das Arbeitsverhältnis irgendwann endet und der Arbeitnehmer die Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs verlangt (§ 7 Abs. 4 BUrlG).

Mit Beschluss vom 29.09.2020 (Az.: 9 AZR 266/20 (A)) hat das Bundesarbeitsgericht (hiernach „BAG“) dem EuGH eine weitere Rechtsfrage zu diesem Themenkomplex vorgelegt, die dem EuGH Gelegenheit gibt, die Umstände, unter denen ein Arbeitnehmer seine Urlaubsansprüche verlieren kann, weiter zu präzisieren.

Ausgangspunkt: Wann verfallen Urlaubsansprüche?

§ 7 Abs. 3 Sätze 1-3 BUrlG regeln, unter welchen Umständen Ansprüche auf Urlaub verfallen:

„Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.“

Nach dieser Regelung können Urlaubstage, die im laufenden Kalenderjahr nicht genommen werden, nur unter bestimmten Umständen auf das nachfolgende Kalenderjahr übertragen werden und sind dann bis spätestens Ende März zu nehmen, andernfalls verfallen sie.

Der EuGH (Urt. v. 06.11.2018 - C-619/16 und 684/16) hat hierzu jedoch festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG), der den Arbeitnehmern bezahlten Erholungsurlaub im Umfang von mindestens 4 Wochen pro Jahr zusichert, dahingehend auszulegen ist, dass Urlaubsansprüche nicht automatisch entfallen, sondern nur, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch wahrzunehmen.

Daraufhin hat das BAG (Urt. v. 19.02.2019 - 9 AZR 541/15; siehe auch BAG, Urt. v. 25.06.2019 - 9 AZR 546/17) § 7 BUrlG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt, dass Urlaubsansprüche nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 BUrlG nur verfallen können, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor klar und rechtzeitig aufgefordert hatte, seinen Urlaub zu nehmen und dabei darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Kalenderjahres oder – bei Übertragung nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG – mit Ablauf des 31.03. des nächsten Kalenderjahres erlischt. Den Arbeitgeber treffe die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs der Arbeitnehmer. Grundsätzlich führe daher erst die Erfüllung der daraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers zu einem möglichen Erlöschen von Urlaubsansprüchen nach § 7 Abs. 3 BUrlG.

Das BAG weist in seiner Entscheidung aber auch darauf hin, dass der Arbeitgeber das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden kann, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums.

Wann verjähren Urlaubsansprüche?

Mit Beschluss vom 29.09.2020 (Az.: 9 AZR 266/20 (A)) hat das BAG den EuGH um Vorabentscheidung über eine weitere Frage in diesem Zusammenhang ersucht:

„Stehen Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Anwendung einer nationalen Regelung wie § 194 Abs. 1 i.V.m. § 195 BGB entgegen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, deren Lauf unter den in § 199 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen mit dem Schluss des Urlaubsjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben?“

Es geht jetzt also um die Frage, ob angesammelte Urlaubsansprüche aus vergangenen Kalenderjahren, die mangels hinreichender Aufforderung/Aufklärung durch den Arbeitgeber nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen sind (s.o.), der normalen Verjährung des BGB unterliegen. Nach diesen Regeln (§§ 194, 195, 199 BGB) würden Ansprüche auf Urlaub mit dem Ablauf von 3 Jahren nach dem Ende des betreffenden Urlaubsjahres verjähren. So wären demnach z.B. aufgelaufene Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 am 1.1.2021 verjährt.

In dem konkreten Fall des BAG hatte die Arbeitnehmerin nach dem Ende ihres Arbeitsverhältnisses (2017) im Jahr 2018 Klage erhoben und die Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach § 7 Abs. 4 BUrlG verlangt, die teilweise noch aus den Jahren 2011-2014 stammten. Diese Urlaubsansprüche waren nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen, weil der Arbeitgeber es über all die Jahre versäumt hatte, die Arbeitnehmerin aufzufordern, Ihren Urlaub zu nehmen, und auch keinen entsprechenden Hinweis auf den drohenden Verfall erteilt hatte (s.o.).

Es wird spannend sein, zu sehen, wie der EuGH sich zu dieser Frage verhalten wird. Wahrscheinlich sprechen die besseren Gründe für die Annahme, dass die Aufklärungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers, die der EuGH im Jahre 2018 aus Art. 7 Abs. 1 der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) abgeleitet hat (s.o.), nicht dadurch konterkariert werden dürfen, dass dann nach drei Jahren die allgemeine Regelverjährung des BGB eingreift. Dies entspricht der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (Urt. v. 02.02.2020 – 10 Sa 180/19), das als Berufungsinstanz über den Fall entschieden hatte.

Praxistipp

Arbeitnehmer sollten zweckmäßigerweise darauf achten, dass sie keine Urlaubsansprüche über mehr als 3 Jahre anhäufen. Nicht verfallener Urlaub aus dem Jahr 2017 sollte also, wenn möglich, noch 2020 genommen werden. Denn es ist nicht sicher, dass der EuGH tatsächlich zu dem Ergebnis kommen wird, dass die allgemeine 3-jährige Verjährungsfrist des BGB auf solche kumulierten Urlaubsansprüche aus vergangenen Jahren nicht anwendbar ist.

Arbeitgeber sollten darauf achten, Arbeitnehmer rechtzeitig – am Besten schon im Sommer – und in aller Klarheit anzuhalten, ihren Urlaub bis zum Ende des Jahres, spätestens aber bis zum März des Folgejahres (bei Übertragungsgründen nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG) zu nehmen, und dabei auf den drohenden Verfall des Urlaubs hinzuweisen. Ist dies versäumt worden, so kann die Aufforderung mit Hinweis auf den drohenden Verfall jederzeit für den gesamten kumulierten Urlaubsanspruch nachgeholt werden.

Ich berate Sie gerne zu allen arbeitsrechtlichen Aspekten von Urlaubsansprüchen, sei es aus Arbeitgeber- oder aus Arbeitnehmersicht. Bitte zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren.

 

Foto(s): RA Dr. Lutz Schmidt, LL.M.

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