Arbeitszeitbetrug und Videoüberwachung? Verstoß gegen Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen musste sich in seinem Urteil vom 06.07.2022 mit diesen Themenkomplexen auseinandersetzen. Die Entscheidung fiel in ihrer Gesamtheit äußerst arbeitnehmerfreundlich aus.

Keine Verwertung von Videoaufzeichnungen

Das Gericht lehnte hier eine Verwertbarkeit der innerhalb des Prozesses vorgelegten Videoaufzeichnungen ab. Denn hier sei ein „sich in Sicherheit wiegen dürfen“ des Arbeitnehmers zu bejahen. Der Arbeitgeber hatte sich vorliegend weiterhin dahingehend gebunden, als dass die Videoaufzeichnungen nicht länger als 96 Stunden gespeichert bzw. nicht über einen darüber hinausgehenden Zeitraum darauf zurückgegriffen werden durfte. Das Gericht stützt seine Begründung für ein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf die Videoaufzeichnungen darauf, dass eine längerfristige Nutzung (als die betriebsvereinbarungsgemäß angegebenen 96 Stunden) unverhältnismäßig sei.

Voraussetzungen für ein Beweisverwertungsverbot


Für ein Beweisverwertungsverbot komme es zum einen darauf an, ob ein Eingriff in das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung vorliege und ob dieser Eingriff zulässig sei. Ist dies der Fall, hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung der so gewonnenen Beweismittel selbst einen Grundrechtsverstoß darstellt. (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - BAGE 163, 239). Es komme ferner darauf an, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt werde. Dies wurde im hiesigen Urteil bejaht. Die Ermächtigungsgrundlage für den Arbeitgeber zur Nutzung und Verarbeitung von durch Videoüberwachung erlangten personenbezogenen Daten stellt dabei § 26 Abs.1 Satz 1 BDSG dar. Die Verarbeitung und Nutzung solcher rechtmäßig erhobenen Daten nach dieser Vorschrift müsse „erforderlich“ sein ( „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30)). Wenn ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht bestehe, wie hier, erfasse dieses nicht allein das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern auch die mittelbare Verwertung, wie der Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Beweismittels.

Die Aufzeichnungen der Videokameras des Arbeitgeber im hiesigen Fall dokumentieren nicht den Arbeitszeitbeginn oder das -ende. Durch sie wird lediglich der Moment des Betretens und Verlassens des Betriebsgeländes festgehalten wird. Die Aufzeichnungen dienen daher lediglich der Nachweisbarkeit der Anwesenheit des Arbeitnehmers auf dem Gelände, jedoch nicht am Arbeitsplatz selbst. Diese Art der Videoüberwachung sei daher zur Arbeitszeiterfassung ungeeignet.

Kontrolle der Arbeitszeit durch Videoüberwachung

Hinzukomme, dass eine mittels Videoüberwachung durchgeführte Kontrolle der geleisteten Arbeitszeiten auch nicht zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat erforderlich sei. Dafür stünden nach Ansicht des Gerichts mildere Mittel zur Verfügung (bspw. durch Vorgesetzte oder Stempelkarte).

Videoüberwachung bei Eingriff in das Persönlichkeitsrecht unzulässig


Die Videoüberwachung sei in diesem Fall zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung eines damit im Zusammenhang stehenden Arbeitszeitbetruges unzulässig, weil sie sachlich und zeitlich in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitsnehmers eingreife. Würde das Gericht das erlangte Videomaterial verwerten, läge hierin ein erneuter ungerechtfertigter Grundrechtseingriff.

Fazit:


Zusammenfassend: Willigt der Arbeitnehmer in die Einschränkung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein, ist der dadurch geschaffene Sicherheitsgedanke für den Arbeitgeber nahezu unumgänglich. Der Arbeitgeber ist an die mit dieser Vereinbarung einhergehenden Grenzen fest gebunden. Ein Interpretations- oder Ausweitungsspielraum stehen ihm nicht zu. Ferner müssen Videoaufzeichnungen zur Arbeitszeiterfassung auch den tatsächlichen Beginn der Arbeitszeit festhalten, um als Beweis für einen Arbeitszeitbetrug zulässig zu sein. Sind die Aufzeichnungen auf unzulässigem Wege (wie durch Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung) erlangt oder ausgewertet worden, unterliegen diese Materialien einem Verwertungsverbot. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers genießt in einem solchen Falle Vorrang vor dem Aufklärungsinteresse des Arbeitsgebers.

LAG Niedersachsen Urt. v. 6.7.2022 – 8 Sa 1148/20

Rechtsanwalt Stephan Kersten

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Foto(s): LINDEMANN Rechtsanwälte

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