Haftung bei grob fehlerhaftem Handeln eines Rettungssanitäters

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Sachverhalt:

Der beklagte Amtsträger ist Dienstherr von zwei Rettungsassistenten. Der Kläger rief die Feuerwehr wegen erheblicher Atembeschwerden und Schmerzen im Brustbereich. Daraufhin suchten die zwei Rettungsassistenten den Kläger in seiner Wohnung auf. Sie stellten die Pulsfrequenz, den Blutdruck im Bereich einer Hypertonie mittleren Grades und die Sauerstoffsättigung fest. Im Rettungsdienst-Einsatzbericht hielten sie fest, der Kläger habe über einen „Atem- und bewegungsabhängigen Intercostalschmerz“ geklagt. Sie verwiesen den Kläger an seinen Hausarzt. Wenige Stunden später begab sich der Kläger zu seinem Hausarzt, welcher die Einweisung in das Krankenhaus wegen des Verdachts auf einen Herzinfarkt veranlasste. Im Krankenhaus wurde ein Herzinfarkt diagnostiziert. Ferner erlitt der Kläger während einer Herzkatheteruntersuchung einen Schlaganfall, weshalb mehrere Stents gesetzt werden mussten. Der Kläger leidet nunmehr unter einer Herzinsuffizienz.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Rettungsassistenten, durch Anhörung des Klägers und nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Dagegen wendet sich der beklagte Amtsträger mit seiner Berufung.

Das Kammergericht Berlin wies die Berufung zurück. Es entschied, dass der Beklagte gemäß   § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG Schadensersatz und Schmerzensgeld leisten muss, weil die Rettungsassistenten fahrlässig die ihnen gegenüber dem Kläger obliegenden Amtspflichten verletzten.

Nachdem Berliner Rettungsdienstgesetz bestehen die primären Aufgaben des Rettungsdienstes in der so benannten Notrettung einerseits und dem davon abzugrenzenden Krankentransport andererseits. Eine Notrettung betreffe die Versorgung von Notfallpatienten, das heißt von Personen, die sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befinden und bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht umgehend geeignete medizinische Hilfe erhalten.

Der Kläger war als Notfallpatient anzusehen, auch aus der heutigen Sicht. Denn er hatte über Schmerzen im Brustbereich geklagt und diese Schmerzen als „atemabhängig“ beschrieben. Die Schilderung einer gewissen Atemnot also vorlag. Darüber hinaus habe sich der Blutdruck des Klägers im Bereich einer Hypertonie mittleren Grades befunden, was für eine mit dem Gefühl der Atemnot typischerweise einhergehende hohe körperliche und nervliche Belastung spreche. Deshalb sei es pflichtwidrig gewesen, dass die Rettungssanitäter von einer umgehenden ärztlichen Abklärung durch Verständigung des Notarztes absahen und die geschilderten Beschwerden im Rettungsdienst-Einsatzbogen als Intercostalschmerzen abtaten. Denn im Unterschied zu einem Notarzt seien Rettungsassistenten nicht befugt, Diagnosen wie „Intercostalschmerz“ zu stellen. Die primäre Aufgabe der Notfallrettung sei die Erstversorgung und die Beförderung. Rettungssanitäter seien lediglich Helfer eines Notarztes. Unabhängigkeit davon sei die Angabe „Intercostalschmerz“ ohne weitergehende Untersuchungen, insbesondere Durchführung eines EKG vorwerfbar falsch.

Der Sachverständige in der ersten Instanz hatte festgestellt, dass man an der Kompetenz eines Arztes zweifeln würde, wenn dieser in einer solchen Weise verfahren würde.

Durch diese Handlung wurde der Kläger verspätet in das Krankenhaus eingeliefert, darauf beruhe, dass es in Folge des Infarktes zu einem Absterben von Herzmuskelgewebe und damit verbunden zu einer Narbenbildung kam. Dadurch hatte sich letztendlich eine Herzinsuffizienz mit den Symptomen Belastungsluftnot und Leistungsschwäche herausgebildet. Infolge der verspäteten Einlieferung in das Krankenhaus habe beim Kläger keine Rekanalisierung innerhalb der Leitlinien gerechten 90 Minuten mehr erfolgen können.

Obwohl es nach den tragenden Entscheidungsgründen nicht mehr darauf ankommt, verweist der Senat hinsichtlich des genauen Zeitpunktes des Eintretens des Verschlusses darauf, dass zu Gunsten des Klägers eine Beweislastumkehr greife. Zwar seien die Grundsätze der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern beim Handeln von Rettungssanitätern grundsätzlich nicht anwendbar. Allerdings rechtfertige die zur Entscheidung anstehende Fallkonstellation eine Übertragung der im Rahmen der Arzthaftung entwickelten Grundsätze zu mindestens auf diesem Fall. Denn es könne nicht darauf ankommen, dass die Rettungssanitäter auf der Grundlage hoheitlichen Handelns und nicht auf der Grundlage eines Behandlungsvertrages tätig wurden. Der Fehlervorwurf gegenüber den Rettungssanitätern, den Kläger keiner notfallmedizinischen Versorgung zugeführt zu haben, beziehe sich auf ein „im eigentlichen Sinne medizinischen Vorgehens“. Dies komme einer „Behandlung“ im medizinischen Sinne gleich. Deshalb seien die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze zum groben Behandlungsfehler auch auf das hoheitliche Verhalten bzw. Handeln der Rettungssanitäter anzuwenden.

Hinweis: Fehler im Rettungsdiensteinsatz können nach Amtshaftungsgrundsätzen zu beurteilen sein. Dies hängt davon ab, ob die Wahrnehmung der rettungsdienstlichen Aufgaben der hoheitlichen Betätigungen zuzuordnen ist. Grundlage für die Beantwortung dieser Frage ist das jeweilige Landesrecht betreffend Rettungseinsätze. Bereits bei ärztlichen Fehlern im Zusammenhang mit hoheitlichem Handeln ist umstritten, ob die arzthaftungsrechtlich entwickelten Grundsätze einer Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern auf Fälle der Amtshaftung übertragen werden können. Für das Kammergericht ist die Sicht des Patienten maßgeblich. Aus dessen Sicht ist es irrelevant, ob der handelnde Arzt auf der Grundlage hoheitlichen Handelns oder eines Behandlungsvertrages tätig werde. Die Grundsätze der Haftung bei groben Behandlungsfehlern sind aber nicht immer auf die Konstellation anwendbar, dass Rettungssanitäter handeln, ohne einen Notarzt hinzuzuziehen. Das Kammergericht verweist zwar darauf, dass nach der Rechtsprechung auch Maßnahmen oder Unterlassungen von nicht ärztlichem Personal als grobe Behandlungsfehler aufgefasst werden können. Voraussetzung dafür sei aber, dass es sich um einen im eigentlichen Sinne „medizinisches Vorgehen“ handele. Das Tätigwerden der Rettungssanitäter im konkreten Fall habe eine „Behandlung“ im medizinischen Sinne gleichgestanden, weil diese eine unverständliche Diagnose gestellt und zudem von einer notärztlichen Abklärung abgesehen hätten.

Das OLG Köln beispielsweise verweist darauf, dass die Lehre vom groben Behandlungsfehler Ausnahmecharakter haben müsse, weil sie die allgemeinen Kausalitätsregeln durchbreche. Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr wegen grober Fehler seien nur vor dem Hintergrund zu rechtfertigen, dass es für den Patienten aufgrund eines fehlerhaften (ärztlichen) Vorgehens zu besonderen Beweisproblemen komme.

Kurz und gut: Nimmt ein Rettungssanitäter pflichtwidrig eine entsprechende Einordnung vor, wird er im Kompetenzbereich des Arztes tätig, was eine Anwendung der zur Arzthaftung entwickelten Beweislast regeln im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs gestattet.

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