Ärztlicher Behandlungsfehler verjährt nicht, wenn sich Patient*in nicht um Aufklärung bemüht

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Mit Urteil vom 26.05.2020 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Ansprüche aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler in der Regel nur dann verjähren, wenn dem/der Geschädigten nicht nur das fehlerhafte Behandlungsergebnis, sondern auch dessen Ursache bekannt ist. Für diese Kenntnis der Ursache müssen dem/der Geschädigten die Behandlungsunterlagen nicht nur vorliegen. Vielmehr müssen sich daraus konkrete Anhaltspunkte für die Ursache des Misserfolges ergeben, um eine ausreichende Kenntnis des/der Geschädigten zu begründen und die Verjährungsfrist in Gang zu setzen.

Grundsätzliche Verjährung:

Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr.1 und 2 BGB beträgt 3 Jahre. Diese beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der/die Kläger*in von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners/der Schuldnerin Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Verjährung bei Behandlungsfehlern:

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen eines Behandlungsfehlers entsteht grundsätzlich zu dem Zeitpunkt der fehlerhaften Behandlung. Fraglich ist jedoch, ab wann davon ausgegangen werden kann, dass der/die Geschädigte Kenntnis von dem ärztlichen Behandlungsfehler erlangt hat.

Kenntnis vom negativen Ausgang nicht ausreichend

Bei ärztlichen Behandlungsfehlern reicht für die Kenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr.1 und 2 BGB nicht schon die Kenntnis vom negativen Ausgang der ärztlichen Behandlung aus. Vielmehr muss Kenntnis derart bestehen, dass der/die Geschädigte auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache des Misserfolges schließen kann.

So muss der/die Geschädigte Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn/sie als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren oder von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist.

Zugerechnet wird auch das Wissen eines/einer Rechtsanwältin, welchen der/die Geschädigte mit der Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts, etwa der Frage eines ärztlichen Behandlungsfehlers beauftragt hat. Dieser/diese wird als „Wissensvertreter*in“ bezeichnet.

Keine ausreichende Kenntnis durch Überweisung der Krankenhausunterlagen

Die Kenntnis von oben genannten Tatsachen liegt auch nicht mit Überweisung der Krankenhausunterlagen vor.

Nach der Rechtsprechung des Senats zu der alten Fassung von § 852 BGB kann von einem/einer Patient*in oder seinem/seiner Wissensvertreter*in grundsätzlich nicht erwartet werden, dass er/sie Krankenhausunterlagen auf ärztliche Behandlungsfehler hin überprüft, es sei denn, es handelt sich um die Feststellung der Namen der behandelnden Ärzte oder andere Feststellungen, die sich ohne weiteres treffen lassen.

So sind Hinweise auf Behandlungsfehler in ärztlichen Behandlungsunterlagen meist nur unter Heranziehung besonderen medizinischen Fachwissens zu entnehmen, was dem Laien oder dessen Wissensvertreter*in im Normalfall nicht möglich ist. Das Unterlassen der Überprüfung der Krankenhausunterlagen stellt folglich kein grob fahrlässiges Unterlassen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB dar und setzt somit auch noch keine Frist in Gang.

Verjährung nur bei tatsächlicher Kenntnis 

Erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme von Tatsachen, die dem/der Geschädigten den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des/der Anspruchsgegner*in und auch die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen lassen, wird die Verjährungsfrist in Gang gesetzt.

Fazit:

Die Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr.1 und 2 BGB beginnt erst zu laufen, wenn der/die Geschädigte Kenntnis der Umstände hat, welche den Anspruch begründen. Im Falle eines ärztlichen Behandlungsfehlers ist dies der Fall, wenn der/die Geschädigte Kenntnis von solchen Tatsachen erlangt, aus denen sich für ihn/sie als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren oder von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist.

Werden im Falle eines ärztlichen Behandlungsfehlers keine Krankenhausunterlagen angefordert oder solche nicht detailliert untersucht, sodass die Ursache für den negativen Ausgang der ärztlichen Behandlung unklar ist, hat die Verjährungsfrist in der Regel noch nicht zu laufen begonnen. Die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem ärztlichen Behandlungsfehler ist somit noch möglich.

MSH Rechtsanwälte sind Experten auf dem Gebiet des Medizinrechts und verfügen über entsprechende praktische und theoretische Fachkenntnisse, sodass wir Sie in Fällen von ärztlichen Behandlungsfehlern gerne beraten. MSH Rechtsanwälte ist bundesweit tätig und auf allen modernen Kommunikationswegen für Sie erreichbar.



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