Corona und die Bauzeitverlängerung - ein Überblick für Bauherren

  • 6 Minuten Lesezeit

I. Ausgangspunkt

Das Corona-Virus hat zur erheblichen Beeinträchtigungen des gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft geführt. Auch die Baubranche ist von der Corona-Pandemie betroffen, wenn auch weniger hart und einschneidend als andere Branchen.

In der anwaltlichen Praxis fragen daher immer mehr Bauherren, wer haftet, wenn Handwerksunternehmen oder Bauunternehmer nicht mehr weiterarbeiten (können) und das Bauvorhaben stillsteht.

Die Gründe für den Baustillstand sind vielfältig. Beispielsweise können Materiallieferungen ausbleiben oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind von Quarantäne-Maßnahmen betroffen. Es kommt in der Folge zu Störungen im Bauablauf. Nicht selten versuchen aber auch Bauunternehmer die Corona-Krise für sich (auszu-)nutzen, um die Ausführungsfrist verlängern zu können.

II. Rechtliche Aspekte

1. Wer haftet für Bauzeitverzögerungen?

Vorangestellt wird darauf hingewiesen, dass es in diesem Beitrag ausschließlich um den BGB-Werkvertrag, BGB-Bauvertrag oder Verbraucherbauvertrag geht, da die im BGB befindlichen Regelungen zumeist gelten. Die VOB/B bleibt im Beitrag außer Betrachtung.

Grundsätzlich ist der Unternehmer für die Materialbeschaffung verantwortlich, sofern nicht ausnahmsweise bauseitige Beschaffung vereinbart ist. Sinngemäß selbiges gilt für den Ausfall von Personal: Verzögerungen durch verlangsamte Materiallieferung oder fehlendes Personal fallen demnach grundsätzlich in die Risikosphäre des Auftragnehmers/Bauunternehmers, denn er schuldet einen Erfolg zur vertraglich vereinbarten Zeit. 

a) schuldhafte Verzögerung

Für Verzögerungen im Hinblick auf den vereinbarten Fertigstellungstermin haftet grundsätzlich das Bauunternehmen. Erforderlich für eine Inanspruchnahme des Unternehmers ist allerdings weiterhin dessen Verschulden für die Verzögerung.

Das Gesetz geht hierbei von einer Vermutung für dessen Verschulden aus, wobei es an ihm liegt, dieses zu widerlegen.

In der Zeit einer Pandemie ist es allerdings nicht ohne Weiteres möglich, dem Auftragnehmer eine schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen. Von der Rechtsprechung musste dies – zum Glück – noch nicht entschieden werden, denn man blieb bis zur Stunde von Pandemien und den damit einhergehenden Folgen (u. a. Kontaktverboten) verschont. Es gibt also keine gerichtlichen Entscheidungen, an denen man sich derzeit orientieren könnte.

Bauverträge sehen zudem häufig einen Haftungsausschluss des Bauunternehmers für höhere Gewalt vor. In diesem Fall verlängern sich die Fertigstellungsfristen, ohne dass der Erwerber hierfür eine Kompensation erhalten kann.

b) Corona als höhere Gewalt

An einer schuldhaften Pflichtverletzung des Auftragnehmers fehlt es, wenn ein Fall der „höheren Gewalt“ vorliegt. Der Begriff der höheren Gewalt ist zwar nicht abschließend definiert. Zur Annahme von höherer Gewalt verlangt die Rechtsprechung aber, dass ein "von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis" (BGH, Urt. v. 16.05.2017, Az. X ZR 142/15) vorliegen muss.

Diese Voraussetzung dürfte, insbesondere angesichts der Einstufung des Coronavirus durch die Weltgesundheitsorganisation als Pandemie und der weitreichenden Maßnahmen von Bundesregierung, Ländern und Kommunen zur Einschränkung der Verbreitung des Virus als erfüllt anzusehen sein. Kaum jemand wird in Frage stellen können oder wollen, dass das Coronavirus als höhere Gewalt einzustufen ist.

c) Kann sich jeder Bauunternehmer auf die Corona-Krise als höhere Gewalt berufen?

Die Antwort muss eindeutig „nein“ heißen. Die Einstufung der Corona-Krise als höhere Gewalt führt nicht automatisch dazu, dass automatisch eine Verlängerung der Ausführungsfristen eintritt und sich jeder Bauunternehmer darauf berufen kann. Die Corona-Krise stellt also nicht per se höhere Gewalt dar, auf die sich jeder Auftragnehmer berufen kann.

Die Verlängerung der Ausführungsfrist durch höhrere Gewalt ist - nur - dann anzunehmen, wenn der Betrieb des Auftragnehmers oder die Baustelle aufgrund behördlicher Anordnung stillgelegt wird, z.B. weil sämtliche Arbeitskräfte aufgrund von Infektionen oder Verdachten unter Quarantäne gestellt werden. Dies ist aktuell selten der Fall. Der Unternehmer muss also konkret vortragen und beweisen, dass er aufgrund etwa behördlich angeordneter Quarantäne oder Kontaktverboten gehindert ist, pünktlich seine Leistung zu erbringen. Die Lieferschwierigkeiten müssten auf das Virus zurückzuführen sein und eben nicht auf ein Versäumnis (etwa eine zu späte Bestellung) des Auftragnehmers. 

d) rechtswirksame Behinderungsanzeige des Bauunternehmers

Will der Bauunternehmer bzw. Handwerker in Bezug auf die Verzögerung und die damit verbundene Verlängerung der Ausführungsfrist die Haftung minimieren oder gar ausschließen, so bedarf es einer wirksamen Behinderungsanzeige. Diese muss den von der Rechtsprechung aufgestellten Inhalt haben und sollte schriftlich erfolgen. Der Zugang sollte nachweisbar sein.

In der Behinderungsanzeige muss der Handwerker bzw. Bauunternehmer konkret aufzeigen, aus welchen Gründen eine bestimmte Leistung zur Zeit nicht erbracht bzw. bestimmte Arbeiter nicht arbeiten können. Eine Behinderungsanzeige, die nur einen pauschalen Hinweis auf die Corona-Pandemie enthält, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten.

Der Auftragnehmer sollte vielmehr konkret darlegen, welche Behinderungen am konkreten Bauvorhaben vorliegen. Welche Materialien können nicht geliefert werden? Welches Personal fällt aus welchen Gründen aus (akute Erkrankung, Quarantäne)? Sind zumutbare Maßnahmen, Ersatzpersonal zu beschaffen, unternommen worden und erfolglos geblieben? Kann abgeschätzt werden, wie lang die Behinderung andauern wird und welche Kosten sich hieraus ergeben? 

Nur wenn die Behinderungsanziege den erforderlichen Inhalt enthält und auf den konkreten Einzelfall bezogen ist, kann eine Haftungsfreistellung erfolgen. Anderenfalls trägt der Auftragnehmer die Haftung für Verzögerungen trotz - objektivem - Vorliegen höherer Gewalt.

2. Darf der Auftraggeber den Vertrag kündigen (und ggf. Mehrkosten für die Fertigstellung beanspruchen)?

Auch unabhängig von einer Pandemie oder Leistungsverzögerungen darf der Auftraggeber gem. § 648 Satz 1 BGB einen Bauvertrag jederzeit ohne Angabe von Gründen kündigen (sog. freie Kündigung). Bei einer freien Kündigung setzt sich der kündigende Auftraggeber jedoch weitreichenden Vergütungsansprüchen aus. Denn der Unternehmer darf die - volle - vereinbarte Vergütung verlangen, er muss sich nur ersparte Aufwendungen anrechnen lassen.

Interessant(er) ist vielmehr, ob die verzögerte Fertigstellung aufgrund der Corona-Pandemie den Auftraggeber zur Kündigung aus wichtigem Grund (§ 648 a BGB) berechtigt und nach der Kündigung etwaige Mehrkosten gegenüber dem ursprünglichen Auftragnehmer durchgesetzt werden können, wenn die Fertigstellung durch einen leistungsbereiten Drittunternehmer teurer ausfällt? 

Hier gilt oben Ausgeführtes sinngemäß: Es ist zu prüfen, ob der Anlass für die außerordentliche Kündigung dem Auftragnehmer vorwerfbar ist. Sollten die Leistungsverzögerungen pandemie-ursächlich sein, so dürfte kein wichtiger Grund vorliegen. In der Folge dürfte ein Auftragnehmer auch nicht für eine teurere Fertigstellung haften müssen.

III. Rat an Bauherren und Empfehlungen für das weitere Vorgehen

Abschließend noch ein paar hilfreiche Ratschläge für betroffene Bauherren, deren Auftragnehmer sich auf höhere Gewalt berufen und die Ausführungsfrist verlängern wollen:

Selbstverständlich sollten Auftraggeber nicht unkritisch die Corona-Krise als Entschuldigung für Bauzeitverzögerungen hinnehmen. Da im Streitfall Beweisschwierigkeiten zu erwarten sind, sollte man sich die Gründe für Verzögerungen daher konkret benennen und belegen lassen. Ist der Auftragnehmer bereits im Rückstand mit seiner Verpflichtung das Bauwerk herzustellen, so sollte der Bauherr eine angemessene – unter Benennung eines konkreten Datums – Frist zur Fertigstellung des Werks setzen. 

Unabhängig davon muss der Bauherr darauf achten, dass er selbst seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommt. 

Bei einer Kündigung ist ebenfalls Vorsicht walten zu lassen. Insbesondere ist zu bedenken, dass sehr wahrscheinlich auch andere Unternehmer derzeit in der Leistungserbringung gehemmt sein dürften. Insgesamt gilt, dass in der Kommunikation mit dem Auftragnehmer – oder in diesem Zusammenhang besser: Vertragspartner – mit Augenmaß agiert wird. 

Aufgrund der rechtlichen Komplexität und erforderlichen Einzelfallbetrachtung sollte in diesem Bereich zwingend rechtzeitig anwaltlicher Rat in Anspruch genommen werden. 

Bleiben Sie gesund!

Ihr Rechtsanwalt Markus Erler

Für den Inhalt wird keine Haftung übernommen. Alle Rechte bleiben vorbehalten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Markus Erler

Beiträge zum Thema