Glioblastom - auch das Sozialgericht Freiburg überwindet Sperrwirkung des zurückgenommenen Zulassungsantrags für Avastin

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Am 31.01.2024 beantragte der Antragsteller die Kostenübernahme für die geplante Therapiefortführung mit Irinotecan/Bevacizumab im sog. Off-Label-Use. Zur Begründung wurde angeführt, dass eine standardisierte Zweitlinien-Therapie für Glioblastome nicht existiere. Im Falle des Antragstellers sei zusätzlich problematisch die rezidivierende Thrombopenie/Knochenmarkschädigung nach der initialen Radio-chemotherapie, so dass bereits die adjuvanten Temozolomid-Zyklen teilweise nur zeitverzögert und deutlich dosisreduziert hätten verabreicht werden können. Aus diesem Grund sei auch die zugelassene orale Therapie mit Lomustin (CCNU) nicht sinnvoll möglich (erhöhtes Risiko für erneute, langanhaltende Zytopenien, schlechte Steuerbarkeit, Dosisfindung bei 6-wöchentlicher Einnahme).

Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14.02.2024 ab. Am 04.03.2024 legte der Antragsteller gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2024 Widerspruch ein, den der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben vom 19.03.2024 und vom 29.03.2024 weiter begründete. Es lägen neuere Studien vor, welche belegen würden, dass eine erhebliche Aussicht bestehe, dass ein verlängertes progressionsfreies Überleben mit einer Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden könne. Darüber hinaus legte der Antragsteller eine Auskunft des Herstellers von Avastin vor zur Studienlage. Danach könne kein Zweifel daran bestehen, dass eine nicht nur ganz fernliegende Aussicht auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Es bestehe ein Versorgungsanspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V.


Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Versorgung mit sechs Gaben Avastin/Irinotecan hat das SG Freiburg mit Beschluss vom 18.4.2024 stattgeben. 

Aus den Entscheidungsgründen:

Dagegen ist es für das Gericht offen, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf die Versorgung mit Avastin/Irinotecan aus § 2 Abs. 1a SGB V zusteht. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemeinanerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebotes nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Im Hinblick auf die nach § 2 Abs. 1a SGB V zu fordernde Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf hat das BSG im Hinblick auf das hier begehrte Arzneimittel Avastin entschieden, dass von einer Sperrwirkung des für Avastin gescheiterten Zulassungsverfahren auszugehen ist.

Diese Sperrwirkung kann überwunden werden, wenn im Nachgang zu der negativen arzneimittelrechtlichen Bewertung neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation – ggf.im Rahmen einer vereinfachten oder bedingten Zulassung – zugelassen werden kann. Diese Erkenntnisse müssen sich aber aus nach dem Abschluss des Zulassungsverfahrens veröffentlichten Studien ergeben, eine nur abweichende Bewertung der schon vorliegenden Unterlagen reicht nicht aus.

Ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten Herstellerauskunft vom 19.03.2024 liegen zwei neuere Phase-III-Studien vor zu Avastin in Kombination mit anderen Wirkstoffen. Ebenfalls liegt die bereits im November 2017 veröffentlichte Studie in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase-III zu Bevacizumab in der Rezidivtherapie eines Glioblastoms vor (Wick et al, NEJM 2017, 377:1954-63), auf deren Basis die Food and Drug Administration (FDA) die Vollzulassung für die Behandlung desrezidivierenden Glioblastoms erteilte.

Die im hiesigen Verfahren benannten Studien zum Einsatz von Bevacizumab beim (neu diagnostizierten) Glioblastom geben Hinweise in diese Richtung, dass durch den Einsatz des Medikaments das progressionsfreie Überleben (PFS – progression-free survival) unter Umständen signifikant verlängert werden kann. Ob diese (neue) Studienlage ausreicht, um die Annahme begründen zu können, dass das Arzneimittel Avastin für die betreffende Indikation – ggf. im Rahmen einer vereinfachten oder bedingten Zulassung – zugelassen werden können, und ob sie damit rechtfertigt, dass von der vom BSG angenommenen Sperrwirkung ausnahmsweise abgewichen werden kann, musste das Gericht – wie bereits erwähnt – offenlassen, da dies erst in einem Hauptsacheverfahren entschieden werden kann.

Fazit

Nach Einschaltung des Unterzeichners, Vertiefung des Widerspruchs und Androhung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung konnte binnen exakt eines Monats eine einstweilige Anordnung erwirkt werden. Eine im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens eingeholte Auskunft des Herstellers Roche Pharma AG zur Studienlage, mehrere Gutachten aus anderen, noch laufenden Hauptsacheverfahren sowie eine vor dem SG Duisburg am 19.12.2023 erwirkte einstweilige Anordnung haben das Gericht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V zu bejahen sind. Dabei hat das Gericht das Interesse des Antragstellers an der Kostenübernahme der Arzneimittel zur Behandlung bzw. Vermeidung einer Verschlechterung schwerer gewertet als das Interesse der Antragsgegnerin, vorläufig nicht mit teuren Leistungen für nicht anerkannte Behandlungsmethoden in Anspruch genommen zu werden.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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