GmbH-Gesellschafterversammlung – Aktuelle BGH-Rechtsprechung (Teil II)

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Die Gesellschafterversammlung ist das maßgebliche Organ der gesellschaftsinternen Willensbildung in sämtlichen wesentlichen Fragen (§§ 45 ff. GmbHG ); diese und nicht etwa die Geschäftsführung (§§ 35 ff. GmbHG ) ist im Grundsatz allzuständig.

Der GmbH-Geschäftsführer unterliegt den Weisungen der Gesellschafterversammlung.

In der Praxis ist jedoch häufig festzustellen, dass die Gesellschafter von ihren umfassenden Rechten kaum Gebrauch machen, sondern ein recht weites Feld ohne Weiteres der Geschäftsführung überlassen. 

Fortsetzung von Teil I

VI. Teilnahmerecht eines Vertreters oder Beistands

Gesetzlich nicht geregelt und häufig Gegenstand einer streitigen Diskussion im Gesellschafterkreis ist, ob ein Gesellschafter sich von einem Berater begleiten und ob ein an der persönlichen Teilnahme an der Gesellschafterversammlung verhinderter Gesellschafter sich gegebenenfalls durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen darf. 

Teilweise wird gewünscht, die Teilnahme eines Bevollmächtigten und überhaupt jedes Dritten – durch Satzungsregelung oder durch Gesellschafterbeschluss – auszuschließen, um so zu verhindern, dass gesellschaftsfremde Personen Einblick in die inneren Angelegenheiten der Gesellschaft und in strategische Entscheidungen erhalten.

Neben den Gesellschaftern haben andere Personen grundsätzlich kein Recht, an einer Gesellschafterversammlung teilzunehmen. 

Für einen Fremdgeschäftsführer gilt nichts anderes. Er hat insbesondere kein Teilnahmerecht kraft seines Amtes. 

Anstelle eines Gesellschafters haben gerichtlich bestellte Amtswalter, wie Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder der Insolvenzverwalter sowie gesetzliche Vertreter ein Recht zur Teilnahme.

Demgegenüber ist ein rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter selbst dann nicht zwingend zuzulassen, wenn er die auf ihn lautende Vollmacht in Textform nachgewiesen hat (§ 47 Abs. 3 GmbHG ). Entsprechendes gilt für Sachverständige oder Berater.

Es ist jedoch anerkannt, dass es zum unentziehbaren Kernbereich der Mitgliedschaft gehört, sich – im Falle der persönlichen Verhinderung – in einer Gesellschafterversammlung vertreten zu lassen. Eine Vertretung ist dann insbesondere durch einen Berufsgeheimnisträger zulässig, also durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Eine Einschränkung dieses Rechts ist nur bei objektiv nachweisbaren besonderen Umständen oder wichtigen, in der Person des Vertreters liegenden Gründen möglich. 

Gesellschaftsvertragliche Klauseln, die eine Vertretung des Gesellschafters ausnahmslos oder unter weitergehenden Bedingungen verbieten, sind regelmäßig unwirksam.

In Einzelfällen kann die gegenseitige Treuepflicht der Gesellschafter es darüber hinaus gebieten, die Zuziehung eines sachverständigen Beraters als Beistand für einen anwesenden Gesellschafter zu gestatten. Von einer solchen Pflicht ist u. a. dann auszugehen, wenn schwerwiegende Entscheidungen zu treffen sind, wie z. B. der Ausschluss eines Gesellschafters, und wenn der betroffene Gesellschafter selbst nicht über die für eine sachgerechte Diskussion und Entscheidung notwendige Sachkunde verfügt. 

VII. Ausübung des Stimmrechts – Stimmverbote

Während das Recht auf Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen im Prinzip nicht entziehbar ist, wird das Stimmrecht durch § 47 Abs. 4 GmbHG in denjenigen Fällen versagt, in denen ein Gesellschafter durch die Beschlussfassung – als Geschäftsführer – entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll. 

Entsprechendes gilt für eine Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung eines Rechtsstreits gegen ihn betrifft. Die Vorschrift dient dem Schutz des Gesellschaftsvermögens gegenüber einzelnen Gesellschaftern zugunsten der Gesamtheit der Gesellschafter, nicht aber zugunsten der Gesellschaftsgläubiger.

Das Stimmverbot greift deshalb mangels einer Interessenkollision auch nicht bei einer Einmann-GmbH.

Ferner ist es von rein akademischer Bedeutung, wenn die einem etwaigen Verbot zuwider abgegebenen Stimmen für das Abstimmungsergebnis nicht von Belang sind. Erhält also der Beschluss selbst – ohne die einem Stimmverbot zuwider abgegebenen Stimmen – die erforderliche Mehrheit, bleibt ein möglicher Verstoß folgenlos. Hängt das Beschlussergebnis hingegen davon ab, ob die ggf. verbotswidrig abgegebenen Stimmen mitgezählt werden, ist ein Gesellschafterstreit über die Stimmberechtigung vorprogrammiert. 

Ein Gesellschafter hat insbesondere kein Stimmrecht, wenn über die Einziehung seines Geschäftsanteils aus wichtigem Grund oder über seine Abberufung als Geschäftsführer und die Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund ihm gegenüber abgestimmt wird. 

Trotz einer eigenen Betroffenheit sind vom Stimmverbot sogenannte körperschaftliche Sozialakte ausgenommen, bei denen der Gesellschafter sein Mitgliedschaftsrecht ausübt, es sei denn, er würde, weil es gerade um die Billigung oder Missbilligung seines Verhaltens als Gesellschafter oder Geschäftsführer geht, dadurch zum Richter in eigener Sache.

Ein Gesellschafter darf deshalb trotz ggf. eigener Interessen bei Beschlüssen hinsichtlich folgender Gegenstände mitstimmen: 

  • Bestellung von Organen (Geschäftsführung, Beirat) und Abberufung des Geschäftsführers sowie ordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags,
  • Regelungen der Anstellungsbedingungen von Geschäftsführern,
  • Genehmigung einer Übertragung vinkulierter Geschäftsanteile,
  • Maßnahmen der freiwilligen Kaduzierung,
  • Nachfolge eines ausscheidenden Gesellschafters,
  • Einforderung der ausstehenden Stammeinlagen,
  • Abwahl eines satzungsmäßig bestellten Versammlungsleiters.

Bei diesen innergesellschaftlichen Angelegenheiten stehen die Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter nach der höchstrichterlichen Bewertung im Vordergrund, Eigeninteressen treten demgegenüber typischerweise zurück. 

VIII. Stimmverbot bei Abberufung und Kündigung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund

Ob das Stimmverbot eingreift, ist häufig ausschlaggebend für die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen bei der Abberufung oder der Kündigung des Anstellungsvertrags eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund.

Bei der gerichtlichen Überprüfung solcher Beschlüsse ist nach dem Urteil des BGH vom 04.04.2017, Az. II ZR 77/16 allein darauf abzustellen, ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag. 

Das Vorliegen des wichtigen Grundes hat im Rechtsstreit derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft. 

An diesem objektiven Maßstab bei der gerichtlichen Überprüfung ändert sich auch nichts, wenn man es für die Auslösung eines vom Versammlungsleiter zu beachtenden Stimmverbots des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers in der Gesellschafterversammlung i.S.v. § 47 Abs. 4 GmbHG ausreichen lässt, dass seine Abberufung oder die Kündigung seines Anstellungsvertrags zur Abstimmung steht und ein wichtiger Grund behauptet wird. 

Das Gericht darf nicht schon allein aufgrund der schlüssigen Behauptung von einem Abberufungs- oder Kündigungsgrund ausgehen, über dessen Vorliegen die Parteien gerade streiten. 

Eine Anfechtungsklage des Mehrheitsgesellschafters kann in Folge dessen nicht schon allein deswegen abgewiesen werden, weil die Stimme des Betroffenen vermeintlich zu Recht nicht gezählt wurde. Denn dann würde das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht geklärt und dem Betroffenen der Rechtsschutz verweigert.

IX. Stimmpflicht aufgrund Treuepflicht

Die Wirksamkeit eines Beschlusses kann schließlich deswegen streitig werden, weil die erforderliche Mehrheit von einer bestimmten Stimmabgabe abhängt, die von dem Stimmrechtsinhaber nach Ansicht der übrigen Gesellschafter treuwidrig verweigert wird. 

Aufgrund der Treuepflicht muss nach der Entscheidung des BGH vom 12.04.2016, Az. II ZR 275/14 nur dann in einem bestimmten Sinn abgestimmt werden, wenn 

  • erstens entweder die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte, welche die Gesellschafter geschaffen haben, oder zur Vermeidung erheblicher Verluste, welche die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter erleiden könnten, objektiv unabweisbar erforderlich ist

und 

  • zweitens die verlangte Stimmabgabe den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist. 

Notwendige Voraussetzung für die Annahme einer Zustimmungspflicht ist mithin, dass der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft gerade die zur Abstimmung gestellte Maßnahme zwingend gebieten und der Gesellschafter seine Zustimmung ohne vertretbaren Grund verweigert. 

Diese hohen Anforderungen, die vornehmlich an mit Blick auf eine Zustimmungspflicht zu Änderungen des Gesellschaftsvertrags formuliert worden sind, bestehen auch dann, wenn die Zustimmungspflicht zu Maßnahmen der Geschäftsführung in Rede steht. 

Dass eine Maßnahme im Interesse der Gesellschaft liegt, die Zwecke der Gesellschaft fördert und die Zustimmung dem Gesellschafter zumutbar ist, genügt daher nicht ohne Weiteres, um eine Zustimmungspflicht des Gesellschafters zu begründen oder eine entgegenstehende Stimmabgabe als unwirksam anzusehen.

Soweit der Gesellschafter durch die Treuepflicht nicht zur Zustimmung verpflichtet ist, kann er sie zu einer vorgeschlagenen Maßnahme nach höchstrichterlicher Ansicht selbst dann verweigern, wenn seine Beweggründe dafür sachwidrig und unverständlich erscheinen. 

Das Gericht darf einen Beschluss nicht deswegen beanstanden, weil er unzweckmäßig oder nicht im Interesse der Gesellschaft erscheint. Umgekehrt kann auch die Ablehnung eines Beschlussantrags nicht allein deshalb beanstandet werden, weil der Beschluss zweckmäßig erscheint und im Interesse der Gesellschaft liegt. 

Eine Beschränkung dieser Stimmrechtsausübungsfreiheit kommt nur im Ausnahmefall in Frage:

Der BGH führt hierzu aus, dass allein die Feststellung einer erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung der Geschäftsführungsmaßnahme noch nicht deren objektiv unabweisbare Erforderlichkeit bedeutet und damit keine Zustimmungspflicht begründet, solange das Unterbleiben der Maßnahme nicht gerade zu einer Gefährdung des Bestands der Gesellschaft führen könnte. 

Erforderlich ist also, dass die Geschäftsführungsmaßnahme für den Fortbestand der Gesellschaft dringend erforderlich ist, jedenfalls aber deren Unterbleiben existenzbedrohend sein könnte.

Eine Verletzung der Treuepflicht kommt nach den weiteren Ausführungen des BGH in dem vorgenannten Urteil auch dann in Frage, wenn ein Gesellschafter sein Stimmrecht ausübt, um damit ausschließlich eigennützige Zwecke zu verfolgen, etwa seine Blockademacht dazu benutzt, um seinen Lästigkeitswert in die Höhe zu treiben und eine Abfindung zu erstreiten, oder seine Mehrheitsmacht zur Schädigung der Mitgesellschafter oder für ungerechtfertigte Sondervorteile einsetzt.

Hinsichtlich der Entlastung eines Geschäftsführers haben die Gesellschafter ebenfalls einen weiten Ermessensspielraum. Ein Entlastungsbeschluss ist deshalb nach dem Beschluss des II. Zivilsenats des BGH vom 04.05.2009, Az. II ZR 169/07 unter dem Aspekt einer treuwidrigen Stimmabgabe nur dann mit Erfolg anfechtbar, wenn keine andere Entscheidung als die Versagung denkbar und die Entlastung missbräuchlich ist. 

Das ist nach höchstrichterlicher Ansicht dann der Fall, wenn dem Geschäftsführer schwere Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind und der Gesellschaft ein erheblicher Schaden zugefügt wurde. Wegen der Verzichtswirkung ist eine Entlastungsentscheidung ferner treuwidrig, wenn sie zu einem Zeitpunkt getroffen wird, zu dem die Gesellschafter zwar von der Pflichtverletzung erfahren haben, aber noch nicht in der Lage sind zu beurteilen, ob der Gesellschaft ein Schaden zugefügt wurde. 

Fazit und Ausblick

Zahlreiche Einzelfragen zum Teilnahmerecht sowie zum Ablauf einer Gesellschafterversammlung (z. B. Versammlungsleitung, Protokollierung etc.) sind weder vom GmbH-Gesetz noch von der Rechtsprechung abschließend geklärt. 

Gesellschafter sind daher gut beraten, in harmonischen Zeiten einvernehmlich Spielregeln zu entwickeln und diese in der Satzung oder in einer – leichter abänderbaren – Geschäftsordnung festzuschreiben, um hierauf bei stürmischer See zurückgreifen zu können.

Weitere interessante Urteile zur GmbH-Gesellschafterversammlung finden Sie im Teil I.

Selbstverständlich stehe ich Ihnen auch persönlich für eine umfassende Beratung zur Verfügung. Weitere ausführliche Informationen finden Sie auf meiner Homepage.

V. i. S. d. P.:

Rechtsanwalt Jörg Streichert

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