Gynäkologin vergisst Mammographie-Befund: 10.000 Euro

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Mit Vergleich vom 15.03.2018 hat sich eine niedergelassene Frauenärztin verpflichtet, an meine Mandantin 10.000 Euro sowie die außergerichtlichen Anwaltskosten (2,0-Geschäftsgebühr) zu zahlen.

Die 1970 geborene Hausfrau ließ im Frühjahr 2014 in einer Radiologischen Gemeinschaftspraxis eine beidseitige Mammographie durchführen. Sie war in Bezug auf ein Mammakarzinom als Hochrisikopatientin eingestuft worden. Bei der Mammographie zeigte sich auf der rechten Seite ein neu aufgetretener Herdbefund von 8 mm Durchmesser, ohne Kalzifikationen. Die Radiologin empfahl schriftlich eine ergänzende sonographische Kontrolle und stufte die Mammographie mit BI-RADS 0 ein (zusätzliche diagnostische Verfahren empfohlen). Eine telefonische Benachrichtigung der einweisenden Frauenärztin durch die Radiologin erfolgte nicht.

Den schriftlichen Mammographie-Befund nahm die Frauenärztin entgegen, las ihn jedoch nicht. Sie legte den Befund ungelesen in die Karteikarte der Mandantin. Erst bei einer erneuten Vorstellung im November 2014 las sie den Befund der Radiologin und veranlasste eine Mammasonographie. Eine Jet-Biopsie von November 2014 ergab ein invasiv duktales Mammakarzinom. Im Dezember 2014 erfolgte eine brusterhaltende Tumorresektion rechts mit Sentinel-Lymphknotenexstirpation. Die Histologie ergab ein 11 mm im Durchmesser messendes duktal invasives Mammakarzinom pT1c, pN0 (0/2sn), G2, Östrogen und Progesteron positiv. Die Empfehlung der Tumorkonferenz lautete: Adjuvante Chemotherapie (4 x EC/12 x Paclitaxil + Herceptin), ggf. Radiatio und antihormonelle Sequenztherapie. Zusätzlich wurde eine humangenetische Beratung empfohlen.

Die außergerichtlichen und gerichtlichen Gutachten ergaben einen groben Organisationsfehler: Die Mammographie aus April 2014 zeige ein gut strahlend transparentes Parenchym (ACR2). Es fände sich rechts oben außen eine umschriebene Herdformation, die sich bei näherer Analyse als zum Teil scharfrandig, jedoch multipel gelappt in der Kontur darstelle. Es handele sich um einen malignen Herdbefund, der dringend weiter abzuklären gewesen sei (BI-RADS IV b). Auch die Radiologin habe einen auffälligen Befund gesehen, auch wenn sie den Befund in der BI-RADS-Klassifikation anders eingeordnet habe. In jedem Fall sei auch ein BI-RADS 0-Befund umgehend abzuklären, z. B. durch Zielaufnahmen, Vergrößerungsaufnahmen, Ultraschall, Kernspintomographie usw.

Es sei völlig unangemessen, einen Mammographie-Befund als Frauenärztin ungelesen in die Patientenakte einzuordnen. Es sei verständlich, dass der Radiologe, der die Patientin – insbesondere ihre psychische Situation – nicht kenne, nicht über einen abklärungsbedürftigen Befund informiere. Eine telefonische Information der Radiologin an die niedergelassene Gynäkologin sei nicht erforderlich, zumal der schriftliche Befund bereits am Tag nach der Untersuchung erstellt und zugestellt worden sei.

Allerdings: Auch bei früherer Diagnostik wäre die Patientin nicht anders behandelt worden. Bei der Mammographie habe der Tumor einen radiologisch bemessenen Durchmesser von 8 mm, bei der Operation einen Durchmesser von 11 mm aufgewiesen. Auch bei einer sechs Monate früheren Diagnostik wäre dieselbe Operation (brusterhaltend mit Sentinel-Lymphknotenextirpation) durchgeführt worden. Aufgrund der Hochrisikosituation wäre auch eine abschließende Chemotherapie mit Bestrahlung empfohlen worden. Die Staging-Untersuchungen seien allesamt negativ gewesen und hätten keine erkennbare Metastasierung gezeigt. Es sei nicht zu erwarten, dass durch die sechs Monate später erfolgte Diagnose ein zusätzlicher gesundheitlicher Schaden entstanden sei.

Die Kammer sah es als möglich an, dass ein grober Organisationsfehler der Gynäkologin vorliege, weil der Befundbericht der Radiologin nicht unverzüglich weiter bearbeitet worden und dadurch eine Behandlungsverzögerung entstanden sei. Es käme auch ein grober Befunderhebungsfehler in Betracht. Dieser läge vor, wenn die Gynäkologin auf den Bericht der Radiologin hätte reagieren müssen und die Nichtreaktion einen groben Fehler darstelle. Sollte ein solch grober Fehler vorliegen, würde dies zu einer Beweislastumkehr für Primärschäden führen. Gerade die zukünftige gesundheitliche Entwicklung sei als Primärschaden anzusehen. Dann müsste die Frauenärztin beweisen, dass die Zukunftsprognose durch die Behandlungsverzögerung nicht verschlechtert worden sei. Der von der Klägerin behauptete psychische Schaden sei ein Sekundärschaden, für den die Beweislastumkehr nicht eingreife.

(Landgericht Dortmund, Vergleichsbeschluss vom 15.03.2018, AZ: 12 O 216/16)

Rechtsanwalt Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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