Nachteilsausgleiche im Schwerbehindertenrecht: Kreuzchen nicht vergessen!

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Schwerbehindertenrecht ist Öffentliches Recht. Im Öffentlichen Recht gelten strenge Formvorschriften, wie Antragsteller immer wieder am eigenen Leib erfahren müssen. Anders als beispielsweise im Zivilrecht ist die Prüfungsreihenfolge zwingend. D. h., zuerst werden die formellen Voraussetzungen geprüft – hat der Antragsteller alles beachtet? Erst, wenn jede Voraussetzung „abgehakt“ werden kann, kommt der materielle, also inhaltliche Teil, zum Zug. Soll heißen: Krankheitsbilder, Höhe des Grad der Behinderung u. a. sind erst einmal unbedeutend. Formelles Recht wird zuerst geprüft. Wenn hier eine Angabe fehlt, ist möglicherweise schon alles verloren. Was bereits im Verwaltungsverfahren „übersehen“ wurde, kann in der Regel später nicht mit Erfolg geltend gemacht werden.

Am besten zeigt sich das am Beispiel der Nachteilsausgleiche. Unter Punkt 10 des Antragformulars werden Angaben zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen und Ausstellung eines Ausweises abgefragt. Es folgt eine Aufzählung. Neben den einzelnen sog. „Merkzeichen“ kann man jeweils ein Kreuz machen. Kreuz bedeutet: Es soll festgestellt werden, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens vorliegen. Der Antragsteller macht es also geltend. Anders herum: Wenn kein Kreuz gemacht wurde, bedeutet das, der Antragsteller verzichtet auf evtl. Nachteilsausgleiche.

Wenn dann im Feststellungsbescheid bzw. im Widerspruchsbescheid die Merkzeichen, z. B. „G“, nicht erwähnt werden, dann heißt das nicht, dass sie dem Antragsteller nicht zustünden, er also z. B. nicht gehbehindert ist, aber er hat im förmlichen Antrag auf die Feststellung verzichtet. 

Spätestens im Klageverfahren folgt „das böse Erwachen“. Das Gericht darf nur nachprüfen, was Gegenstand des Verwaltungsverfahrens war. Im Sozialrecht gilt die Lehre vom Klagegengenstand / Streitgegenstand. Der Kläger „bestimmt“ den Streitgegenstand und er hat im Verwaltungsverfahren „bestimmt“, dass Nachteilsausgleiche ihn nicht interessieren. Er kann sie in dem Verfahren nicht geltend machen.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Es handelt sich nicht um das sog. „Nachschieben von Gründen“. „Nachschieben von Gründen“ heißt, das die Begründung erweitert wird.

Im o. g. Beispiel hieße das: Der Kläger hat im Antrag angegeben, er leide unter Arthrose im rechten Knie. Diese Arthrose führt zu einem GdB von 20. Der Kläger ist damit nicht einverstanden, er klagt auf einen höheren GdB mit der Begründung, er habe nicht nur Arthrose im rechten, sondern auch im linken Knie; außerdem Osteoporose.

Der „Tenor“, also der Streitgegenstand ist die Höhe des Gesamt – GdB; hier 20. Arthrose in nicht nur einem, sondern beiden Knien ist die Begründung. Und diese Begründung kann vom Kläger beliebig erweitert, reduziert oder ganz ausgetauscht werden. Prozessual hindert ihn nichts daran.

Anders ein Merkzeichen: Diese sind ebenfalls ein eigenständiger Tenor. Es heißt ja „Grad der Behinderung 50 und Nachteilsausgleich „G“ und nicht „Grad der Behinderung 50, weil bei Ihnen das Merkzeichen „G“ vorliegt“.

Am Ende des Formulars werden mehrere Unterschriften fällig: Nämlich, wenn es um die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht geht und um die Beiziehung von Unterlagen. Ohne Einwilligung des Antragstellers darf die Behörde nicht tätig werden. Anders gesagt: Wenn man diese Unterschriften vergisst, ist der gesamte Antrag wertlos. denn Amtsermittlung ist nun einmal das Herzstück des Schwerbehindertenverfahrens.

Also: aufmerksam lesen, in Zweifelsfällen lieber nachfragen.


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