Mithaftung des Radfahrers bei unverschuldetem Verkehrsunfall wegen nicht getragenem Helm
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(unterschiedliche obergerichtliche Rechtsprechung)
I. Oberlandesgericht Schleswig
Die klagende Radfahrerin fuhr mit ihrem Fahrrad gegen eine geöffnete Fahrzeugtür, der sie nicht mehr ausweichen konnte. Durch den Sturz erlitt sie schwere Kopfverletzungen.
Die Radfahrerin beantragte festzustellen, dass ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen seien. Die Klage vor dem Landgericht hatte die Radfahrerin gewonnen.
Die Beklagten gingen gegen das Urteil vor Oberlandesgericht Schleswig in Berufung und hatten teilweise Erfolg: Das OVG Schleswig ging nicht mehr von einem alleinigen Verschulden des Fahrzeugführers (Beklagter) aus, sondern sah einen 20%-igen Mitverschuldensanteil der Radfahrerin. Mit dieser Entscheidung wich das OLG Schleswig von der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe NZV 1991, 25; OLG Nürnberg DAR 1991, 173; OLG Stuttgart VRS 97, 15, 18; OLG Nürnberg DAR 1999, 507; OLG Hamm NZV 2001, 86; OLG Hamm NZV 2002, 129, 131;OLG Düsseldorf NZV 2007, 619; OLG Saarbrücken NZV 2008, 202, 303) ab.
Nach Ansicht des OLG Schleswig hatte die Radfahrerin durch das Nichtanlegen eines Fahrradhelmes gegen eigene Interessen verstoßen. Insoweit verwies es in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der ein Mitverschulden des Geschädigten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften angenommen hat, wenn dieser „diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt“ (BGH, Urt. v. 30.01.1979, VI ZR 144/77, NJW 1979, 980 mwN); er müsse sich insoweit „verkehrsrichtig“ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimme, sondern auch durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (BGH aaO.)“.
OLG Schleswig, Urteil v. 5. Juni 2013 - 7 U 11/12
Danach müssen sich alle Radfahrer, allein wegen des Nichtragens, eines Fahrradhelmes einen Mitverschuldensanteil zurechnen lassen.
Die Revision gegen das Urteil wurde zugelassen.
II. Oberlandesgericht Celle
Das Oberlandesgericht Celle ist in einer neueren Entscheidung ausdrücklich von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig abgewichen: „Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen, sich verkehrswidrig verhaltenden Verkehrsteilnehmer und erleidet er infolge des Sturzes unfallbedingte Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich gleichwohl nur in Ausnahmefällen - nämlich wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition, beispielsweise aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs ein gesteigertes Gefährdungs-potential besteht - ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen (in Abweichung von: OLG Schleswig, Urteil v. 5. Juni 2013 - 7 U 11/12)“.
Auch in diesem Fall hatte der Radfahrer keinen Helm getragen, war an dem Unfall schuldlos und hatte u.a. schwere Kopfverletzungen erlitten. Er machte Schadensersatzansprüche geltend.
Nach Ansicht des OLG Celle besteht, unter Hinweis auf die bisher herrschende Auffassung in der Rechtsprechung, jedenfalls dann keine Obliegenheit zum Tragen eines Fahrradhelmes „wenn dieser weder zu schnell, noch den herrschenden Straßenbedingungen unangepasst gefahren ist, sich lediglich auf einer Trainingsfahrt befunden hat und dabei völlig unauffällig gefahren ist, ohne besondere Risiken einzugehen.“
Danach bestehe unter dem Gesichtspunkt des Eigenschutzinteresses die Obliegenheit einen Schutzhelm zu tragen entweder dann, wenn ein sportlich ambitionierter Radfahrer, auch außerhalb von Sport-/Rennveranstaltungen, besondere Risiken in Kauf nehme, oder infolge individueller Umstände, etwa wegen seiner Unerfahrenheit im Straßenverkehr, ein gesteigertes Gefahrenpotential bestehe.
OLG Celle Urteil v. 12.Februar 2014 - 14 U 113/13
In Anbetracht der in der obergerichtlichen Rechtsprechung uneinheitlich beantworteten Frage, ob sich aus dem Nichttragen eines Schutzhelms durch einen Fahrradfahrer ein Mitverschulden ergibt, ist auch hier die Revision zugelassen worden.
Fazit:
Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung besteht insoweit eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob sich der Radfahrer, der bei einem unverschuldeten Fahrradunfall keinen Helm trägt und dadurch vermeidbare Kopfverletzungen davon trägt, einen Mitverschuldensanteil anrechnen lassen muss.
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