Prostatakrebs übersehen: 25.000 Euro
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Mit gerichtlichem Vergleich vom 13.05.2013 hat sich ein Urologe verpflichtet, an meinen Mandanten 25.000 Euro zu zahlen. Damit sind sämtliche Ansprüche auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden aus der Behandlung in den Jahren 2006 und 2007 endgültig abgefunden.
Der 1965 geborene Angestellte hatte sich 2006 und 2007 mehrfach beim Urologen wegen Störungen beim Wasserlassen vorgestellt. Nach einer Harnröhren- und Blasenspiegelung diagnostizierte der Urologe eine unbedenkliche Blasenhalsverengung und verordnete das Medikament Tamsulosin. Angesprochen, ob es sich um eine ernsthafte Erkrankung, möglicherweise sogar um eine Krebserkrankung handeln könne, beruhigte der Arzt den Mandanten und teilte ihm mit, dies sei auszuschließen. Tatsächlich wurde im Januar 2008 bei einem weiteren Urologen ein fortgeschrittenes Prostatakarzinom diagnostiziert. Im August 2008 erfolgte eine vollständige Entfernung der Prostata mit operativer Entfernung der Lymphknoten im Beckenraum. Durch die radikale Prostataektomie ist der Mandant impotent, inkontinent und psychisch erheblich belastet. Er hatte behauptet, bei der Untersuchung im Sommer 2006 habe der beklagte Urologe die Prostata – entgegen der EDV-Dokumentation – nicht abgetastet. Hätte er dieses getan, hätte er festgestellt, dass diese verhärtet und verändert gewesen sei. Es wären weitere Untersuchungen durchgeführt worden. Es wäre nicht zu einem Kapseldurchbruch der Prostata gekommen. Der 42-jährige hätte noch nervenerhaltend operiert werden können.
Das Landgericht Hagen hatte die Klage im Oktober 2012 mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe nicht bereits im Jahre 2006 Prostatakrebs diagnostizieren müssen. Der Urologe sei nicht verpflichtet gewesen, bei dem Patienten den PSA-Wert zu bestimmen. Den Vorwurf, der Beklagte habe keinen Tastbefund der Prostata erhoben, hätte der beweisbelastete Mandant nicht bewiesen. Die Verschreibung des Medikamentes Tamsulosin stelle keinen Behandlungsfehler dar. Ob ein Tastbefund im Jahre 2006 ein positives Ergebnis gezeigt hätte, sei zweifelhaft.
Mit der Berufung hatte ich gerügt, dass das Landgericht allein aufgrund der EDV-Dokumentation des Urologen zu dem Ergebnis gekommen sei, dieser habe einen unauffälligen Tastbefund der Prostata erhoben. Der EDV-Dokumentation komme kein Beweiswert zu, da nach Ausführungen des Urologen ein Teil der Behandlungsunterlagen bei einem Computerabsturz trotz entsprechender Datensicherung verloren gegangen sei. Der Beklagte habe vorgetragen, einen Teil der verloren gegangenen Daten über die kassenärztliche Vereinigung rekonstruiert zu haben. Dieses stelle ein nachträgliches Manipulieren der EDV-Dokumentation dar. Darüber hinaus seien die Miktionsbeschwerden auch nach Gabe des Medikamentes Tamsulosin RP weiterhin vorhanden gewesen. Dieses spreche gegen die vom Urologen diagnostizierte Harnröhrenverengung, vielmehr sei eine abklärungsbedürftige Raumforderung anzunehmen gewesen. Es sei fehlerhaft, auf die Frage, ob ein bösartiger Tumor vorliege, keinen PSA-Test anzubieten.
Der Senat hat die Berufung angenommen und die Beweisaufnahme komplett wiederholt. Hierbei hat er darauf hingewiesen, dass die Frage der Beweiskraft der EDV-Dokumentation völlig offen sei (vgl. Muschner, VersR 2006, 621 ff.; BGH NJW 1998, 2736; OLG Hamburg OLGR 2004, 324; OLG Hamm VersR 2006, 842, 843)). Zur Beendigung des Rechtsstreites haben die Richter daher einen Betrag zur Gesamtabfindung in Höhe von 25.000 Euro vorgeschlagen.
OLG Hamm, Vergleichsbeschluss vom 13.05.2013, I-3 U 190/12
Christian Koch
Fachanwalt für Medizinrecht
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