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Prozess von Oscar Pistorius aktuell: So urteilt das Gericht in Pretoria

  • 8 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

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Was geschah wirklich in der Nacht zum Valentinstag 2013? Diese Frage beschäftigte das Gericht ganze 41 Verhandlungstage. Nun hat Richterin Masipa das Urteil gefällt. Die Redaktion von anwalt.de berichtet über die aktuellen Ereignisse aus dem Gerichtssaal in Pretoria. Auf der Anklagebank sitzt Oscar Pistorius. Die Anklage lautet: Mord. Der südafrikanische Sportstar hat in dieser Nacht seine Freundin Steenkamp in seinem Haus erschossen.

Staatsanwalt Gerrie Nel ist davon überzeugt, dass Pistorius nach einem Streit einen vorsätzlichen Mord begangen hat. Dagegen berufen sich der Angeklagte und sein Verteidiger Barry Roux darauf, die Tat war ein verhängnisvoller Irrtum. Pistorius habe gedacht, dass es sich um einen Einbrecher gehandelt hat, als er vier Mal durch die geschlossene Toilettentür schoss. Welche der beiden Versionen der Wahrheit am nächsten kommen, entschied heute der Gauteng High Court.

Angeklagter und Richterin

In Südafrika war Oscar Pretorius bis zu der verhängnisvollen Nacht ein Sportidol. Dem Läufer fehlen seit seinem ersten Lebensjahr beide Unterschenkel. Mit Carbon-Prothesen erlief sich der behinderte Sportler einen Sieg nach dem anderen und erreichte 2012 bei den Olympischen Spielen in London sogar das Halbfinale im 400-Meter-Rennen.

Über die Tat des 27-Jährigen fällte Richterin Thokozile Masipa das Urteil. Die 66-Jährige hatte vor der juristischen Laufbahn als Polizeireporterin gearbeitet. Sie ist die zweite Frau, die in Südafrika zur Richterin ernannt wurde. Im Prozess hatte sie besonnen reagiert und sich eher zurückgenommen, berichten Prozessbeobachter.

Indizien und Zeugenaussagen

Schon die vielen Blätter, die Richterin Masipa in den Gerichtssaal mitbringt, deuten darauf hin, dass die Urteilsverkündung viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Sie verliest die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft, die Verteidigung und die Einlassungen des Angeklagten. Masipa fasst das Wesentliche der 36 Zeugenaussagen noch einmal zusammen und analysiert die im Prozess vorgebrachten Indizien. Dabei geht sie auch auf die speziellen Situationen ein, in denen sich Zeugen befanden und warum und wie sie deren Aussagen bewertet.

Tödliche Schüsse und ein Schrei

Danach stellt sie die für Steenkamp tödlichen Schüsse dar und dass nach ihrer Ansicht Steenkamp aufgrund der schweren Verletzungen nicht mehr so laut schreien konnte, dass es Zeugen noch hören könnten, die vom Tatort weiter entfernt waren. Das hatten jedoch einige Zeugen ausgesagt. „Menschen können sich irren“, meint die Richterin. Das Gericht stützt das Urteil deshalb auch auf Indizien, die objektiv nachweisbar sind, beispielsweise auf die Aufzeichnungen der Notrufe. Darauf zeichnet sie den zeitlichen Ablauf anhand einer Timeline nach. All dies spricht dafür, dass der Schrei nicht von dem Opfer stammen konnte, so Masipa.

Beziehung und Pistorius’ Aussagen

Die Beweise in Hinblick auf die Beziehung zwischen Pistorius und Steenkamp Wochen vor der Tat waren für die Richterin nicht zur Beurteilung der Tat geeignet, da sich Beziehungen schnell ändern können. Die belastenden Beweise waren für das Gericht wesentlich, um den Tathergang nachzuvollziehen.

Zwar war im Badezimmer das Licht aus. Trotzdem konnte Pistorius aber sehen, dass das Badezimmerfenster geöffnet war. Er schoss viermal. Erst als er ins Schlafzimmer zurückkehrte, bemerkte er, dass seine Freundin nicht im Bett lag. Er schrie und weinte, er schlug die Tür ein und sah die tote Steenkamp auf dem Boden sitzen. Die Aussage von Pistorius zum Tathergang stellt die Richterin genau dar, auch wo er widersprüchliche Aussagen gemacht hat.

Voll schuldfähig zum Tatzeitpunkt

Auch wenn Pistorius eine regelrechte Paranoia vor Überfällen im Prozess vorbrachte, beurteilt ihn die Richterin für voll schuldfähig. Das stützen auch die entsprechenden psychiatrischen Gutachten. Er hat gewusst, was er tat. Er konnte zwischen Recht und Unrecht unterscheiden, ist Masipa überzeugt.

Nach seiner Version hätte er niemanden erschießen wollen, so der Angeklagte. Er habe sich nur gegen den Einbrecher verteidigen wollen. Doch warum benutzte er dann nicht den Kricketschläger, sondern die viel gefährlichere Schusswaffe? Diese und weitere Widersprüche des Angeklagten legt das Gericht dar.

Aussagen des Angeklagten

Im Kreuzverhör hat er sich widersprochen. Seine Einlassungen konnten nicht besonders schwer gewichtet werden, da er oft widersprüchliche Aussagen machte. Er konnte nicht erklären, warum er nicht zuerst versucht hat, Steenkamp im Bett anzusprechen und erst nach den Schüssen bemerkt hatte, dass sie nicht anwesend war. Allerdings darf dies vom Gericht nicht so gewertet werden, dass er auch ohne jeden Zweifel schuldig ist.

Handeln in Notwehr

Pistorius dachte, sein Leben sei bedroht. Was aber objektiv nicht der Fall war. Nur der Angeklagte kann sagen, was in seinem Kopf vorging, als er die tödlichen Schüsse abgab. Pistorius ging davon aus, dass ein Einbrecher durch das geöffnete Badezimmer in sein Haus eingedrungen wurde und sein Leben bedrohte. Das hatte Pistorius auch einigen Zeugen unmittelbar nach der Tat erzählt.

Vorsatz oder Absicht

Verschiedene Vorsatzformen kennt auch das südafrikanische Strafrecht, so beispielsweise „dolus eventualis“, wo der Tod billigend in Kauf genommen wird. Ohne jeden Zweifel hatte der Angeklagte mit Vorsatz gehandelt. Er wollte die Waffe benutzen, ist sich Masipa überzeugt. Im Prozess habe Pistorius nicht auf wesentliche Fragen geantwortet und stattdessen andere Zeugenaussagen diskutiert.

Aber wollte Pistorius auch jemanden töten, als er die Schüsse abgab? Dafür lagen nicht ausreichend belastende Beweise vor. Nach Ansicht des Gerichts war es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen, ausreichende Beweise vorzulegen, die eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Mordes rechtfertigen. Auch Totschlag mit „dolus eventualis“ schließt Masipa aus. Pistorius habe nicht vorhersehen können, dass er jemanden tötet.

Fahrlässige Tötung

Nachdem Vorsatz vom High Court ausgeschlossen wurde, steht noch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung im Raum.

Pistorius hätte auch auf den Balkon laufen und um Hilfe rufen können, zumal die Strecke kürzer war als zum Badezimmer. Als er die Schüsse abgab, dachte er, der Einbrecher sei im Badezimmer. Das hat er bewusst getan, er hatte genug Zeit zum Überlegen und sich für andere Varianten zu entschließen.

Der Angeklagte wusste, dass sich hinter der Badezimmertür eine Person befand, er konnte mit Feuerwaffen umgehen. Er wusste auch, dass er andere Möglichkeiten hatte, als zu schießen, etwa, um Hilfe zu holen.

Fortsetzung: Tag 2 der Urteilsverkündung

Nachdem der High Court in Pretoria vorsätzliches Handeln ausgeschlossen hat, steht nun eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung im Raum. Die bisherige Bewertung von Richterin Thokozile Masipa hat in Südafrika unter Juristen für Empörung gesorgt. Viele meinen, dass bei den gezielt abgegebenen Schüssen auf die Toilettentür durchaus Vorsatz in der Form von „dolus eventualis“ vorliegt. Bei dieser Vorsatzform nimmt der Täter den Tod des Opfers billigend in Kauf.

Strafmaß für fahrlässigen Totschlag

Bei einer Verurteilung wegen Mordes hätte der Athlet mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe rechnen müssen, also bis zu 25 Jahren. Für vorsätzlichen Totschlag wird in Südafrika eine Mindeststrafe von 15 Jahren verhängt.

Mit einer solchen harten Bestrafung muss Pistorius nicht mehr rechnen, nachdem das Gericht für die genannten Kapitalverbrechen Vorsatz ausgeschlossen hat. Denn bei fahrlässigem Totschlag ist das Strafmaß die alleinige Entscheidung des High Court. Es ist also auch möglich, dass der Sportler mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.

Da nach aktuellem Stand das Gericht auch noch nicht eine Strafbarkeit wegen fahrlässigem Totschlag bestätigt hat, ist sogar noch ein Freispruch denkbar. Es bleibt also auch am Tag 2 der Urteilsverkündung spannend.

Schießereien in Auto und Restaurant

Zu Beginn geht es nun um zwei Vorfälle, in denen der Starläufer durch ein offenes Autodach und in einem Restaurant herumgeschossen haben soll, was gegen die südafrikanischen Waffengesetze verstoßen haben könnte.

Die Richterin bezweifelt die Stichhaltigkeit der Zeugenaussagen zu diesen Vorfällen ebenso wie die Einlassungen von Pistorius, der die Schüsse durch das Autodach bestritten hatte. Doch für eine Verurteilung reichen dem Gericht die vom Staatsanwalt vorgebrachten Beweise aus. Er ist also bezüglich der Schüsse im Autofreigesprochen.

Anders fällt dagegen die Bewertung bezüglich der Schüsse im Restaurant aus. Der Angeklagte hatte – laut eigenen Angaben versehentlich – mit der Pistole eines Freundes geschossen und einen Boxer dabei verletzt. Dabei habe Pistorius zumindest fahrlässig gehandelt und ist des Verstoßes gegen das Schusswaffengesetz schuldig.

„Nicht schuldig“ lautet das Urteil bezüglich des illegalen Besitzes von Munition.

Tödliche Schüsse auf Steenkamp

Nun wird die Hauptanklage noch einmal erörtert. Nach Ansicht der Richterin sprechen die Zeugenaussagen, die im Prozess vorgebracht wurden, eher für die von Pistorius vorgebrachte Version des Tatablaufs. Auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat, als er um Hilfe rief, weinte und betete, sprechen gegen Mord und vorsätzlichen Totschlag. Pistorius hatte fahrlässig gehandelt als er auf die Toilettentür schoss. Er hätte nicht vorhersehen können, dass durch die Schüsse jemand getötet würde.

Schuldspruch

Der High Court spricht Pistorius der fahrlässigen Tötung und bezüglich des Verstoßes gegen das Waffengesetz im Restaurant für schuldig. Bezüglich der restlichen Anklagepunkte ist er nicht schuldig.

Zweifel an Zeugenaussagen

Nun begründet Masipa, warum sie den Zeugen Darren Fresco nicht für glaubwürdig hält bezüglich des einen Falls der illegalen Benutzung von Schusswaffen, und warum seine Aussage anders zu bewerten ist als die Aussagen anderer Zeugen. Von einer Strafverfolgung sieht sie jedoch ab.

Gegen Kaution auf freiem Fuß

Nun geht es noch darum, ob Pistorius nach dem Urteilsspruch freikommt, bis das Strafmaß feststeht. Verteidigung und Staatsanwaltschaft bringen ihre jeweiligen Argumente vor, die für und gegen eine Freilassung sprechen. Bislang ist er ja gegen Kaution auf freiem Fuß.

Der Staatsanwalt brachte vor, dass Pistorius, während er auf Kaution auf freiem Fuß war, einmal auffällig geworden war und in dieser Zeit zudem ein Haus verkauft habe. Zu den genauen Gründen kann Nel auf Nachfrage der Richterin jedoch nichts sagen.

Die Argumente der Staatsanwaltschaft gegen eine Freilassung des Verurteilten konnten die Richterin nicht überzeugen. Deshalb bleibt Oscar Pistorius gegen Kaution weiterhin auf freiem Fuß.

Verkündung des Strafmaßes

Richterin Masipa hat vier Wochen Zeit, bis sie die Strafe für den 27-Jährigen festlegt. Den Termin zur Verkündung des Strafmaßes legt der High Court auf den 13. Oktober 2014.

Mögliche Rechtsmittel

Gegen das Urteil kann Pistorius in Revision gehen. Dann entscheidet der High Court, ob die Sache nochmals vor dem High Court – dann aber von drei Richtern („full bench“ = zur vollen Richterbank) – oder von dem Supreme Court of Appeal entschieden wird. Gegen die Entscheidung im „full bench“-Verfahren steht Pistorius dann ebenfalls der Weg zum Supreme Court of Appeal offen. Schließlich kann der Athlet noch bis zum Verfassungsgericht gehen, wenn die Verfahren möglicherweise gegen die Verfassung verstoßen haben.

Der Anklage stehen weniger Rechtsmittel zur Verfügung. Hält Staatsanwalt Gerrie Nel das Strafmaß für zu gering oder hat nach seiner Überzeugung die Richterin ein Gesetz falsch ausgelegt, kann er in die nächste Instanz gehen.

Lesen Sie im anwalt.de-Rechtstipp "Oscar Pistorius: High Court verurteilt Sportstar zu Freiheitsstrafe", welches Strafmaß Richterin Masipa für die Tat von Pistorius für angemessen hält.

(WEL)

Foto(s): ©Fotolia.com

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