Sexuelle Benachteiligungen im Arbeitsverhältnis - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

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Seit 14.08.2006 gibt es zur Verhinderung oder Beseitigung von Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (vgl. § 1 AGG). Auch – mittelbare oder unmittelbare – sexuelle Belästigungen sind vom AGG erfasst.

Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung?

Die Arbeitgeber sind gemäß § 12 Abs. 3 AGG verpflichtet, gegen Belästigungen i.S.v. § 1 AGG die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG gehören, hat der Arbeitgeber gemäß Beschluss vom 6. Dezember 2013 – Az: 6 Sa 391/13 – die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche er hiervon als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat am 6. Dezember 2013 – Az: 6 Sa 391/13 – eine Entscheidung zur sexuellen Belästigung einer Arbeitnehmerin durch einen anderen Arbeitnehmer getroffen. Es führt zum Sachverhalt aus:

„Am 18.10.2012 informierte die Auszubildende für den Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin, Frau D., geboren 1993, die Stationsleitung und den Pflegefachleiter darüber, dass sie vom Kläger am 15. und 16.10.2012 sexuell belästigt worden sei. Der Kläger habe sie zunächst am 15.10.2012 während der Frühschicht im Frühstücksraum, in dem sie sich alleine aufgehalten hätten, auf ihre Oberweite angesprochen und gefragt, ob diese „echt“ sei und er ihre Brüste berühren dürfe. Am 16.10.2012 habe der Kläger Frau D. dann in einem Nebenraum in den Arm genommen, ihr an die Brust gefasst und versucht, sie zu küssen. Dieser Situation habe sich Frau D. entziehen können… Am 25.10.2012 erklärte der Betriebsrat der Beklagten, dass er nach vorheriger Beratung die vorgesehene Kündigung des Klägers zur Kenntnis nehme. Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 01.11.2012, welches dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, die außerordentliche Kündigung, hilfsweise mit Auslauffrist zum 30.06.2013 (Bl. 6 und 7 d.A.) aus. Seit dem 01.11.2012 zahlt die Beklagte keine Vergütung an den Kläger.

Mit seiner am 02.11.2012 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Klage – 8 Ca 461/12 – begehrt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 01.11.2012. Mit der am 06.03.2013 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Klage – 8 Ca 139/13 – nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung der Arbeitsvergütung für den Zeitraum vom 01.11.2012 bis zuletzt zum 30.06.2012 abzüglich des in diesem Zeitraum erhaltenen Arbeitslosengeldes in Anspruch… Im Verfahren 8 Ca 441/12 hat das Arbeitsgericht Braunschweig mit Urteil vom 19.02.2013 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 01.11.2012 nicht beendet worden ist... Hiergegen hat die Beklagte mit am 16.04.2013 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese unter dem 15.05.2013 begründet.“

Das Landesarbeitsgericht hat den Aussagen der Zeugin geglaubt und eine sexuelle Belästigung durch unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG gehören, angenommen. Es führt zugunsten der Arbeitnehmerin aus:

„Bei der Berührung der Brust handelt es offensichtlich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der immer objektiv als sexuell bestimmt im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG anzusehen ist. Die Brust stellt eine Tabuzone dar (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.08.2012 – 5 Sa 324/11 – ARB RB 2012, 365). Gleiches gilt ohne Frage auch für den Kuss auf den Mund… Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgehen wollte, dass er sich durch bestimmte Verhaltensweisen von Frau D. provoziert oder ermutigt fühlen durfte, rechtfertigt das seine Übergriffe nicht. Von einem Mann im Alter des Klägers, mit seiner einschlägigen Berufserfahrung ist ohne weiteres zu erwarten, dass er auf derartige „Provokationen“ von Auszubildenden am Arbeitsplatz nicht eingeht. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt hat oder verstanden wissen wollte.

Ist eine Abmahnung ausreichend?

Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Arbeitsgerichts war eine Abmahnung aus Sicht des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen entbehrlich:

„Es kann dahinstehen, ob in Bezug auf die verbale Belästigung der Auszubildende am 15.10.2012 eine vorherige Abmahnung erfolgversprechend und ausreichend gewesen wäre. Jedenfalls die körperlichen Berührungen am 16.10.2012 in Gestalt des Anfassens der Brust und des Versuchs, Frau D. auf den Mund zu küssen, stellen derart gravierende Pflichtverletzungen dar, dass deren Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich und für den Kläger erkennbar ausgeschlossen waren. Dass sexuelle Belästigungen von Kolleginnen in Wort und Tat unerwünschte Verhaltensweisen darstellen, ist allgemein be- und anerkannt. Ein derartiges Verhalten gilt im Arbeitsverhältnis grundsätzlich als inakzeptabel, insbesondere wenn es um das Berühren der primären Geschlechtsmerkmale, wie der Brust geht. Dies musste dem Kläger ohne weiteres klar sein. Dazu bedurfte es einer vorherigen Abmahnung von Seiten der Beklagten nicht“.

Wie kann ein Verstoß gegen das AGG bewiesen werden?

Eine Partei muss Indizien vortragen, die auf eine Benachteiligung i.S.v. § 1 AGG schließen lässt. Die andere Partei hat dann zu beweisen, dass kein Verstoß zum Schutz gegen eine Benachteiligung erfolgt ist (vgl. § 22 AGG).

Rechtsanwalt Christian Steffgen führt als Dozent für den Verband deutscher Anwälte (VdA) Fortbildungen nach der Fachanwaltsordnung für Fachanwälte im Arbeitsrecht durch. Er verfügt seit 2011 über die theoretischen Voraussetzungen eines Fachanwalts im Arbeitsrecht.


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