Unfall aufgrund von Sekundenschlaf und Übermüdung – Strafbarkeit und Konsequenzen für die Fahrerlaubnis?

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Jährlich passieren eine große Anzahl von Unfällen im Straßenverkehr mit Sach- und Personenschäden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, sei es mangelnde Konzentration und Aufmerksamkeit, Ablenkung, Substanzkonsum, ein plötzlich auftretendes Hindernis oder eben Übermüdung und Sekundenschlaf.


Der Artikel soll das Thema Sekundenschlaf aus strafrechtlicher Sicht beleuchten, ersetzt aber natürlich keine anwaltliche Beratung im Einzelfall.


1.

Es ist passiert. Mehrere Verletzte und das Auto ist schrott, die Leitplanke hat ein Loch. Der Fahrer kann sich nicht erinnern, was passiert ist.


Noch am Unfallort wird er von der Polizei zur Unfallursache befragt. Er gibt unvermittelt an, er „müsse wohl am Steuer eingeschlafen sein“, anders könne er es sich nicht erklären.


Anstatt von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, gab der Unfallverursacher mit dieser Antwort – wahrscheinlich ohne es zu ahnen - Anlass für die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einzuleiten.


Denn das Einschlafen am Steuer aufgrund von Übermüdung entschuldigt den Unfall aus Sicht des deutschen Strafrechts keineswegs per se, sondern kann im Gegenteil eine (folgenschwere) Straftat, nämlich eine Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c StGB begründen.


Der Unfallverursacher ist dann gehörig überrascht, wenn ein paar Tage oder Wochen später die Polizei vor der Türe steht und den Führerschein einkassiert.


Das liegt daran, dass die Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB ein gesetzlicher Regelfall für eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB ist. Dies wiederum bedeutet, dass die Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen einen gerichtlichen Beschluss zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO erwirken können – und dies auch konsequent tun.


Im Klartext heißt dies, dass die Fahrerlaubnis kurz nach dem Unfall bereits in ernster Gefahr ist. Jeder der in irgendeiner Form auf seinen Führerschein angewiesen ist, wird damit ein großes Problem haben. Im weiteren Verlauf kann dem Betroffenen darüber hinaus eine Geldstrafe oder schlimmstenfalls sogar eine Freiheitsstrafe drohen.


2.

Doch warum fällt das Einschlafen am Steuer unter den Straftatbestand des § 315c StGB, man sollte doch meinen, dass man hierfür nichts kann?


§ 315c Abs. 1 Nr. 1 b) StGB sieht vor, dass mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe zu bestrafen ist, wer infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen und dadurch Leib oder Leben oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet.


Nun ist es so, dass eine derartige Übermüdung, welche zu einem plötzlichen Einschlafen am Steuer führt, dem sogenannten „Sekundenschlaf“, nach Auffassung vieler Gerichte einen solchen Mangel darstellt und dies dem Eingeschlafenen auch mindestens fahrlässig vorzuwerfen ist.


Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1969 in der es heißt:


„Nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Wissenschaft besteht der Erfahrungssatz, daß ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer seines Fahrzeugs während der Fahrt einschläft (einnickt), stets deutliche Zeichen der Ermüdung (Übermüdung) an sich wahrnimmt oder wenigstens wahrnehmen kann. Ausgenommen hiervon ist der (seltene) Fall, daß der Kraftfahrer an Narkolepsie leidet.“


1. Leitsatz - BGH, Beschluss v. 18.11.1969 – 4 StR 66/69


Der BGH hat zum damaligen Zeitpunkt also – wenn auch Sachverständig beraten – entschieden, dass ein gesunder Kraftfahrer es bemerkt haben muss, dass er derart übermüdet ist und hieraus die Gefahr besteht einzuschlafen. Der Kraftfahrer handele bei Eintritt von Sekundenschlaf nach dieser Auffassung fahrlässig, weil er keine Pause einlegte bzw. die Fahrt nicht beendete. Dieser Regelsatz hat sich in der Gerichtspraxis verfestigt, mit weitreichenden Konsequenzen für die jeweiligen Betroffenen in Form von Geldstrafen und Fahrerlaubnisentziehung.


3.

Es gibt jedoch Lichtblicke.


Mehrere Gerichte wollen den oben genannten Erfahrungssatz nicht mehr ohne weiteres als Blaupause für die Begründung einer Strafbarkeit und Haftung nach § 315c StGB beim Sekundenschlaf anwenden, was aus meiner Sicht überzeugend ist.


Nicht nur kann der „gegenwärtige Stand der ärztlichen Wissenschaft“ sich im Bereich der Schlafforschung seit 1969 verändert haben. Auch nimmt der angesprochene Regelansatz des BGH die Zurückführung von Müdigkeitskennzeichen des Betroffenen auf Übermüdung und drohenden Sekundenschlaf zu wenig in den Blick.


Denn selbst wenn der Kraftfahrer, welcher am Steuer einnickt, stets deutliche Zeichen der Übermüdung an sich wahrgenommen haben soll, ist hiermit im Einzelfall noch lange nicht gesichert festgestellt, dass derjenige die Müdigkeitskennzeichen in der Form interpretiert, baldig am Steuer einschlafen zu können. Nur dann wäre ihm aber ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.


Mit anderen Worten führt nicht jeder Autofahrer Müdigkeitskennzeichen wie Gähnen, frösteln, häufiges Blinzeln oder schwere Augenlider auf Zeichen erheblicher Übermüdung oder drohenden Sekundenschlaf zurück.


Dies bestätigt auch ein Blick in die Zivilrechtsprechung. So hat das OLG Celle in einer aktuellen Entscheidung, wenn auch zivilrechtlich, unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung festgestellt, dass objektiv vorhandene Übermüdungskennzeichen häufig subjektiv nicht wahrgenommen werden (OLG Celle, Urt. v. 01.07.2020 – 14 U 8/20).


In einem Verfahren vor dem OLG Saarbrücken heißt es wörtlich:


„es komme sehr häufig vor, dass sich Fahrer subjektiv bis zum Eintritt des Sekundenschlafs für fit halten (Bl. 444 d.A.). Dass dies bei dem Beklagten zu 1) – einen Sekundenschlaf unterstellt – anders war, steht nicht fest.“


OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.09.2009 – 4 U 375/08


Auch das LG Kaiserslautern weißt darauf hin, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend gebe, dass einem Einschlafen am Steuer immer solche deutlich erkennbaren Warnzeichen vorangehen in einem Ausmaß, dass deren Missachtung Fahrlässigkeit begründe. Dies sei im Einzelfall nachzuweisen (LG Kaiserslautern, Urt. v. 30.06.2004 – 3 O 1176/03).


Und so gibt es nun auch strafgerichtliche Rechtsprechung, die es sich mit der Beurteilung der Fahrlässigkeitsfrage nicht zu leicht macht (LG Traunstein, Beschl. v. 08.07.2011 – 1 Qs 225/11; AG Aachen v. 23.02.2007 – 41 Gs 421/07; AG Düsseldorf, DAR 2021, 112).


Im Ernstfall ist die Beurteilung der Frage der Bemerkbarkeit von Übermüdungskennzeichen und deren Verbindung zu einem drohenden Sekundenschlaf über ein medizinisches bzw. medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären und nicht ausschließlich über einen zweifelhaften Erfahrungssatz.


Betroffene, die einen Anhörungsbogen, einen Strafbefehl oder gar eine Anklageschrift wegen Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Übermüdung bzw. Sekundenschlaf erhalten, möglicherweise sogar in Verbindung mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis, ist daher dringend der Gang zum Fachmann zu raten. Im besten Falle kann ein Fachanwalt für Strafrecht oder Verkehrsrecht die Entziehung der Fahrerlaubnis verhindern und bewirken, dass das Verfahren eingestellt wird. Man sollte also nicht vorschnell resignieren, da mit überzeugender Argumentation reelle Chancen eines günstigen Verfahrensausgangs bestehen.


Selbstverständlich stehe ich Ihnen als Fachanwalt für eine Einzelfallberatung und Vertretung in Fragen zur Straßenverkehrsgefährdung zur Verfügung.

Foto(s): https://www.pexels.com/de-de/foto/grunes-auto-2265634/

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