Verfassungsbeschwerde: Wann ist sie möglich?

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Das Bundesverfassungsgericht und das Gesetz stellen – zu Recht – sehr hohe Anforderungen an die Annahme einer Verfassungsbeschwerde. Doch selbst wenn die Annahme gelingt, haben die Beschwerden nur selten Aussicht auf Erfolg. Von insgesamt 5.906 entschiedenen Verfassungsbeschwerden im Jahr 2016 waren nur 1,98 % erfolgreich (Quelle: Internetseite des Bundesverfassungsgerichts unter Statistiken). Auch die Erfolgsquote der Vorjahre pendelt um die 2%. Dies aus einem guten Grund: Das Verfassungsgericht ist keine Kontrollinstanz der vorherigen Gerichte, sondern prüft die Vereinbarkeit der richterlichen Entscheidungen mit dem Grundgesetz, also der Verfassung. Meistens werden die Beschwerden von den Verfassungsrichtern erst gar nicht zur Entscheidung angenommen, da die erforderliche Begründung der Beschwerde nicht ausreicht. Selbst Verfassungsrechtler und Rechtsexperten scheitern an dieser hohen Hürde.

Das Bundesverfassungsgericht ist kein Oberster Gerichtshof und Kontrolleur der anderen Gerichte

Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz. Es ist nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichts, die Entscheidungen der Zivilgerichte, zum Beispiel eines Landgerichts oder Oberlandesgerichtes, darauf hin zu prüfen, ob diese das Zivilrecht (z. B. BGB) oder das Strafrecht (z. B. StGB) richtig angewandt haben. Diese Prüfaufgabe fällt dem Bundesgerichtshof als höchstes deutsches Gericht in Zivil- bzw. Strafsachen zu. Das Verfassungsgericht prüft auch nicht, ob der Bundesgerichtshof verfahrensrechtlich alles richtig gemacht hat. Dasselbe gilt für die Verwaltungsgerichtsbarkeit genauso wie für die Strafgerichte.

Prüfungsmaßstab ist die Verfassung, das deutsche Grundgesetz

Das Bundesverfassungsgericht prüft nur, dies aber im Detail, ob eine Entscheidung (jeder Akt der öffentlichen Gewalt) mit der Verfassung vereinbar ist. Dabei muss es eine Antwort darauf geben, ob das Gericht oder die Behörde bei ihrer Entscheidung die Bedeutung der Grundrechte des betroffenen Bürgers hinreichend beachtet hat, oder ob die Anwendung im konkreten Einzelfall das Grundrecht eines Bürgers so stark beschnitten hat, dass dies verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigt ist. Beispielsweise, wenn das Zivilgericht die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) bei einer Entscheidung verkannt. Untersagen Zivilgerichte auf Grundlage eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs die Äußerung einer Meinung, kann die Entscheidung damit angegriffen werden, dass das Gericht bei der Anwendung des zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs, der als Allgemeinklausel formuliert ist, die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit verkannt hat. Dann kann das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklären, also aufheben (so z. B. jüngst wieder: BVerfG, Beschluss vom 19.02.2019, Az. 1 BvR 1954/17). Andererseits kann es auch an einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für das Eingreifen in das Recht des Bürgers fehlen.

Je schwerer in die wichtigen Rechte und Rechtsgüter des Bürgers eingegriffen wird, desto höher sind die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde. Diese Faustregel kommt vergleichsweise häufig im Strafrecht zum Tragen, da dort regelmäßig in die Freiheit des Betroffenen eingegriffen wird. Sowohl hinsichtlich der gesetzlichen Grundlagen als auch der Beachtung der vom Verfassungsgericht aufgestellten Vorgaben sind Beschwerden durchaus häufiger erfolgreich (z. B. BVerfG, Beschluss vom 28.03.2019, Az. 2 BvR 252/19 zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung).

Grundrechte werden nicht schrankenlos gewährleistet

Die meisten Grundrechte werden nicht völlig schrankenlos gewährleistet. Ein Blick in das Grundgesetz verrät, dass der Gesetzgeber in der Regel ermächtigt ist, ein Grundrecht durch ein einfaches Gesetz zu beschränken. Dieser Eingriff muss natürlich immer verhältnismäßig sein. Ebenso können kollidierende Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte ein Grundrecht beschränken. Lediglich Eingriffe in die Würde des Menschen sind durch nichts gerechtfertigt. Hier darf aber nicht übersehen werden, dass nicht jede Beschwer oder jedes Unwohlsein bereits einen Eingriff in die Menschenwürde darstellt.

Den normalen Rechtsweg ausschöpfen

Neben dem Begründungszwang für eine Verfassungsbeschwerde, die sich intensiv mit dem verletzten Grundrecht und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Grundrecht auseinandersetzen muss, bildet der so genannte Grundsatz der Rechtswegerschöpfung. Sie ist eine weitere wichtige Hürde für die Verfassungsbeschwerde. Der betroffene Bürger muss zunächst den „normalen“ Rechtsweg vollständig ausschöpfen. In der Regel ist ein Rechtsweg gegeben. Dies bedeutet, dass bei einer zivilrechtlichen Streitigkeit zunächst der komplette Instanzenzug ausgenutzt werden muss. Richtet sich der Bürger gegen eine Maßnahme oder ein Verhalten der Behörde, muss zunächst der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden, der in der Regel das Verwaltungsgericht, das Oberverwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht umfasst. Liegt eine Auseinandersetzung mit dem Finanzamt vor, so ist die Finanzgerichtsbarkeit der richtige Weg. Erst wenn dies alles nicht weiterführt und die Gerichte die Bedeutung eines oder mehrerer Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte des Rechtsschutz suchenden Bürgers verkannt haben, ist der Weg zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe eröffnet.

Die vorbeschriebenen Grundsätze gelten im Übrigen in ähnlicher Weise auch für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte („Menschenrechtsbeschwerde“, Art. 34 EMRK; Rechtswegerschöpfung in Art. 35 Abs. 1 EMRK) in Straßburg.

Erfolgswahrscheinlichkeit vorab prüfen

Gerne prüfe ich für Mandanten die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde. Viele Anfragen muss ich indes zurückweisen, weil schon im Erstgespräch deutlich wird, dass die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllt werden. Hier wäre es unredlich, beim Mandanten falsche Hoffnungen zu wecken. Immerhin ist der Zeitaufwand für die Erstellung der Beschwerdebegründung sehr hoch und damit für den Mandanten kostspielig.


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