Volksverhetzung: Veröffentlichung eines „Judensterns“ mit Aufschrift „Ungeimpft“ auf der Internetplattform Facebook
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KG Urt. v. 11.5.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22)
„Die für jedermann zugängliche Veröffentlichung eines sogenannten „Judensterns“ mit dem Zusatz „Ungeimpft“ auf der Plattform Facebook ist zur Störung des öffentlichen Friedens jedenfalls dann nicht geeignet, wenn sie auf ein kritisches persönliches Umfeld trifft und sich aus ihrem übrigen Inhalt - hier der Ankündigung, sich einen „Judenstern“ zu „basteln“ - ergibt, dass sie nicht auf die Provokation unfriedlicher Reaktionen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt ist.“
Darüber musste das Kammergericht im Fall des Judensterns entscheiden
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er habe im März 2021 auf seinem öffentlich einsehbaren Profil der Internet-Plattform Facebook den Post eines Bekannten geteilt. Dieser Post beinhaltete das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Jugend verwendet wurde. Dieser Stern war vorliegend mit der Inschrift „Nicht geimpft“ und der Überschrift „Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen“ versehen. Zu dem Post teilte er den Kommentar: „Ich bin dabei, einen Jugendstern zu basteln und an meine Jacke zu stecken, wenn die indirekte Impfpflicht kommt!“.
Im Dezember 2021 hat das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten wegen Volksverletzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.
Der Angeklagte hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Das Landgericht Berlin hat darauf im Mai 2022 das angefochtene Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.
Die daraufhin eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat das Kammergericht Berlin im Mai 2023 verworfen.
Gemäß § 130 Abs. 3 StGB macht sich strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
Vorliegend wurde der Angeklagte aufgrund der fehlenden „Eignung der Äußerung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens“ vom Vorwurf freigesprochen.
Das Kammergericht Berlin hat in seinem Urteil die Voraussetzung der Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, eingehend definiert:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, bei der hier in Frage kommenden Begehungsweise des Verharmlosens anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung eigens festzustellen und nicht indiziert (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862). Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist ein im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen, nach dem Eingriffe in die Meinungsfreiheit nicht darauf gerichtet sein dürfen, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2010, 47, 52). Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat (vgl. BVerfG aaO, 53). Weder der Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas" noch der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte sind Eingriffsgrund (vgl. BVerfG NJW 2018, 47, 2861, 2862; 2010, 47, 53). Die Verfassung setzt vielmehr darauf, dass auch diesbezüglich Kritik und selbst Polemik gesellschaftlich ertragen, ihr mit bürgerschaftlichem Engagement begegnet und letztlich in Freiheit die Gefolgschaft verweigert wird (vgl. BVerfG NJW 2010, 47, 53).
Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 f.; 2010, 47, 53). Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern (vgl. BVerfG aaO). Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG aaO).“
Anhand dieser Maßstäbe hat das Gericht eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der konkreten Äußerung vollzogen:
„Maßgeblich für die Beurteilung der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung ist eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der konkreten Äußerung (vgl. KG aaO; OLG Saarbrücken aaO [juris-Rdn. 23]). Zwar ist der Eintritt einer konkreten Gefahr für den öffentlichen Frieden nicht erforderlich, zu prüfen ist aber, ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrgeneigt war (vgl. BGH NStZ 2017, 146, 147; NJW 2001, 624, 626; jeweils mwN). Dabei können auch nachträglich eingetretene Umstände – hier die negativen Kommentierungen anderer Nutzer – berücksichtigt werden (vgl. OLG Saarbrücken aaO; Fischer aaO, Rdn. 13a; Krauß in LK, StGB 13. Auflage, § 130 Rdn. 138).“
Wie bereits dargestellt, hat auch das Kammergericht, wie das Landgericht Berlin, keine Eignung hinsichtlich einer Störung des öffentlichen Friedens angenommen. Zu berücksichtigen sei, dass aufgrund der überwiegend negativen Kommentare unter dem Post die Äußerung nicht auf Rechtsbruch, aggressive Emotionalisierungen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen angelegt sein konnte. Dies sei auch mit Blick auf den Inhalt festzustellen. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Profil des Angeklagten öffentlich und für jedermann zugänglich war. Die Äußerung „sich einen Judenstern basteln zu wollen“, lasse laut Gericht einen provozierenden, aber nicht unfriedlichen Protest erkennen.
Wie das Kammergericht am Ende ihrer Entscheidung selbst darstellt, steht die Entscheidung nicht im Widerspruch zu dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 25.06.2020 – 205 StRR 240/20. Die Entscheidung betrag eine Abbildung eines Judensterns mit den Jahreszahlen „1933 – 1945“, dem Logo der AfD und dem Zusatz „2013 - ?“. Die Umstände sind mit der vorliegenden Entscheidung nicht zu vergleichen. In dem Fall, den das Bayerische Oberste Landesgericht zu entscheiden hatte, trug der Angeklagte den Stern sichtbar auf einem Messegelände und war für andere Besucher dort deutlich erkennbar. Durch eine zusätzliche Veröffentlichung bei Twitter erweiterte er den Kreis noch.
Im Vergleich zum vorliegenden Fall ist anzumerken, dass es um die Veröffentlichung in einem kritischen Umfeld ohne besondere öffentliche Aufmerksamkeit ging. Die Kommentare waren negativ und wiesen auf die Unverhältnismäßigkeit des Vergleichs mit dem Holocaust und der damit verbundenen Verharmlosung hin.
Auch der 1. Strafsenat des OLG Braunschweig hat in seinem gerade erst ergangenen Urteil vom 07.09.2023 (1 ORs 10/23) die Entscheidung des Amtsgerichts Clausthal-Zellerfeld bestätigt, welches den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB freigesprochen hatte.
Der Vorwurf ist mit dem oben beschriebenen Vorwurf nahezu identisch. Er beruht auch auf dem Posten eines Judensterns mit der Aufschrift „Nicht geimpft“. Auch sein Post erhielt negative Kommentare, teilweise wurde er als „Nazi“ betitelt. Den Beitrag hat er selbst daraufhin gelöscht.
Allerdings stellt das OLG Braunschweig im Gegensatz zum LG Berlin, welches die Entscheidung darüber offen ließ, dar, dass die „Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) darstellt, denn die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zu trennen“. Die Nutzung des Judensterns beziehe sich nicht konkret auf den Völkermord an den Juden und damit nicht auf eine Handlung nach § 6 Abs. 1 VStGB.
„Dass die Pflicht zum Tragen des Sterns eine Vorstufe für die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung darstellte und diese erleichterte, genügt nach dem Wortlaut der Norm nicht. §130Abs.3StGBstellt die Bezugnahme auf eine Völkermordhandlung „der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art“ unter Strafe. Die – zweifellos schon für sich genommen furchtbare – Kennzeichnungspflicht beschreibt keine von § 6VStGBerfasste Handlung, auch keine Lebensbedingung, die im Sinne von §6Nr.3VStGBallein geeignet wäre, die körperliche Zerstörung der jüdischen Bevölkerung herbeizuführen (vgl. zu zerstörungsgeeigneten Handlungen: Kreß in Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 6 VStG, Rn. 54ff.).
Soweit die Staatsanwaltschaft den „Judenstern“ als „Symbol für die Judenverfolgung schlechthin“ ansieht und sich auf das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung zur Herrschaft des Nationalsozialismus und die bestehende Erinnerungskultur beruft, so ist diese Deutung zwar aus geschichts- oder politikwissenschaftlicher Perspektive naheliegend, da insoweit Sachverhalte stets auch kausal und konsekutiv in sinnhafte Zusammenhänge gestellt werden. Indes ist diese Vorgehensweise nicht auf die rechtswissenschaftliche Normanalyse übertragbar. Unter die im Tatbestand beschriebenen Handlungen muss – gerade wenn hier unmittelbar auf einen Rechtstext verwiesen wird – präzise subsumiert werden; eine symbolische Ausdehnung der in Bezug genommenen Akte ist eine Überdehnung des Wortlauts (vgl. Hoven/Obert, NStZ 2022,331,333).“
Auch hier stellte das OLG Oldenburg dar, dass es keinen Widerspruch zu der oben bereits genannten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts gibt. In der Entscheidung war der Judenstern ausdrücklich mit den Jahreszahlen 1933-1945 in Verbindung gebracht, sodass eine Bezugnahme auf das NS-Unrecht bestand.
Insgesamt zeigen die Entscheidungen, dass keine verbindlichen Aussagen dahingehend getroffen werden können, die Veröffentlichung eines sog. „Judensterns“ mit der Aufschrift „Nicht geimpft“ oder „Ungeimpft“ in den sozialen Netzwerken begründe auf keinen Fall eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 3 StGB.
Zusammenfassung des Urteils zur Volksverhetzung
Grundsätzlich hat das Urteil des OLG Oldenburg gezeigt, dass die reine Verwendung des Judensterns ohne darüber hinaus hergestellten Bezug zu dem Völkermord an den Juden und einer begangenen Handlung nach § 6 Abs. 1 VStGB die Strafbarkeit nach § 130 Abs. 3 StGB nicht begründet. Sobald weitere Zusätze zu dem Stern angefügt werden, ist zu prüfen, ob ein Bezug zu dem Völkermord herzustellen ist, wie zum Beispiel durch Anführen der Jahreszahlen 199-1945, die eindeutig dieser Zeit zu zuordnen sind.
Darüber hinaus ist es vom Einzelfall abhängig, ob die Handlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Bewertung hat sich an den vom Landgericht Berlin dargestellten Kriterien und Maßstäben zu orientieren. Insbesondere die Reichweite der Kenntnisnahme und die hervorgerufenen Reaktionen sind darin einzubeziehen.
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