Wohnsitzverlegung in die Schweiz – Teil 3

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Rechtsanwalt Rüdiger BOCK, LL.M., Konstanz
Fachanwalt für Steuerrecht

Aktualisiert Juni 2022

I. Wegzugsbesteuerung bei Kapitalgesellschaftsanteilen

1. Aufdeckung der stillen Reserven

Sofern der Wegziehende Beteiligungen an Kapitalgesellschaften hält, führt der Wegzug immer dann zu einer Besteuerung (Aufdeckung) der stillen Reserven (d. h. versteuert wird die Differenz zwischen dem gemeinen Wert der Beteiligung und den Anschaffungskosten), wenn eine Beteiligung zu mind. 1% am Kapital der Gesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vorlag (§ 17 EStG) und der Auswandernde vor dem Wegzug mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war (§ 6 AStG).

Damit wird der Wegzug steuerlich einer Veräußerung des Gesellschaftsanteils gleichgestellt, ohne dass tatsächlich eine Veräußerung stattgefunden hat (Fiktion). Der Gewinn wird allerdings nur zur 60 % der Einkommensteuer unterworfen (Teileinkünfteverfahren, § 3 Nr. 40 lit. c EStG). Betroffen sind insbesondere auch Anteile des Steuerpflichtigen an schweizerischen Kapitalgesellschaften bzw. solchen mit Sitz in Drittstaaten.

Dadurch kann eine erhebliche Steuerlast auf den Wegziehenden zukommen, die nicht durch entsprechenden Mittelzufluss (Veräußerungserlös) kompensiert wird. Diese Regelung hat sich Deutschland deshalb vorbehalten, da ansonsten das Besteuerungsrecht für einen Gewinn bei tatsächlicher Veräußerung nach dem DBA nur Ansässigkeitsstaat, also der Schweiz, zugewiesen wäre (Art. 13 DBA D-CH). Hier wäre der Gewinn aber in der Regel steuerfrei (Art. 16 Abs. 3 DBG, Art. 7 Abs. 4 lit. b StHG).

In Anbetracht der niedrigen Grenze einer Beteiligung (1 %) ist der sog. Wertzuwachssteuer bei der Überprüfung der Wegzugspläne besondere Aufmerksamkeit zu schenken und gegebenenfalls über entsprechende Vermeidungsstrategien nachzudenken.

Ist die Beteiligung höher als 1 %, aber geringer als 25 %, kann es günstiger sein, die genannte Wegzugsbesteuerung in Kauf zu nehmen und die Beteiligung aus der Schweiz heraus zu veräußern (Art. 13 Abs. 4 DBA). Die tatsächlichen Veräußerungsgewinne wären nach dem DBA dann in der Schweiz zu besteuern und dort in der Regel steuerfrei. Im Ergebnis bedeutet dies eine steuerfreie Realisierung jenes Wertzuwachses, der nach dem Wegzug in die Schweiz entstanden ist. Zu beachten sind allerdings die oben angesprochene Regelung zur Übergangsfrist und die Regelung bei der Pauschalbesteuerung. Bei einer Beteiligung von mehr als 25 % müssen nach dem Wegzugsjahr stets 5 Jahre vergangen sein.

2. Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dem von mir erstrittenen Urteil in der Rechtssache "Wächtler" (Aktenzeichen C-581/17) entschieden, dass es gegen die Freizügigkeitsrechte einer Person verstößt, wenn das Steuersystem vorsieht, dass die Steuer sofort erhoben wird. 

In der Folge hat der deutsche Gesetzgeber die Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) zum 01.01.2022 neu geregelt. Nunmehr wird den Steuerpflichtigen auf Antrag gewährt, die Wegzugssteuer in sieben gleichen Jahresraten zu bezahlen. Die Jahresraten sind nicht zu verzinsen. Allerdings wird dem Antrag in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung stattgegeben. 

Ob diese Regelung den Vorgaben des EuGH nun genügt, ist zweifelhaft. Denn auch bei einer Aufteilung auf sieben Raten stellt die Wegzugsbesteuerung noch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Entsprechende Bescheide sollten unter diesem Gesichtspunkt geprüft werden.


II. Erbschaft- und Schenkungsteuer

Bereits vor der Verlegung des Alterswohnsitzes sollte sich der Wegziehende Gedanken über die Nachlassplanung machen. Gerade bei der Erbschaftsteuer können sich große Unterschiede in der Steuerbelastung ergeben, erheben doch einige schweizerische Kantone keine oder nur eine geringe Erbschaftsteuer. Insbesondere gibt es oftmals steuerliche Privilegien bei der Vermögensübertragung zwischen Angehörigen.

1. Deutsches Erbschaftsteuerrecht

Eine unbeschränkte deutsche Erbschaftsteuerpflichtbesteht, wenn entweder der Erblasser oder der Erwerber Inländer ist. [11] Als Inländer gelten Personen, die entweder in Deutschland ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt haben, [12] oder wenn sie sich als Deutsche zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland ihren Wohnsitz zu haben, sog. erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht. [13] Letztere Regelung bewirkt, dass der Wegziehende auch für die fünf Jahre, die seinem Wegzug folgen, einen „fiktiven Wohnsitz“ nach deutschem Recht beibehält. Dies lässt sich durch die Aufgabe der deutschen Staatsbürgerschaft vermeiden.

Sollte der Erblasser nach Ablauf von 5 Jahren, aber noch innerhalb von 10 Jahren nach dem Wegzugsjahr sterben, wird das in Deutschland belegte Vermögen besteuert, [14] [15] darüber hinaus alle Wirtschaftsgüter, [16] deren Erträge als deutsche Erträge zählen. [17] Dabei steht nur ein reduzierter Freibetrag zur Verfügung. [18] Diese Regelung wurde allerdings jüngst durch den Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erachtet. [19] Auch die Abzugsfähigkeit von Schulden und Lasten ist eingeschränkt. [20]

Jedoch scheidet die Steuerpflicht für dieses Inlandsvermögen aus, wenn für dieses im Ausland eine Erbschaftsteuer entrichtet wird, die mind. 30 % der deutschen Erbschaftssteuer entspricht. [21] Damit ist möglicherweise nicht der Kanton, der keine Erbschaftssteuern erhebt, der günstigste. Vielmehr wird es der Kanton sein, der die 30 %-Marke erreicht. [22]

2. Modifikationen durch das ErbSt-DBA

Diese Steuerfolgen werden durch das zwischen Deutschland und der Schweiz bestehende Erbschaftsteuer-Doppelbesteuerungsabkommen (ErbSt-DBA) modifiziert. Dieses regelt das Besteuerungsrecht für Erbschaft- und Nachlasssteuern, nicht jedoch das für Schenkungssteuern. Die Belastung mit deutschen Schenkungssteuern richtet sich ausschließlich nach deutschen Gesetzen.

Die Systematik des ErbSt-DBA ist dabei dieselbe wie die bei der Einkommensteuer geschilderte: Eigentlich hätte nur die Schweiz (Mittelpunkt der Lebensinteressen des Erblassers) das Besteuerungsrecht. Verfügte der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod noch für fünf Jahre über eine ständige Wohnstätte in Deutschland, so steht dennoch Deutschland das Besteuerungsrecht zu. [23] Die Folge ist, dass die steuerliche Belastung auf das deutsche Steuerniveau hochgeschleust und die schweizerische Steuer angerechnet wird. Dies tritt nicht ein, wenn der Erblasser zur Aufnahme einer Arbeit oder zwecks Eheschließung in die Schweiz kam oder schweizerischer Staatsangehöriger war. [24]

Falls der Erblasser kein Inländer mehr ist, im Zeitpunkt des Todes seinen Wohnsitz in der Schweiz hatte, die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und zum Nachlassvermögen auch in der Schweiz gelegene Immobilien gehören, weist das Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht für die schweizerischen Immobilien der Schweiz zu. Die entsprechenden Artikel im Doppelbesteuerungsabkommen sind nicht völlig eindeutig, der Bundesfinanzhof hat aber in einer Entscheidung vom 20.03.2019, Aktenzeichen: II R 62/15 klargestellt:

„Die entsprechende Anwendung von Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz bedeutet, dass […] die Regelungen in den Buchst. a und b des Art. 10 Abs. 1 DBA-Schweiz gelten […]. Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Schweiz nimmt Deutschland in der Schweiz gelegenes unbewegliches Vermögen i.S. des Art. 5 Abs. 2 DBA-Schweiz (u. a. Grundstücke) von der Besteuerung aus, wenn der „Erblasser“ im Zeitpunkt seines Todes schweizerischer Staatsangehöriger war. Die Verweisung in Art. 8 Abs. 2 Satz 3 DBA-Schweiz auf Art. 10 Abs. 1 Buchst. a DBA-Schweiz schränkt insofern das Deutschland zustehende Nachbesteuerungsrecht ein.“

Die Regelung gilt nur für Immobilien, die in der Schweiz belegen sind. Sonstiges Vermögen ist demnach nicht ausgenommen. Nur wenn der Erwerber auch die schweizerische Staatsangehörigkeit hat, gilt die Ausnahme auch für sonstiges Vermögen.

3. Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaates

Im Erbfall kann das unbewegliche Vermögen des Erblassers und dessen Betriebsstättenvermögen von dem Staat besteuert werden, in dem das Vermögen liegt bzw. sich die Betriebsstätte eines Unternehmens befindet. [25] Dies gilt auch für Beteiligungen an Personengesellschaften. [26] In der Schweiz sind diese Einnahmen von der Besteuerung [27] freigestellt, finden allerdings für die Bemessung der Höhe des schweizerischen Steuersatzes [28] Anwendung. Das übrige Vermögen wird grundsätzlich von dem Staat besteuert, in dem der Erblasser seinen Wohnsitz hatte. [29]

4. Ständige Wohnstätte des Erwerbers

Schließlich steht Deutschland ein Besteuerungsrecht in dem Fall zu, in dem der Erwerber des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers über eine ständige Wohnstätte in Deutschland verfügt oder dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. [30] Auch hier wäre die Folge, dass die Belastung auf das deutsche Steuerniveau hochgeschleust und die schweizerische Steuer angerechnet würde. Um dies zu umgehen, müssen auch die Erbberechtigten mit in die Schweiz ziehen, was sich z. B. bei volljährigen Kindern (Internat, Studium in Deutschland etc.) schwierig gestalten kann.

5. Schenkungen

Da das ErbSt-DBA auf Schenkungen keine Anwendung findet, richtet sich die Besteuerung nach nationalen Gesetzen. Dies führt dazu, dass eine Schenkung in Deutschland steuerpflichtig ist, wenn entweder der Schenker oder der Beschenkte in Deutschland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder wenn seit dem Wegzug einer der beiden – unter der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit – weniger als fünf Jahre vergangen sind. [31] Die Schenkung ist hingegen immer in Deutschland steuerpflichtig, wenn sie Inlandsvermögen betrifft. [32] [33] Wie bei der Erbschaftsteuer wird auch hier das Inlandsvermögen erweitert auf alle Wirtschaftsgüter, deren Erträge als deutsche Einkünfte zählen. [34] [35] Diese Erweiterung gilt für einen Zeitraum von zehn Jahren, ohne dass deren Reichweite durch ein DBA – wie bei der Erbschaftsteuer – eingeschränkt wird.

III. Zusammenfassung

Wie die obenstehenden Ausführungen deutlich machen, bestehen durch die deutsche außensteuerliche Gesetzgebung und das DBA erhebliche Hürden, die den Wegzug in die Schweiz – zumindest für einen gewissen Zeitraum – unattraktiv machen. Um die überdachende Besteuerung zu vermeiden, muss eine ständige Wohnstätte in Deutschland vermieden werden. Wird der Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland vollständig aufgegeben, beginnen die Übergangsfristen nach dem DBA und dem AStG zu laufen. Letztlich müssen auch die grundsätzlichen Nachteile einer vollständigen deutschen Wohnsitzaufgabe sowie Nachteile bei geplanten Unternehmensumstrukturierungen mit Sorgfalt berücksichtigt werden. Auch die Gefahr der Aufdeckung der stillen Reserven darf nicht übersehen werden.

Ob es sich für den Steuerpflichtigen lohnt, die schweizerische Pauschalbesteuerung zu wählen, hängt von der Art seiner Einkommensquellen ab. Möglichweise ist die modifizierte Pauschalbesteuerung ratsam, um von den Vorteilen der Regelungen im DBA profitieren zu können. Hier sind Vergleichsrechnungen anzustellen, um die günstigere Variante wählen zu können.

Die deutsche Erbschaftsteuer lässt sich nur bei sorgfältiger Gestaltung umgehen. Um das hohe deutsche Steuerniveau zu vermeiden, dürfen weder Erwerber noch Erblasser einen Wohnsitz bzw. eine ständige Wohnstätte in Deutschland haben. Ungünstig wirkt sich ein Erbfall innerhalb der ersten sechs Jahre nach dem Wegzug aus, denn solange gilt noch ein fiktiver Wohnsitz des Erblassers in Deutschland, es sei denn, dass es dem Erblasser ausnahmsweise vor dem Wegzug gelingt, die schweizerische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Auch nach Ablauf der sechs Jahre muss darauf geachtet werden, dass die Erben ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland haben, und Grund- sowie Betriebsstättenvermögen in Deutschland aufgelöst worden sind.

Teil 1 und Teil 2

Diese Zusammenstellung stellt keine Empfehlung oder Beratung dar und kann eine auf den Einzelfall zugeschnittene juristische Beratung und Beurteilung der Rechtslage nicht ersetzen. Zu besseren Verständlichkeit wurde auf eine genaue und vollständige Darstellung verzichtet. Lassen Sie sich daher beraten, bevor Sie eine Entscheidung treffen.


[2] Beteiligung im Sinne des § 17 EStG, d. h. unmittelbar oder mittelbar innerhalb der letzten fünf Jahre.

[6] Art. 49 AEUV, ex Art. 43 EGV.

[11] Nach § 2 Nr. 1 ErbStG.

[12] § 2 Abs. 1 Nr. 1 a) ErbStG.

[13] § 2 Abs. 1 Nr. 1 b) ErbStG.

[14] I.S.d. § 121 BewG: land- und forstwirtschaftliches Vermögen, inländisches Grundvermögen, inländisches Betriebsvermögen, Anteile an einer inländischen Kapitalgesellschaft etc.

[15] § 4 AStG.

[16] Erweiterung nach § 4 Abs. 1 AStG unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AStG.

[17] §§ 34c Abs. 1, 32d EStG.

[18] § 16 Abs. 2 EStG.

[19] EuGH, Urteil vom 17. Oktober 2013, Rs. C-181/12, Rechtssache Welte, ABl EU 2013, Nr C 367, 11-12, DStR 2013, 2269-2274. Entscheidungsbesprechung BILLIG, Finanz-Rundschau -FR- 2013, 1109-1110.

[20] § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG.

[21] Nach § 4 Abs. 2 AStG.

[22] Deininger, Wegzug aus steuerlichen Gründen, Angelbachtal (2004), S. 11.

[23] Art. 4 Abs. 4 ErbSt-DBA.

[25] Art. 5 und 6 ErbSt-DBA.

[26] Art. 6 Abs. 9 ErbSt-DBA.

[27] Art. 10 Abs. 2 ErbSt-DBA.

[28] Progressionsvorbehalt.

[29] Art 8 Abs. 1 ErbSt-DBA.

[30] Konkurrierendes Besteuerungsrecht, Art. 8 Abs. 2 ErbSt-DBA.

[31] § 2 Abs. 1 Nr. l a) und b) ErbStG.

[32] § 121 BewG.

[33] § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG.

[34] §§ 34c Abs. 1, 32d EStG.

[35] Erweiterung nach § 4 AStG unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AStG.


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