Kann man ein (Mord-)Geständnis widerrufen? Führt der Geständniswiderruf zum Freispruch?

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Eine der wichtigsten Fragen in der Vorbereitung eines Strafverfahrens lautet: Legt man ein Geständnis ab?

Motivation kann neben oder anstelle persönlicher „echter“ Reue sein, dass das Gericht einen Beschuldigten eines Strafverfahrens auch ohne Einlassung zur Tat (äußeres wie inneres Tatgeschehen) mit vorhandenen Beweismitteln überführt. 

Das Szenario einer drohenden Verurteilung oder eines Freispruchs einzuschätzen ist Aufgabe des Rechtsanwalts im Strafrecht, der – erfahrungsbasierend und in Kenntnis der jeweiligen Richterinnen und Richter und örtlicher obergerichtlicher Rechtsprechung – anhand der Akte prognostizieren kann, ob ein Schuldspruch, Teilschuldspruch oder Freispruch (bei Veränderung der angeklagten Tat hin zum Vergehen; Einstellung nach §§ 153 ff StPO) am Ende des Verfahrens herauskommt. 

In diese Überlegungen muss einfließen die BGH-Rechtsprechung zum Ablegen eines Geständnisses: 

Ein Geständnis hat nur geringes, die Strafe milderndes Gewicht, wenn es allein aus prozesstaktischen Gründen abgelegt wird und wenn das Leugnen ganz aussichtlos wäre (StV 91, 108, BGH 3 StR 620/97) oder wenn das Geständnis sich jeweils nur auf Tatsachen erstreckt, die schon bewiesen sind. 

Nach dem BGH kann auch ein ausgehandeltes Geständnis strafmildernd berücksichtigt werden (BGH 43, 210). Die Strafmilderung wird dann nämlich als wesentliche Gegenleistung der Strafverfolgungsbehörden bei Absprachen, die als Vorleistung des Beschuldigten ein Geständnis zum Gegenstand haben, verstanden.

Schließlich verkürzt ein (umfassendes) Geständnis die Dauer der Beweisaufnahme und verursacht weniger Hauptverhandlungstage bei Gericht und schont somit die jeweilige Landeskasse. 

Wäre es also sinnvoll ein (Teil-)Geständnis abzugeben oder nicht? 

Und wenn ja: Bei welchem Verfahrensstand sollte dies taktisch am besten erfolgen? 

Grundsätzlich gilt das Geständnis des Beschuldigten (bzw. Angeklagten in der Hauptverhandlung) nicht als Strengbeweismittel im Sinne der Strafprozessordnung. Dies geht schon aufgrund des chronologischen Ablaufs einer Hauptverhandlung nicht. § 244 I StPO regelt nämlich:

Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.“

Auch dem Wortlaut des Gesetzes nach wird unterschieden zwischen dem Angeklagten und den Zeugen (deren Einvernahme innerhalb der Beweisaufnahme stattfindet). 

Gleichwohl wird das Geständnis in der prozessualen Praxis als ein solches Strengbeweismittel angesehen. In seiner Anklageschrift führt der Staatsanwalt als erstes Beweismittel die ((teil-)geständige) Einlassung des Angeklagten auf.

Daher kann das Gericht aus dem Geständnis Feststellungen der Tatsachen vornehmen, die den Hergang der Tat, die Schuld des Täters oder die Höhe der Strafe betreffen.

Diese Regeln gelten für ein Geständnis genauso für einen stets zulässigen Widerruf.

Vorteile eines Geständnisses durch milderes Urteil? 

Ein frühzeitiges Geständnis durch den Beschuldigten, kann und wird in der Regel auch von dem Gericht bei der Strafzumessung berücksichtigt. 

So kann ein voll umfassendes Geständnis mit der Beantwortung weiterer Folgefragen des Gerichts zu einer milderen Strafe für den Beschuldigten führen. 

Auszunehmen sind dabei Geständnisse bei Kapitalverbrechen wie Mord, da hierbei die absolute exklusive Strafe bei Gesetzesanwendung und Schuldfeststellung droht: „lebenslange Freiheitsstrafe“, an welche das Gericht gebunden ist (§ 211 Abs. 1 StGB: Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft“). 

Das Ablegen eines Geständnisses bei vorgeworfenen Kapitalverbrechen (aus einem Totschlagsvorwurf im Ermittlungsverfahren wird häufig ein Mordvorwurf im Hauptverfahren) wird ergo keine Milderung bringen, da die Mordfeststellung das Gericht zur Verurteilung zu lebenslang verpflichtet. 

Nur in Ausnahmefällen und mit Blick auf die anschließende Vollstreckung kann beim Mordvorwurf mit einem Geständnis evtl. die „besondere Schuldschwere“ verhindert werden, auf welche beim Vorliegen mehrerer Mordmerkmale erkannt wird. Für die Praxis bedeutet dies, dass ein Verurteilter nicht vor Ablauf von 18 Jahren Haft aus dem Gefängnis freikommt. 

Ansonsten bedeutet lebenslang 15 Jahre Haft. 

Dass es sich also wegen möglicher Vermeidung von 3 Jahren (15 Jahre Haft als Regel bei lebenslang, 18 Jahre Haft als Regel) wegen besonderer Schwere der Schuld noch prozessual „rentiert“, ein Geständnis abzulegen, halte ich für äußerst zweifelhaft und mit Blick auf die Wahrnehmung des Interesses eines Mandanten für bedenklich. 

Zu berücksichtigen ist ferner, dass bei Kapitaldelikten das Schwurgericht als Tatgericht verpflichtet ist, die Taten wegen deren bedeutender Rechtsfolge (lebenslang) gänzlich aufzuklären, unabhängig davon, wie detailliert das Geständnis abgeben wurde und wie glaubhaft es ist (§ 244 Abs. 2 StPO). 

Denn Geständnisse müssen vom Gericht vollumfänglich auf Logik, Richtigkeit, Glaubhaftigkeit und Vollständigkeit geprüft werden. 

Ein „Ja, ich war es“ zu Beginn der Hauptverhandlung, ist daher weder zielführend, noch ausreichend oder geeignet einen Vorteil in der Strafzumessung zu erhalten.

Wenn Widerruf, was geschieht mit dem vorherigen Geständnis?

Sollte es in einem Ermittlungsverfahren zu einem Geständnis gekommen sein, dass später widerrufen wird, ist fraglich, was für das Gericht nun verwertbar ist. 

Grundsätzlich gilt der Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit aus § 250 StPO, so dass das Gericht den Angeklagten selbst hören muss und dies nicht auf die Verlesung früherer Protokolle beschränken darf. 

Der Beschuldigte wird nun wohl seinen Widerruf bestätigen (und wird zu dessen rücknehmender Motivation befragt werden), so dass er selbst sein früheres Geständnis nicht der Hauptverhandlung bestätigen wird. 

Allerdings kann das frühere Geständnis zumindest mittelbar seinen Weg in die Hauptverhandlung finden:

1. Hat der Beschuldigte das Geständnis bei einer richterlichen Vernehmung abgegeben, erlaubt § 251 II StPO unter den dortigen Voraussetzungen das Verlesen des richterlichen Vernehmungsprotokolls. Dies setzt aber immer (!) eine richterliche Vernehmung voraus. Bei einer polizeilichen Vernehmung ist dies nicht zulässig.

2. Als Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz ist es aber auch zulässig bei polizeilichen Vernehmungen den vernehmenden Beamten als „Person vom Hörensagen“ zu vernehmen. Diese wird dann zur Hauptverhandlung geladen und muss schildern, was der Beschuldigte bei seinem Geständnis bei der Polizei angegeben hat. 

Der Beweiswert bei solchen Zeugen vom „Hörensagen“ ist allerdings etwas gemindert, da die Aussage lediglich „übers Eck“ in die Hauptverhandlung kommt.

Es ist also grundsätzlich möglich, ein früheres Geständnis in die Hauptverhandlung zu bekommen, um dieses vom Gericht werten zu lassen. Das Gericht wird seine Verurteilung auf das (frühere) Geständnis also stützen und weitere Beweise und Indizien heranziehen. 

Verhältnis Geständnis- Widerruf, Aufklärungspflicht § 244 II STPO

Fraglich ist allerdings, wie das Gericht nun mit einem früheren Geständnis und dem jetzigen Widerruf bei der Bewertung des Falles vorgehen kann. 

Grundsätzlich gilt hier die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO. Die gleichen Anforderungen, die oben an ein Geständnis aufgezeigt wurden, gelten auch für den Widerruf. Das Gericht wird erforschen müssen, weshalb ein Geständnis vom Beschuldigten, jetzt Angeklagten, widerrufen wird. 

Somit darf sich zwischen Geständnis und Widerruf keine Dysbalance ergeben. Eine solche Dysbalance bezüglich Logik, Inhalt und Glaubhaftigkeit macht eine der beiden Aussagen daher deutlich weniger glaubhaft für das Gericht. Es muss dennoch eine umfassende Gesamtwürdigung beider Aussagen durch das Gericht stattfinden.

Weitere Beweismittel: Fernwirkung, vgl. LG Frankfurt Main Gäfgen/Daschner

Anders als im amerikanischen Rechtssystem kennt die deutsche Strafjustiz kein vollumfängliches Verbot der Fernwirkung. Daher ist es in Deutschland möglich, dass andere Beweismittel, die aus dem früheren (und jetzt widerrufenen) Geständnis erfolgt sind, im Strafverfahren weiter verwertet werden dürfen. 

Diese unterliegen also – anders als in den USA – nicht einem vollumfänglichen Beweisverwertungsverbot. („Früchte des verbotenen Baumes“ – „Fruit of the poisonous tree-doctrtine“ ). Diese Frage wurde im Jahre 2002 im Gäfgen-Daschner-Fall lebendig diskutiert. 

Hier stellte sich die Frage, ob die Androhung von Schmerzen bei einer polizeilichen Vernehmung (ausnahmsweise) zulässig ist, um den Aufenthaltsort eines Kindes durch den Entführer zu erfahren. 

Der Beschuldigte, der vorher keine Angaben zum Aufenthaltsort machte, knickte unter Eindruck der Folterandrohung ein und verriet das Versteck des Kindes. Die Beamten gingen damals davon aus, dass das Kind noch leben würde, was allerdings bereits zu Beginn der Tat beim Täter in der Wohnung erstickt wurde. 

Eine solche Vernehmung – so urteilten später die Frankfurter Juristen – verstößt gegen § 136 a StPO, da Beweisgewinnung nicht durch Folter(-androhung) gemacht werden darf. Die zuständigen Polizeibeamten wurden demzufolge konsequent zu Geldstrafen verurteilt.

Widerruf sinnvoll?

Wann ein solcher Widerruf sinnvoll sein kann, kann pauschal nicht beantwortet werden. 

Bei Anwaltswechsel kann ein Geständniswiderruf angeraten worden sein, um überhaupt eine Möglichkeit gegen die drohende lebenslange Freiheitsstrafe zu eröffnen, wenn die Tat in der Vergangenheit schon gestanden wurde. 

Generell sind nur absolute Ausnahmefälle vorstellbar, bei denen ein Widerruf des Geständnisses für den Beschuldigten zu besseren Ergebnissen führen kann.

Einen „erfolgreichen“ Widerruf vom Geständnis beim Mord hat es in der Geschichte der BRD m. E. n. noch nicht gegeben. 

Da im Frankfurter Kindsmörderfall Magnus Gäfgens am Bankierssohn Jakob von Metzler dessen Verteidiger ihm (angeblich unter Androhung der Mandatsniederlegung) anriet, ein nachträgliches Mordgeständnis abzulegen, musste der BGH die Frage der Verwertbarkeit eines allein durch Straftat, ergo Aussageerpressung durch Folterandrohung zustande gekommenen Geständnisses nicht würdigen. 

Ein Rückgreifen und das Anstellen eines Rechtsvergleichs erübrigt sich daher. 

Auch im aktuellen Fall mit dem ehemaligen Geständnis – unterstellt es ist nicht rechtswidrig zugestanden gekommen – dürfte für das Tatgericht vom Beweisprogramm her genug anhaften bleiben, um eine Verurteilung auch auf das alte Geständnis des Beschuldigten, späteren Angeklagten, stützen zu können. 

D. Lehnert

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Lehrbeauftragter StPO (HWR-Berlin) unter Mitwirkung von 

Ref. Iur. Timothy Peiker



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