Unzureichende Patientenaufklärung - Kläger erstreitet Schmerzensgeld ​

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Das Landgericht Wuppertal stellte in seinem Urteil vom 10.01.2024 fest, dass der Kläger nach einer umfangreichen Gewebeentnahme an seinem Zungenrand, durchgeführt 2018 aufgrund auffälliger Befunde nach einer Krebsbehandlung im Jahr 2017, nicht ordnungsgemäß über die Eingriffsweite aufgeklärt wurde. Obwohl die Entfernung des Gewebes medizinisch gerechtfertigt war, um ein Krebsrezidiv auszuschließen, hatte der Kläger in dem Glauben zugestimmt, es handle sich nur um eine punktuelle Probeentnahme. Das Gericht wies den Einwand der Klinik zurück, der Kläger hätte auch bei einer umfassenden Aufklärung in den Eingriff eingewilligt (hypothetische Einwilligung). Vielmehr überzeugte der Kläger das Gericht, dass er sich gegen eine vollständige Entfernung entschieden hätte, trotz des Risikos, dass eine bloße Punktion möglicherweise nicht ausreichend gewesen wäre, um bösartiges Gewebe sicher zu identifizieren oder auszuschließen. Aufgrund dieser unzureichenden Aufklärung und der daraus resultierenden ständigen Mundtrockenheit und einer Sprechstörung entschied das Gericht, dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 20.000 zuzusprechen.

Bei dem Kläger war im Jahr 2017 ein bösartiger Tumor an der Zunge entfernt worden mit nachfolgender Bestrahlung und Chemotherapie. 

Schon im Sommer 2018 traten an der bereits 2017 operierten Stelle im Zungenbereich erneut Auffälligkeiten auf. Die hierzu von dem Kläger konsultierten Ärzte einer großen Klinik im Ruhrgebiet rieten dem Kläger zu Probeentnahmen am auffälligen Zungenrand. Dem stimmte der Kläger zu. 

Nach dem Eingriff stellte der Kläger jedoch fest, dass die behandelnden Ärzte nicht lediglich punktuell Gewebeproben entnommen, sondern im Zuge des Eingriffs den suspekten Zungenrand auf einer Fläche von 2,5 cm x 1 cm vollständig abgetragen hatten. Die anschließende Untersuchung des entnommenen Gewebes ergab keinen Anhalt für ein Rezidiv. Der vor Durchführung des Eingriffs bestehende Krebsverdacht bestätigte sich also nicht. Stattdessen leidet der Kläger infolge des großflächigen Abtrags seines Zungenrandes unter einer ständigen Mundtrockenheit und einer Sprechstörung. Auch die Nahrungsaufnahme ist erschwert.

Die beklagte Klinik vertrat die Auffassung, dass die auffälligen Veränderungen am Zungenrand des Klägers eine vollständige Entfernung des verdächtigen Gewebes zum sicheren Ausschluss einer wieder auftretenden Krebserkrankung geboten hätten. Bei dem umfangreichen Gewebeabtrag habe es sich darüber hinaus auch lediglich um eine Probeentnahme gehandelt, weshalb der Kläger nicht unzureichend aufgeklärt worden sei. In jedem Fall hätte sich der Kläger in Kenntnis des Risikos, dass bei lediglich punktueller Entnahme von Gewebe die wieder aufgetretene Krebserkrankung nicht zu Tage gebracht worden wäre, für die Durchführung des tatsächlich erfolgten großflächigen Gewebeabtrags entschieden (hypothetische Einwilligung).

Diese Argumentation der Klinik überzeugte die Arzthaftungskammer des Landgerichts Wuppertal  jedoch nicht. Im Urteil vom 10.01.2024  stellte das Gericht zwar fest, dass die durchgeführte umfangreiche Gewebeentnahme medizinisch geboten war, um ein etwaiges Rezidiv der Krebserkrankung des Klägers zutage zu bringen. Der Eingriff war nach der Bewertung des Gerichts auf der Grundlage eines gerichtlich eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens daher als solcher nicht zu beanstanden. Der Kläger war nach der Bewertung des Gerichts jedoch durch die behandelnden Ärzte der Klinik nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Zur Überzeugung des Landgerichts durfte der Kläger annehmen, dass es sich bei der ihm angeratenen Probeentnahme lediglich um eine punktuelle Entfernung von Gewebe handeln würde und nicht – wie tatsächlich geschehen – um eine vollständige Entfernung des auffälligen Gewebes an seinem Zungenrand. Auch der Einwand der beklagten Klinik, der Kläger würde auch im hypothetischen Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in den Eingriff eingewilligt haben, überzeugte das Gericht nicht. Denn der Kläger hatte zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass er sich in Kenntnis des tatsächlich von den Ärzten beabsichtigten operativen Vorgehens in einem echten Entscheidungskonflikt für oder wider den Eingriff befunden hätte. Der Kläger hatte bei persönlicher Anhörung dem Gericht überzeugend dargelegt, dass er sich gegen eine vollständige Entfernung des auffälligen Gewebes entschieden hätte, auch wenn das Risiko bestand, dass bei einer bloßen Punktion nicht ausreichend Probematerial hätte gewonnen werden können, um bösartiges Gewebe sicher feststellen bzw. ausschließen zu können. Nachvollziehbar und für das Gericht überzeugend hatte der Kläger darüber hinaus geschildert, welche Beschwerden die Entfernung eines Teilstücks der Zunge ihm im Zusammenhang mit der ersten Operation im Jahr 2017  bereits bereitet hat und er diese Einschränkungen und Beschwerden nicht hätte noch einmal auf sich nehmen wollen. Er hätte, so zur Überzeugung des Gerichts, lieber einen unter Umständen tödlichen Verlauf in Kauf genommen, als sich ein weiteres Teilstück der Zunge entfernen zu lassen. Dies war durch die als Zeugin gehörte Ehefrau des Klägers auch genau so bestätigt worden.


Als Rechtsfolge gelangt das Gericht in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zuzusprechen ist, welches unter Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO durch das Landgericht mit EUR 20.000  beziffert wird.

Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 10.01.2024 – 2 O 296/21

Prozessbevollmächtigter auf Klägerseite:  RA Michael Timpf, Hannover


Stichworte: Arzthaftung, Behandlungsfehler, Aufklärungsrüge, fehlerhafte Aufklärung, Patientenaufklärung, Patientenanwalt, Schmerzensgeld

RA Michael Timpf, Hannover

Patientenanwalt seit 1997

Bundesweite Vertretung

Nur auf Patientenseite

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Foto(s): RA Michael Timpf


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