Anspruch auf Krankentagegeld, wenn man nicht (mehr) zu 100 % arbeitsunfähig ist?

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Der Anspruch auf das versicherte Krankentagegeld ist vor dem Hintergrund der vereinbarten Versicherungsbedingungen immer gegeben, wenn man krankheitsbedingt zu 100 % arbeitsunfähig ist. Ist man nur für kurze Zeit krankheitsbedingt arbeitsunfähig krankgeschrieben, gibt es in der Regel keine Probleme mit dem Krankentagegeldversicherer, wenn man eine Krankschreibung seines Hausarztes vorlegen kann. Er wird zahlen.

Schwierig wird es allerdings oft, wenn man längerfristig krank ist. Dann kann es passieren, dass der Krankentagegeldversicherer bestreitet, dass man zu 100 % arbeitsunfähig ist. Der Versicherte wird dann zu einem Gutachter geschickt.

Nicht selten attestiert dann der vom Versicherer beauftragte Gutachter, dass man zwar nicht gesund ist, aber die Arbeitsunfähigkeit läge nur teilweise vor, mithin unter 100 %. 

In einem solchen Fall wird der Krankentagegeldversicherer die Zahlung des Krankentagegeldes einstellen, weil bedingungsgemäß kein Anspruch auf die versicherte Leistung besteht, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unter 100 % liegt.

Nun könnte man sich ja auf die Krankschreibung seines Hausarztes berufen. Schließlich hat der ja die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit festgestellt und bestätigt. Überzeugend ist das aber nicht, denn der Hausarzt prüft nicht, ob man zu 100 % oder nur zu 50 % unfähig ist, seiner Arbeit nachzugehen. Oft weiß der nicht einmal, was man arbeitet und schon gar nicht, wie der Arbeitsalltag aussieht. Ihm genügt für die Krankschreibung das Vorliegen eines pathologischen Zustandes, also die Krankheit als solche.

Aber der Versicherte muss sich die Weigerung des Versicherers, das weitere Krankentagegeld zu zahlen, trotzdem nicht gefallen lassen.

Zum einen ist mir aus meiner Praxis bekannt, dass solide Gutachter stets betonen, dass ein jeder Mensch, und sei er krankheitsbedingt noch so beeinträchtigt, ein auf seine Arbeit bezogenes Restleistungsvermögen hat. Objektiv zu 100 % arbeitsunfähig ist tatsächlich niemand. Irgendetwas kann jeder Kranke / körperlich Behinderte noch tun.

Aber das darf nicht zur berechtigten Weigerung des Versicherers, das Krankentagegeld zu zahlen, führen. Denn dann würde diese Versicherung logischerweise stets ins Leere laufen.

Vielmehr ist zu fragen, was in der Sache dem Versicherten noch möglich ist, welche Teilbereiche seiner bisherigen Arbeit er trotz Krankheit noch bewältigen könnte und ob diese einzelnen Tätigkeiten isoliert überhaupt einen Sinn für die Berufstätigkeit ergeben.

Dabei kommt einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 03.04.2013 – IV ZR 239/11 besondere Bedeutung zu. Ein Rechtsanwalt hatte einen Schlaganfall erlitten. Verblieben war eine schwere krankhafte Lesestörung. Mithin waren u. a. das Lesen und lesende Recherchieren nicht mehr möglich, alles andere jedoch, was ein Rechtsanwalt zu bewältigen hat, hingegen wohl schon. Denn immerhin beschäftigte der Rechtsanwalt auch Mitarbeiter.

Der Krankentagegeldversicherer zahlte zunächst, machte aber in der Folge viele Schwierigkeiten. Er wollte den Vertrag kündigen, meinte sodann, der Rechtsanwalt könne nun wieder arbeiten. Andererseits glaubte der Versicherer, der Rechtsanwalt sei angesichts dessen, was der vortrug, etwaig an sich schon berufsunfähig (was auch zum Ausschluss des Krankentagegeldanspruches führt). 

Der Rechtsanwalt klagte, hatte aber in den unteren Instanzen keinen Erfolg. Im Rahmen der Revision gelangte der Streit vor den BGH. Und der wies die Sache an das Berufungsgericht (OLG Celle) zurück. Der BGH urteilte, Arbeitsunfähigkeit i. S. der Bedingungen für das Krankentagegeld entfällt nicht, wenn der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen der Berufstätigkeit zwar auch anfallen, aber isoliert keinen Sinn ergeben.

Mithin sollte sich der betroffene Versicherte die Mühe machen, seinem Krankentagegeldversicherer stundenplanartig eine durchschnittliche Arbeitswoche darzulegen, damit der beauftragte Gutachter die Möglichkeit der Bewältigung der Einzeltätigkeiten anhand des im Zuge der Krankheit verbliebenen Restleistungsvermögens einer Beurteilung unterziehen kann und sodass die Sinnhaftigkeit der möglichen Einzeltätigkeiten im Verhältnis zur gesamten beruflichen Tätigkeit vor der Krankheit deutlich wird.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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