Heimliches Abziehen des Kondoms („Stealthing“) ist strafbar – Anwalt bei Vorwurf sexueller Übergriff, Vergewaltigung

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Der Begriff bzw. die Bezeichnung „Stealthing“ leitet sich aus dem Englischen „stealth“ ab, was übersetzt so viel wie „List“ bedeutet. Es bezeichnet die Handlung, dass ein Mann während des Geschlechtsverkehrs heimlich das Kondom abzieht und den Geschlechtsverkehr weiter fortsetzt, wobei das Opfer – der Sexualpartner, die Sexualpartnerin in diesem Fall – dies nicht bemerkt.


Die Frage, die sich nun stellt, ist diejenige nach der Strafbarkeit dieses Verhaltens. Ein solches Vorgehen könnte einen sexuellen Übergriff oder gegebenenfalls sogar einen besonders schweren Fall hiervon – eine Vergewaltigung – nach § 177 StGB darstellen.

Die Gerichte waren sich hierüber bislang nicht einig. Nun gibt es einen Beschluss des Bundesgerichtshofs. Der BGH entschied, dass „Stealthing“ einen sexuellen Übergriff, möglicherweise sogar eine Vergewaltigung, darstellen kann.

Wann macht man sich wegen sexuellen Übergriffs strafbar?

Die Straftaten des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung sind in § 177 StGB normiert.

Voraussetzung dieser Straftaten sind sexuelle Handlungen in Gestalt einer körperlichen Berührung und dies muss gegen den erkennbaren Willen des Opfers geschehen („Nein heißt Nein“).

Strafbar ist hierbei gem. § 177 Abs.1 StGB …

  • das Vornehmen sowie das Vornehmen Lassen von sexuellen Handlungen an einer anderen Person (gegen deren erkennbaren Willen) (durch den Täter oder durch das Opfer selbst) sowie
  • das Bestimmen einer anderen Person (gegen deren erkennbaren Willen) dazu, dass sie sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder die Vornahme solcher Handlungen durch einen Dritten duldet.


Hierfür droht dann grundsätzlich eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. In bestimmten Fällen kann eine höhere Strafe drohen (z.B. wenn der Täter das Opfer bei der Tat körperlich schwer misshandelt, § 177 Abs.8 Nr.2 lit.a StGB).

Wann wird aus einem sexuellen Übergriff eine Vergewaltigung?

Die Vergewaltigung ist dabei im technischen Sinne kein eigener Straftatbestand, sondern ein besonders schwerer Fall eines sexuellen Übergriffs. Ein sexueller Übergriff wird zu einer Vergewaltigung, wenn der Täter sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von dem Opfer vornehmen lässt, die das Opfer besonders erniedrigen und diese mit dem Eindringen in den Körper des Opfers einhergehen (§ 177 Abs.6 Nr.1 StGB), also zum Beispiel Geschlechtsverkehr gegen den erkennbaren Willen des Opfers. Eine besonders erniedrigende Handlung, die dem Geschlechtsverkehr ähnlich ist, ist zum Beispiel grundsätzlich Analverkehr oder Oralverkehr (BGH, Urteil v. 12.01.2000 – 3 StR 363/99 in openJur 2010, 7118).


Für eine Vergewaltigung droht gem. § 177 Abs.6 StGB eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren. Höhere Strafrahmen sind möglich.

Ist das heimliche Abziehen des Kondoms während des Geschlechtsverkehrs ein sexueller Übergriff?

Damit kommen wir zur Frage, ob diese Voraussetzungen im Falle des heimlichen Abziehens des Kondoms erfüllt sind.

Der BGH bejahte dies (BGH, Beschluss v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22). Sexuelle Handlungen ohne die Verwendung eines Kondoms stehen dem erkennbaren Willen des Opfers im Sinne des § 177 Abs.1 StGB entgegen, wenn dieses erkennbar in den Geschlechtsverkehr nur unter der Bedingung der Verwendung eines Kondoms einwilligte. In Betracht kommt – so der BGH – gegebenenfalls sogar eine Strafbarkeit wegen Vergewaltigung (im dem dem Beschluss zugrunde liegenden Fall hatte der BGH hierüber nicht zu entscheiden). Damit stellte sich der BGH auch gegen das Gegenargument, das Opfer habe allgemein in den Geschlechtsverkehr eingewilligt. Das liegt daran, dass Geschlechtsverkehr mit Kondom und Geschlechtsverkehr ohne Kondom wesentliche Unterschiede aufweisen im Hinblick auf die Einwilligung in den Geschlechtsverkehr. Dies wiederum liegt an der deutlich erhöhten Möglichkeit einer (nicht gewollten) Schwangerschaft und der Übertragung von sexuell übertragbaren Krankheiten, wenn kein Kondom verwendet wird. Dafür spricht auch, dass die Rechtsprechung bei Sexualdelikten die fehlende Verwendung eines Kondoms als straferschwerendes Merkmal werten kann. Vgl. BGH, Beschluss v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22.

Diese Erwägungen führen nicht zu einer Erweiterung des Straftatbestandes in dem Sinne, dass neben dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung § 177 StGB nun auch dem Schutz der Gesundheit des Opfers bezweckt. Vielmehr werden diese Erwägungen als Hilfe zum Verständnis des Straftatbestandes, als Argumente wieso das Einverständnis in den Geschlechtsverkehr hierdurch beeinflusst ist, genutzt. Vgl. BGH, Beschluss v. 13.12.2022 – 3 StR 372/22.


Der BGH ist dabei nicht das erste Gericht, das die Strafbarkeit von „Stealthing“ bejahte. Zum Beispiel taten dies bereits das Kammergericht Berlin (unter der Bedingung, dass der Täter auch in das Opfer ejakuliert, KG, Beschluss v. 27.07.2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) in openJur 2021, 692) und das Oberlandesgericht Schleswig (dieses verneinte die Erforderlichkeit der Ejakulation, OLG Schleswig, Urteil v. 19.03.2021 – 2 OLG 4 Ss 13/21 in openJur 2021, 14522).

Die sexuelle Selbstbestimmung, die durch die Strafbewehrung von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung geschützt werden soll, beinhaltet auch die Freiheit, selbst über die „Rahmenbedingungen“ des Geschlechtsverkehrs, also das „Wie“ inklusive der Verwendung eines Kondoms, zu entscheiden, so das Kammergericht. Das Kammergericht argumentierte bei der Begründung der Strafbarkeit des Stealthing unter anderem, dass das Opfer auf diese Weise von dem Täter zu einem Objekt degradiert und für die sexuelle Befriedigung des Täters genutzt wird (vgl.  KG, Beschluss v. 27.07.2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) in openJur 2021, 692).

Ändert sich an der Strafbarkeit etwas, weil das Opfer mit dem Geschlechtsverkehr grundsätzlich einverstanden war?

Das Problem, das sich regelmäßig bei der Frage des „Ob´s“ der Strafbarkeit des heimlichen Abziehens des Kondoms stellte war, dass das Opfer grundsätzlich in die Durchführung des Geschlechtsverkehrs eingewilligt hatte. Nur eben unter der Bedingung, dass ein Kondom verwendet wurde.

Der sexuelle Übergriff als Grundtatbestand sowie auch die Vergewaltigung als besonders schwerer Fall hiervon, setzen nun grundsätzlich ein Handeln gegen den Willen des Opfers voraus (§ 177 Abs. 2 StGB regelt Fälle, in denen ein sexueller Übergriff ohne aktuellen entgegenstehenden Willen vorliegen kann, nämlich weil das Opfer nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden, z.B. wenn der Täter das Opfer überrascht). Wurde das Einverständnis also erteilt, so entfällt grundsätzlich eine Strafbarkeit. Diese Art von Einverständnis kann vom Täter grundsätzlich – nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen – sogar durch Täuschung erschlichen werden. Daher könnte man auf die Idee kommen, eine Strafbarkeit des Stealthing scheide aus diesem Grund aus.


Bereits das Oberlandesgericht Schleswig trat dem entgegen. Das reine Abziehen des Kondoms solle noch keine hinreichende Zäsur, kein entsprechender Umschwung, sein, der Raum für eine (sich aus den Umständen ergebende) Täuschung und folglichen Irrtum des Opfers durch Vornahme weiteren Geschlechtsverkehrs eröffne (der dem Einverständnis dann nicht entgegensteht). Teilte das Opfer vor dem Geschlechtsverkehr mit, ohne Kondom keinen Geschlechtsverkehr mit dem Täter haben zu wollen, so bleibe es bei diesem entgegenstehenden Willen, wenn allein der Täter unbemerkt das Kondom während des Geschlechtsverkehrs entfernt. Vgl. OLG Schleswig, Urteil v. 19.03.2021 – 2 OLG 4 Ss 13/21 in openJur 2021, 14522.

Welche Strafe droht für das heimliche Abziehen des Kondoms?

Wird im konkreten Fall eine Strafbarkeit wegen sexuellen Übergriffs bejaht, so droht eine Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und fünf Jahren (§ 177 Abs.1 StGB).

Im Falle der Verurteilung wegen einer Vergewaltigung durch das heimliche Abziehens des Kondoms während des Geschlechtsverkehrs droht eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren (§ 177 Abs.6 StGB).

Was sollte ich mich bei Erhalt einer Vorladung wegen sexuellen Übergriffs, Vergewaltigung tun?

Beschuldigte eines Strafverfahrens erfahren von dem gegen sie laufenden Strafverfahren regelmäßig durch den Erhalt einer Vorladung als Beschuldigter von der Polizei, einer Anklage, einem Strafbefehl oder dadurch, dass eine Hausdurchsuchung durchgeführt wird oder sie sogar festgenommen werden.

In all diesen Fällen gilt es insbesondere drei Dinge zu beachten. Sie sollten Ruhe bewahren und sich den Maßnahmen der Ermittlungsbeamten auch besser nicht widersetzen. Schlimmstenfalls drohen sonst hierdurch weitere Strafbarkeiten. Als Beschuldigter einer Straftat steht Ihnen das Recht zu, zum Tatvorwurf zu schweigen. Fehler, die zu Beginn des Strafverfahrens begangen werden, sind nur schwer, schlimmstenfalls gar nicht mehr, im weiteren Verlauf des Verfahrens „zu korrigieren“. Wenden Sie sich bei Kenntniserlangung von einem gegen Sie laufenden Strafverfahren am Besten so schnell wie möglich an einen auf das Strafrecht spezialisierten Fachanwalt für Strafrecht. Dieser hat sowohl die nötige fachliche Kenntnis sowie die Berufserfahrung, derer es bedarf, um eine für den konkreten Fall geeignete Verteidigungsstrategie für Sie zu entwickeln.



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