2050 Dekarbonisierter Kreuzfahrtbetrieb - TUI zur Unterlassung verurteilt

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2050 Dekarbonisierter Kreuzfahrtbetrieb - TUI zur Unterlassung verurteilt

Das Urteil behandelt die Frage der Irreführung durch umweltbezogene Werbung, insbesondere im Kontext einer Kreuzfahrtgesellschaft, die angab, bis 2050 einen "dekarbonisierten Kreuzfahrtbetrieb (Net-Zero)" erreichen zu wollen. Das Gericht stellte fest, dass diese Aussage irreführend ist, da die verwendeten Begriffe wie "dekarbonisiert" und "Net-Zero" mehrdeutig sind und bei den angesprochenen Verkehrskreisen (den Verbrauchern) ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis besteht.

Die Werbung erweckt den Eindruck, dass bis 2050 keine CO2-Emissionen mehr verursacht werden, obwohl tatsächlich fossiles LNG (Liquefied Natural Gas) weiterhin genutzt werden soll. Auch fehlt der Hinweis, dass zur Erreichung des Net-Zero-Ziels Kompensationsmaßnahmen notwendig wären. Diese unzureichende Klarstellung führt dazu, dass Verbraucher in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst werden könnten, da sie möglicherweise falsche Vorstellungen über die tatsächlichen Umweltauswirkungen der Kreuzfahrten haben.

Das Gericht entschied, dass die Werbung die Verbraucher zu geschäftlichen Entscheidungen verleiten könnte, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, und dass solche irreführenden Angaben über Umweltziele die Marktentscheidungen der Verbraucher in wettbewerbsrelevanter Weise beeinflussen können. 

Das Landgericht Hamburg hat TUI somit wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht, konkret wegen irreführender Werbung, verurteilt (nicht rechtskräftig).


Aus den Urteilsgründen:

Eine Werbung ist nach § 5 Abs. 1 UWG irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnis- sen nicht übereinstimmt (BGH, Urteil vom 12. Mai 2022 – I ZR 203/20 –, Rn. 18, zitiert nach juris-WebshopAwards). Für die Beurteilung, ob eine Werbung irreführend ist, kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen her- vorruft (BGH, a.a.O.). Maßgebend ist das Verständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Mitglieds des angesprochenen Verkehrskreises (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – I ZR 157/10 –, Rn. 19, juris - Branchenbuch Berg ). Für die Frage, ob eine Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen irreführend ist, gelten - wie für gesundheitsbezogene Werbung - strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen (ständige Rspr., zuletzt: BGH, Urteil vom 27.06.2024, Az.: I ZR 98/23, Rn. 24, zitiert nach juris - klimaneutral ). Nicht selten bestehen Unklarheiten über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe, weshalb im Bereich der umweltbezogenen Werbung eine Irreführungsgefahr besonders groß ist. Daher gibt es in der Regel ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrs- kreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. Fehlen entsprechende aufklärende Hinweise in der Werbung oder sind sie nicht deutlich sichtbar heraus- gestellt, besteht in besonders hohem Maße die Gefahr, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen irrige Vorstellungen über die Beschaffenheit der angebotenen Ware (oder Dienstleistung) hervorgerufen werden und sie dadurch in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst werden (BGH, a.a.O., Rn. 25 f.). Gleiches gilt, wenn die aufklärenden Hinweise nicht der Wahrheit entsprechen.

Diesen Anforderungen wird die Beklagte auch unter Berücksichtigung des Verwendungs- kontextes der angegriffenen Aussage nicht gerecht, da sie dem Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise, das sich aus der Verwendung eines mehrdeutigen klima- bezogenen Begriffs ergibt (hierzu unter a)), nicht gerecht wird (hierzu unter b)).

a) Bei dem Passus „ 2050 Dekarbonisierter Kreuzfahrtbetrieb (Net-zero) “ handelt es sich um eine umweltbezogene Werbeaussage, die bei den angesprochenen Verkehrskrei- sen ein gesteigertes Interesse und Aufklärungsbedürfnis über ihre Bedeutung und ihren Inhalt hervorruft, da sie keiner einheitlichen Interpretationsmöglichkeit für die angesproche- nen Verkehrskreise zugänglich und damit mehrdeutig ist. Es ist nämlich zunächst zu berücksichtigen, dass die angesprochenen Verkehrskreise in der Regel nur einen geringen sachlichen Wissensstand über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechsel- wirkungen in diesem Bereich haben (BGH, Urteil vom 14.12.1995, Az.: I ZR 213/93, Rn. 33, zitiertnachjuris-Umweltfreundliches Bauen).AusgehenddavonundobdesUmstands, dass die Begriffe „Dekarbonisiert“ und „Net-zero“ in der Breite (noch) nicht allgegenwärtig sind, lässt sich die angegriffene Aussage sowohl als vollständige Vermeidung von CO2- Emissionen und zum anderen im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz unter Zuhilfenahme von Kompensationsmaßnahmen verstehen. Beide möglichen Bedeutungen stehen mit dem Wortsinn des Begriffs im Einklang. Denn das Präfix „de “ in „dekarbonisierter“ kann sowohl anzeigen, dass ein früheres Verhalten vollständig geändert wurde, als auch den Prozess hin zu einer vollständigen Änderung beschreiben. Die Silbe „iert “ suggeriert bereits das Ergeb- nis eines Prozesses, wohingegen die Wortendung „ierender “ den Prozess beschreiben würde.

b) Dem aus ebenjener Unsicherheit erwachsenem Aufklärungsbedürfnis wird die Beklagte mit ihrem in der Roadmap dargestellten Maßnahmenbündel aus zweierlei Gründen nicht gerecht.

aa) Einerseits trägt die Bezugnahme der Aussage „2050 Dekarbonisierter Kreuzfahr- tbetrieb (Net zero)“aufdieMaßnahme„NutzungvonLNGfürDual-Use-Schiffe“nichtzur Aufklärung der Verkehrskreise bei, weil sie den irrtümlichen Eindruck erweckt, die Beklagte plane, im Jahr 2050 einen dekarbonisierten Kreuzfahrtbetrieb trotz der weiteren Verwen- dung von fossilem LNG zu erreichen. Soweit die Beklagte einwendet, für den Verbraucher sei erkennbar, dass damit E-LNG gemeint sei, dringt sie damit nicht durch. Ein Hinweis auf die Nutzung von aus erneuerbarer Energie gewonnenes LNG fehlt. Ohne den Zusatz „E“ oder „Bio“ kann der Verbraucher nicht davon ausgehen, dass aus erneuerbarer Energie gewonnenes LNG gemeint sein soll. Unter dem Spiegelstrich „Nutzung von LNG für Dual- Fuel-Schiffe“ sind unter anderem „E-Fuels“ genannt, bei LNG fehlt jedoch der „E“-Zusatz. Auch aus der Angabe „z.B. grünes Methanol/LNG“ unter 2030 schließt der Verbraucher nicht, dass für das Jahr 2050 „grünes LNG“ gemeint ist, da der Zusatz „grünes“ dort gerade nicht aufgeführt ist. Vielmehr verstärkt das Vorhandensein der Zusätze „Bio“ oder „E“ an anderer Stelle im Maßnahmenkatalog den Eindruck, dass diese Zusätze bei LNG bewusst fehlen, da es sich um fossiles LNG handele.

bb) Das Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise wird auch deshalb nicht befriedigt, weil Kompensationsmaßnahmen als wesentlicher Baustein zur Erreichung eines „dekarbonisierten“ Kreuzfahrtbetriebs ab dem Jahr 2050 gerade keine Erwähnung finden. Anders als die Beklagte meint, kommt sie allein mit dem Zusatz „net-zero“ dem gesteiger- ten Aufklärungsbedürfnis nicht nach. Der Begriff „net-zero“ ist nicht derart bekannt, dass der überwiegende Anteil der angesprochenen Verkehrskreise diesen als Hinweis darauf ver- steht, dass weitere Kompensationsmaßnahmen erforderlich sind. Auch der Hinweis unter der Roadmap: „Klimaneutralität ist ein Begriff, der eine Aktivität/einen Prozess/ein Produkt beschreibt, bei denen keine oder nur so viel Treibhausgase produziert werden, wie a) dadurch aus der Atmosphäre gezogen oder b) dadurch kompen- siert werden. Dieser Ansatz wird auch als „Net-zero“ (Net-to-Null) bezeichnet“ trägt nicht zu einer entsprechenden Aufklärung beiIm Gegenteil, danach wäre ein „Net-zero“-Kreuzahrtbetrieb nicht nur unter Berücksichtigung etwaiger Kompensations- maßnahmen zu erreichen, sondern auch, wenn keine Treibhausgase mehr emittiert werden. Der dadurch möglicherweise entstehende Eindruck, dass ein „dekarbonisierter“ Kreuz- fahrtbetrieb im Jahr 2050 ohne Kompensationsmaßnahmen auskommen wird, wird noch dadurch verstärkt, dass die Beklagte ab dem Jahr 2025 zunächst „freiwillige CO2- Kompensationen“ durchführen will, ab dem Jahr 2030 dann eine Reduzierung der CO2- Kompensationen plant und ab dem Jahr 2050 Kompensationsmaßnahmen gar keine Erwähnung finden.

b) Die Angabe „Dekarbonisierter Kreuzfahrtbetrieb (Net-Zero) “ ist auch dazu geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Maßgeblich ist, ob die Angabe über Eigenschaften der angebotenen Waren oder Leistungen, über den Anlass des Angebots und generell über die geschäftlichen Verhältnisse geeignet ist, bei einem erheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen über das Angebot hervorzurufen und die zu treffende Markt- entschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflussen (Köhler/Bornkamm/Fed- dersen/Bornkamm/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 5 Rn. 1.171). Angaben zu umwelt- bezogenen Unternehmenszielen und ihrer Umsetzung können die Marktentschließung der angesprochenen Verkehrskreise in wettbewerblich relevanter Weise beeinflussen. Der Klimaschutz ist ein zunehmend wichtiges Thema (OLG Frankfurt, Urteil vom 10. November 2022–6U104/22–,Rn.59,zitiertnachjuris-Klimaneutral; OLGFrankfurt,Urteilvom10. November 2022 – 6 U 104/22 –, Rn. 59, zitiert nach juris - Klimaneutral ; Schleswig-Hol- steinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 30. Juni 2022 – 6 U 46/21 –, Rn. 24, zitiert nach juris - klimaneutral, Klimaneutrale Müllbeutel II ). Dies gilt nicht nur für die Bewerbung mit gegenwärtigen Eigenschaften des Produktes oder der Dienstleistung. Auch Ziele eines Unternehmens können Auswirkungen auf die gegenwärtige Verbraucherentscheidung haben. Der Umstand, dass die Roadmap nicht direkt im Buchungsprozess bei der Beklag- ten erscheint, ändert diese Beurteilung nicht. Ein wesentlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise hat in Zeiten des menschengemachten Klimawandels und in dem Wissen, dass es sich bei Kreuzfahrten um energieintensives Reisen handelt, ein gesteigertes Interesse an umweltbezogenen Maßnahmen der Beklagten. Dieser Teil der Verkehrskreise ist dazu geneigt, sich vor der Buchung über die von der Beklagten getroffenen und geplan- ten klimabezogenen Maßnahmen auf der Webseite der Beklagten zu informieren und seine Geschäftsentscheidung von den (angekündigten) Maßnahmen


Foto(s): LL

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