A3, Köln/Heumar: Klarheit über Wiederaufnahme-Verfahren, „freiwilligen Ausgleich“ und Gnaden-Gesuch
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Annähernd eine halbe Million Verkehrsteilnehmer fielen dem Beschilderungsfehler am Heumarer Dreieck auf der A3 zum Opfer. Seit der Skandal in den Medien an die Öffentlichkeit geriet, ist viel geschehen. Tag für Tag werden weitere Betroffene darauf aufmerksam, dass ihnen am Autobahnkreuz Köln-Ost in Fahrtrichtung Oberhausen eine um 20 km/h überhöhte Geschwindigkeitsüberschreitung angelastet wurde. Den unzähligen Anfragen in unserer Kanzlei können wir entnehmen, dass die Begehren dieser Betroffenen so unterschiedlich sind wie sie selbst. Soweit Fahrverbote verhängt, aber noch nicht verbüßt wurden, sollen diese vorrangig abgewendet werden. Wer einen oder gar zwei Punkte in Flensburg notiert bekam, möchte wenigstens die Bereinigung des Fahreignungsregisters um einen Punkt erreichen. Und über eine mindestens überhöhte Geldbuße sowie möglicherweise entstandene Sonderaufwendungen (z. B. für öffentliche Verkehrsmittel während der Fahrverbotsdauer oder für kostenpflichtige Aufbauseminare) ärgern sich eigentlich alle.
Für den juristischen Laien ist es kaum zu überblicken, welche Möglichkeiten nun bestehen, um die individuellen Interessen zu verfolgen. Im Internet und auch in journalistischen Beiträgen vermischen sich die Begrifflichkeiten des Wiederaufnahme-Verfahrens, des „freiwilligen Ausgleichsverfahrens“ sowie des Gnaden-Gesuchs und führen – nicht zuletzt wegen der Streitigkeiten zwischen der Stadt Köln und der Bezirksregierung – dazu, dass erst recht niemand mehr durchblickt. Vorschnelle und häufig auch folgenschwere Fehlentscheidungen können die Folge sein. Wir möchten zur Klärung dieser für Betroffene unbefriedigenden Situation beitragen. Eine Rechtsberatung ist damit nicht verbunden.
I.) Wiederaufnahme-Verfahren vor dem Amtsgericht Köln
1.) Für welche Fälle gilt dieses Verfahren?
Grundsätzlich sind rechtskräftig gewordene Entscheidungen einer Bußgeldbehörde (Bußgeldbescheide) oder eines für Bußgeld- oder Strafsachen zuständigen Gerichts (Urteile oder Beschlüsse) verbindlich und wirksam. Dies gilt regelmäßig selbst dann, wenn die Entscheidungen im Nachhinein betrachtet falsch gewesen sind. Der Gesetzgeber stellt letztlich das Interesse des Staates an Rechtssicherheit über das Interesse des Einzelnen an einer gerechten Entscheidung.
Nur in sehr eng gesteckten und in § 85 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) und § 359 der Strafprozessordnung (StPO) geregelten Grenzen gibt es die Möglichkeit, ein rechtskräftig abgeschlossenes Bußgeld-Verfahren zugunsten eines Betroffenen wieder aufzunehmen.
Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist unter anderem dann geboten, „[...] wenn nach Rechtskrafteintritt neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die die Freisprechung des Betroffenen, in Anwendung eines milderen Gesetzes eine geringere Bestrafung oder den Wegfall des Fahrverbots zu begründen geeignet sind“.
Wichtig ist dabei, dass dieser Wiederaufnahmegrund vom Gesetzgeber ausdrücklich nur für solche Fälle akzeptiert wird, in denen gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von mehr als 250 € festgesetzt wurde. Nach zutreffender Auffassung der Gerichte ist die Wiederaufnahme außerdem möglich, wenn zwar die Geldbuße unter diesem Grenzwert geblieben ist, zudem aber ein Fahrverbot verhängt wurde. Ob dieses bereits vollständig, nur teilweise oder noch gar nicht verbüßt wurde, ist nicht von Bedeutung.
Merke also: Wenn man wie wir davon ausgeht, dass der Beschilderungsfehler eine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes darstellt, ist das vom Gesetzgeber vorgesehene förmliche Wiederaufnahme-Verfahren somit grundsätzlich eröffnet für all jene Betroffenen, die im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot und/oder eine Geldbuße in Höhe von mehr als 250 € auferlegt bekommen haben.
2.) Welches Ziel kann mit diesem Verfahren verfolgt werden?
Wenn das Amtsgericht Köln die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens beschließt, muss das Ausgangsverfahren, welches zu dem rechtskräftigen Bußgeldbescheid geführt hat, „neu aufgewickelt“ werden. Da wir bereits vor der Veröffentlichung des Blitzer-Skandals Betroffene vor dem Amtsgericht Köln vertreten haben und es dort zu Verfahrenseinstellungen oder zumindest Reduzierungen der vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitungen um eben 20 km/h kam, ist aus unserer Sicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit und von krassen oder wiederholten Überschreitungen abgesehen davon auszugehen, dass ein zuvor verhängtes Fahrverbot nicht mehr verhängt wird und die Geldbuße korrigiert wird.
In der Folge sollte es möglich sein, beim Kraftfahrtbundesamt eine Korrektur des Fahreignungsregisters durchzusetzen, um einen Punkt gelöscht zu bekommen.
Da dies in der medialen Berichterstattung bislang weitgehend unerwähnt geblieben ist, möchten wir in diesem Zusammenhang noch auf folgenden wichtigen Aspekt hinweisen:
Bei bislang vorgeworfenen Überschreitungen um mindestens 41 km/h sind zwei Punkte notiert worden, die für ganze fünf Jahre in Flensburg stehen bleiben würden. Führt ein erfolgreich geführtes Wiederaufnahme-Verfahren letztlich entsprechend unserer Zielrichtung dazu, dass eine Korrektur auf mindestens 21 km/h vorgenommen wird, so wird dadurch nicht nur ein Punkt beim Kraftfahrtbundesamt reduziert, sondern dieser bleibt auch nur 2,5 Jahre stehen!
Die Geldbuße sollte darüber hinaus auf das Maß reduziert werden, welches für den nun allenfalls noch geringeren Verkehrsverstoß geboten ist – wenn überhaupt ein solcher verbleibt ...
Wenn bereits der Führerschein abgegeben und damit das Fahrverbot kürzlich angetreten wurde, kann zusammen mit dem Wiederaufnahme-Antrag ein Antrag auf Unterbrechung der Vollstreckung des Fahrverbots gestellt werden. Sofern das Fahrverbot in Kürze bevorsteht, kann ein ähnlich gelagerter Antrag auf Aufschub der Vollstreckung ausgerichtet werden.
Merke also: Das Wiederaufnahme-Verfahren kann im Erfolgsfall bewirken, dass der auf falschen Annahmen basierende Bußgeldbescheid aufgehoben und eine korrigierte und rechtskonforme Bußgeldentscheidung getroffen wird. Diese sollte letztlich zur Rückerstattung überschüssig bezahlter Geldbußen und zur Reduzierung um einen Punkt in Flensburg führen. Sofern ein Fahrverbot noch gar nicht oder zumindest nicht vollständig verbüßt wurde, kann dessen Aufschub oder Unterbrechung bewirkt werden.
3.) Was können Betroffene tun?
Prinzipiell gibt es die Möglichkeit, dass Betroffene den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens selbst bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Köln stellen. Hiervon ist aber tunlichst abzuraten. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die ohnehin höchst selten und in Bußgeldverfahren nahezu nie gestellten Anträge auf Wiederaufnahme eines Verfahrens stellt, sind enorm hoch, was in Anbetracht der oben dargestellten Abwägungen zwischen staatlichem Vertrauen auf Rechtssicherheit und Bürgerinteressen der Gerechtigkeit auch nachzuvollziehen ist. Es erscheint ausgeschlossen, dass ein solcher Antrag zum Erfolg führt. Unsere bislang beim Amtsgericht Köln eingereichten Anträge auf Wiederaufnahme erstreckten sich meist auf etwa 15 Seiten nebst Anlagen ...
Merke: Betroffene sollten sich an den Anwalt ihres Vertrauens wenden, wenn sie einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen wollen. Der Anwalt sollte in derartigen besonderen Verfahren erfahren sein.
II.) „Freiwilliges Ausgleichsverfahren“ der Stadt Köln
1.) Für welche Fälle gilt dieses Verfahren?
Die Stadt Köln und die Bezirksregierung haben fieberhaft und ein ganzes Stück weit auch kontrovers darüber nachgedacht, wie mit der Flut geschädigter Verkehrsteilnehmer umgegangen werden soll. Erst sollten Geldbußen gar nicht erstattet werden, dann wurde dies in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Stadt Köln vollmundig versprochen, um tags darauf von der Bezirksregierung wieder dementiert zu werden. Schlussendlich verständigte man sich auf ein „freiwilliges Ausgleichsprogramm“. Dessen Bedingungen wurden von der Stadt Köln und der Bezirksregierung aufgestellt. Sie können auf der Seite www.stadt-koeln.de/service/onlinedienste/ausgleichszahlung-der-verwarnungs-und-bussgelder-wegen-geschwindigkeitsuberschreitungen-im-kreuz-heumar abgerufen werden. Dort heißt es wie folgt:
„Im Rahmen des freiwilligen Ausgleichs-Programms können Verwarnungs- und Bußgelder bis 250 Euro, die wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB 3 erhoben wurden, ausgeglichen werden.
In Fällen, bei denen im Zeitraum vom 29. Februar bis 15. Dezember 2016 ein Verwarn- oder Bußgeld festgesetzt wurde, ist ein Ausgleich des Betrages nach Verifizierung Ihrer Angaben möglich.
Dadurch soll den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern ein finanzieller Ausgleich in Höhe der gezahlten Verwarn- und Bußgelder ermöglicht werden.
Die Löschung eines Punkteeintrages oder die Aufhebung eines Fahrverbotes sind nicht vom Ausgleichsprogramm umfasst und der Stadt Köln selbst rechtlich auch nicht möglich.
Insoweit wird auf den Anwendungsbereich des § 85 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG, Wiederaufnahme des Verfahrens) verwiesen. Die Entscheidung über eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 85 OWiG obliegt der Justiz. Wir weisen darauf hin, dass mit dem Verfahren auch finanzielle Risiken verbunden sind.
Soweit auch die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 85 OWiG nicht möglich ist, besteht die Möglichkeit in besonders begründeten Härtefällen im Rahmen des sogenannten „Gnadenerlasses“ einen formlosen Antrag bei der Bußgeldstelle zu stellen. Über diesbezügliche Anträge entscheidet die Bezirksregierung im Einzelfall.
Um eine Ausgleichszahlung zu beantragen, füllen Sie bitte das unten bereitgestellte Online-Formular aus.
Alternativ können Sie auch das unter 'Download' verknüpfte Pdf-Formular ausfüllen, ausdrucken, unterschreiben und per Post oder Fax an die Bußgeldstelle senden.
Wir können nur Anträge bearbeiten, die uns bis zum 30. Juni 2017 erreichen.“
Nur diejenigen, denen eine Geldbuße von maximal (!) 250 € (einschließlich) auferlegt wurde, haben die Möglichkeit, den Ausgleich des gezahlten Geldes zu beantragen, und es ist davon auszugehen, dass dieser früher oder später auch vorgenommen wird. Der primäre finanzielle Schaden kann damit ausgeglichen werden.
Die Stadt Köln hat aber zugleich eindeutig klargestellt, dass man sich dort nicht um die Aufhebung eines Fahrverbots und/oder die Löschung eines Punkteeintrages in Flensburg kümmert und dafür auch keine rechtliche Möglichkeit erblickt.
Wer eine Geldbuße von mehr als 250 € in seinem Bußgeldbescheid vorfindet, wird nach der eindeutig gewählten Formulierung ohnehin von dem freiwilligen Ausgleichsprogramm nicht erfasst. Ihm bleibt nur die Möglichkeit des oben dargestellten förmlichen Wiederaufnahme-Verfahrens vor dem Amtsgericht Köln.
2.) Welches Ziel kann mit diesem Verfahren verfolgt werden?
Wie der Name des Programms bereits sagt: Dadurch kann ausschließlich die Rückforderung einer Geldbuße von maximal 250 € durchgesetzt werden.
Der Punkteeintrag bleibt aber ebenso wie eine wohl zu Unrecht verdoppelte Tilgungsdauer bestehen und ein möglicherweise noch anstehendes Fahrverbot wird durch den Antrag auf freiwilligen Ausgleich ebenfalls nicht tangiert. Anders ausgedrückt: Wer ein Fahrverbot im Bußgeldbescheid auferlegt bekommen hat und nur einen Antrag auf freiwilligen Ausgleich stellt, wird das Fahrverbot antreten müssen, obwohl es nicht zu rechtfertigen ist, und er wird mit einem Punkt zu viel und einer unnötig langen „Haltedauer“ auskommen müssen!
Wer stattdessen gegen Punkte und etwaige Fahrverbote angehen will, wird auch von städtischer Seite ausdrücklich auf die oben erörterte Möglichkeit des förmlichen Wiederaufnahme-Verfahrens vor dem Amtsgericht Köln verwiesen.
3.) Was können Betroffene tun?
Diejenigen, für die das „freiwillige Ausgleichsprogramm“ nach den vorstehenden Ausführungen eröffnet ist und die sich mit dessen beschränkter Zielrichtung (rein finanzieller Ausgleich der bezahlten Geldbuße) abfinden können, müssen einen entsprechenden Antrag an die Stadt Köln richten, was u. a. über die erwähnte Internet-Seite möglich ist. Der Antrag wird nur berücksichtigt, wenn er bei der Stadt Köln bis spätestens 30.06.2017 eingeht.
III.) Gnaden-Gesuche an die Bezirksregierung
1.) Für welche Fälle gilt dieses Verfahren?
Nach den zitierten Ausführungen auf der Internet-Seite der Stadt Köln wird die Bezirksregierung in Einzelfällen „bei besonders begründeter Härte“ im Rahmen eines sogenannten Gnaden-Erlasses entscheiden. Es bleibt abzuwarten, was genau hierunter zu erfassen ist. Aus unserer Sicht steht aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass Fälle „mit normalem Fahrverbot“ und ohne besondere Punkteproblematik nicht die „besondere Härte“ darstellen werden, um Begnadigung zu erfahren. Vermutlich wird es nur in wenigen Einzelfällen (z. B. bei drohender Arbeitgeberkündigung wegen eines ungerechtfertigten Fahrverbots, bei vermeintlichem Erreichen der 8-Punkte-Schwelle mit der Folge der Fahrerlaubnis-Entziehung o.ä.) dazu kommen, dass Gnade gewährt wird.
2.) Welches Ziel kann mit diesem Verfahren verfolgt werden?
Prinzipiell wäre es möglich, dass mit einem Gnaden-Gesuch die fehlerhafte Grundentscheidung aufgehoben wird, was sich auf die Höhe der Geldbuße, die Punkte-Folge und ein etwaiges Fahrverbot erstrecken könnte. Es ist aber ersichtlich, dass dieses Verfahren deutlich hinter den beiden vorgenannten Verfahren steht und wohl nur unter extremen Ausnahmebedingungen zu einem glücklichen Ende führen wird. In der Regel sollte keine ernsthafte Hoffnung hierfür aufkommen.
3.) Was können Betroffene tun?
Betroffene, die diesen Weg beschreiten möchten, können hierfür einen Antrag auf Gnaden-Entscheidung an die Bußgeldstelle der Stadt Köln oder besser noch direkt an die Bezirksregierung stellen.
Rechtsanwalt Dr. Sven Hufnagel ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und auf die Verteidigung in Bußgeldsachen spezialisiert. Er ist bundesweit tätig und wird im Focus-Spezial für die Jahre 2015 und 2016 als einer von Deutschlands „Top-Anwälten im Verkehrsrecht“ bezeichnet. Weitere Informationen über ihn und seine umfassende Tätigkeit im Zusammenhang mit dem „Kölner Blitzer-Gate“ finden Sie auf unserer Website www.fahrverbot-rechtsanwalt.de .
Auf die Hintergründe zum Behördenfehler bei der Beschilderung einer Baustelle auf der BAB 3 bei Köln-Ost/Königsforst, km 0,80, sowie die sich daraus grundsätzlich ergebenden Möglichkeiten der Betroffenen sind wir bereits in anderen Rechtstipps auf anwalt.de eingegangen, weshalb auf diese verwiesen werden soll:
- „Blitzer-Skandal auf der A3 bei Köln-Ost / Königsforst – was können Betroffene nun tun?“
- „A3, Köln: Zu Unrecht geblitzt – warum sollten Betroffene schnellstmöglich handeln?“
- „Erster Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens mit Fahrverbot im Kölner Blitzer-Skandal gestellt“
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