Angespuckt! Wann und wie dürfen Sie sich verteidigen ohne sich strafbar zu machen?

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Stellen Sie sich vor, Sie gehen friedlich durch die Stadt, als plötzlich eine fremde Person auf Sie zukommt und Ihnen ins Gesicht spuckt. Erst sind sie schockiert, doch dann steigt die Wut in Ihnen auf und sie fragen sich: Darf ich mich jetzt verteidigen und wenn ja, wie?

Darf ich zurückspucken oder gar zuschlagen, um mich zu verteidigen? Wie weit darf ich gehen, ohne mich selbst strafbar zu machen? Die Grenze zwischen Selbstverteidigung und strafbarem Verhalten kann ganz schmal sein, besonders wenn es um die Verteidigung der eigenen Ehre geht.

In diesem Betrag erfahren Sie, was Sie am besten tun und was Sie am besten vermeiden sollten. Zudem erfahren Sie, ob das Anspucken selbst eine Straftat ist und weshalb es sinnvoll ist, als Beschuldigter im Strafverfahren einen Strafverteidiger zu beauftragen.



Ist Anspucken strafbar?

Spuckt Sie jemand an, macht sich die andere Person strafbar. Im Raum steht eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB oder eine (tätliche) Beleidigung gemäß § 185 StGB.


Anspucken = Körperverletzung?

Eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB besteht bei einer körperlichen Misshandlung oder eine Gesundheitsschädigung. Beides ist aber regelmäßig beim Bespuckt-werden nicht der Fall

Wird man angespuckt, löst dies regelmäßig nur ein Ekelgefühl aus. Eine körperliche Reaktion als Abweichung vom gesunden Normalzustand (Gesundheitsschädigung) geht damit meistens nicht einher. Auch ist die Erheblichkeitsschwelle für eine körperliche Misshandlung nicht überschritten (körperliche Misshandlung). 

Ausnahmsweise stellt das Anspucken aber dann eine Körperverletzung dar, wenn durch das Bespuckt-werden eine körperliche Reaktion hervorgerufen wird. 

Zu denken ist hier etwa an einen Brechreiz oder an Übelkeit. In solchen Fällen besteht eine Abweichung vom gesunden Normalzustand (Gesundheitsschädigung) und damit eine Körperverletzung.


Anspucken = Beleidigung?

In jedem Fall stellt das Anspucken aber eine (tätliche) Beleidigung gemäß § 185 StGB dar. Hierdurch wird nämlich das Ehrgefühl der anderen Person herabgesetzt und die Person erniedrigt.



Reaktion: Wie verteidige ich mich richtig? Wann mache ich mich strafbar?

Doch wie reagiert man nun „richtig“ auf das Bespuckt-werden und wie "falsch"? Das eigene Verhalten entscheidet darüber, ob man sich am Ende selbst strafbar macht oder nicht.


(Ehren-)Notwehr: Zurückschlagen oder Zurückspucken?

Zur Selbstverteidigung kommen einem als erstes in den Sinn:

  • zurückzuspucken, 
  • zurückzuschlagen oder 
  • die Person wegzuschubsen / wegzutreten. 

Nicht strafbar sind solche Reaktionen dann, wenn diese von der Notwehr gemäß § 32 StGB gedeckt sind. 

Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden, § 32 Abs. 2 StGB.


Voraussetzungen der Notwehr

Die Notwehr gemäß § 32 StGB hat dabei drei Voraussetzungen:

  1. Notwehrlage
  2. Notwehrhandlung
  3. Verteidigungswille

Nur wenn diese 3 Voraussetzungen erfüllt sind, machen Sie sich durch eine Reaktion auf das Bespuckt-werden nicht strafbar.



Notwehrlage

Knackpunkt ist das Vorliegen einer Notwehrlage. Diese erfordert einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut.

Ihre körperliche Unversehrtheit und Ihre Ehre sind zweifelslos notwehrfähige Rechtsgüter, die Sie verteidigen dürfen, wenn Sie angespuckt werden.

Rechtswidrig ist das Anspucken in den meisten Fällen auch – zumindest dann, wenn Sie hierfür keinen tragfähigen Anlass gegeben haben.

Problematisch kann die Gegenwärtigkeit sein. Dieser Punkt verlangt, dass der Angriff

  • unmittelbar bevorsteht,
  • bereits begonnen hat oder
  • noch stattfindet.


Wenn Sie angespuckt wurden, steht dieser Angriff nicht unmittelbar bevor; auch hat er nicht bereits begonnen oder findet gerade statt. Vielmehr ist der Angriff durch das einmalige Spucken sofort danach beendet.

Dies führt dazu, dass nach dem Spucken kein gegenwärtiger Angriff und damit keine Notwehrlage besteht. Das heißt, dass Ihre Reaktion auf das Bespuckt-werden nicht durch Notwehr gerechtfertigt sein kann. 

Denn eine Präventiv-Notwehr sieht das Gesetz nicht vor. Sie dürfen sich also nicht deswegen "verteidigen", weil Sie dadurch einen zukünftigen Angriff verhindern wollen.

Was Ihnen dann nur übrig bleibt, ist genau das, was das Gesetz von Ihnen verlangt: Sie sollen die Polizei und damit die Staatsgewalt informieren und keine Selbstjustiz betreiben.


Ausnahme: Erneutes Bespucken droht

Eine Ausnahme kann dann gemacht werden, wenn objektiv die Gefahr besteht, dass Sie erneut bespuckt werden. Denn dann steht ein neuer Angriff „unmittelbar bevor“, ist also gegenwärtig.



Praxistipp: Die Staatsanwaltschaft oder das Gericht davon zu überzeugen, dass ein erneutes Bespuckt-werden droht, kann schwierig sein und ist stets eine Frage des Einzelfalls. Relevante Punkte sind: Wie war die unmittelbare Vorgeschichte? Wie aufgeheizt war die Situation? Wie ging es danach konkret weiter?



Zwischenfazit

Ein Zurückspucken, Zurückschlagen oder Zurückschubsen setzt voraus, dass das Bespuckt-werden ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff ist. Nur dann kann Ihre Reaktion durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt sein. 

Ist das Bespuckt-werden vorbei und sie „verteidigen“ sich trotzdem, machen Sie sich strafbar. In einem solchen Fall besteht kein gegenwärtiger Angriff und damit keine Notwehrlage (mehr).



Notwehrhandlung

Besteht eine Notwehrlage, muss geprüft werden, ob Ihre Reaktion als Notwehrhandlung gemäß § 32 StGB eingestuft werden kann. Voraussetzung ist hierfür, dass Ihre Verteidigung

  • geeignet,
  • erforderlich und
  • angemessen ist.


Geeignetheit

Geeignetheit meint, dass durch Ihre Reaktion der Angriff sofort beendet bzw. abgewendet werden kann.

Dies ist bei einem Zurückspucken wahrscheinlich nicht der Fall. Denn dies dürfte den Angreifer nicht davon abhalten, das Spucken zu unterlassen. Vielmehr dürfte dies ein erneutes Anspucken provozieren. Aber auch dies ist eine Frage des Einzelfalls.

Beim Zurückschlagen, Zurückschubsen oder Wegtreten dürfte die Sache anders aussehen. Hierdurch wird der gegenwärtige Angriff in Form des Anspuckens regelmäßig unterbrochen und beendet werden können, so dass diese Verteidigung eine geeignete Notwehrhandlung darstellen kann.


Erforderlichkeit

Weiter müsste die gewählte Verteidigung erforderlich sein. Dies meint, dass genau diese Reaktion unter allen anderen Reaktionen, die gleich geeignet sind, das mildeste Mittel darstellt.

Es erfolgt also eine Bewertung zwischen dem von Ihnen eingesetzten Mittel und den anderen Mitteln, die Ihnen zur Verfügung gestanden hätten und die den Angriff ebenso hätten abwehren bzw. beenden können.

Entscheidend ist dabei die sog. „Kampflage“. D.h., es wird geschaut, was Ihnen in Ihrer konkreten Situation überhaupt möglich gewesen wäre. Nur solche Verteidigungsmittel werden in die Bewertung eingestellt. 



Praxistipp: Sie müssen sich im Rahmen der Notwehr gemäß § 32 StGB niemals auf unsichere Verteidigungsmöglichkeiten beschränken. Sie dürfen immer das Mittel wählen, was Ihnen gewährleistet, dass der Angriff sofort beendet wird. Selbst dann, wenn ein anderes Mittel milder, aber eben unsicherer, gewesen wäre. 

Merksatz: Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen!



Beispiel:

Stellen Sie sich vor, in der konkreten Situation hätten Sie die Möglichkeit gehabt, den Angreifer wegzuschubsen. Jedoch ist der Angreifer doppelt so schwer wie Sie und zwei Köpfe größer als Sie. Daher entscheiden Sie sich, die Person wegzutreten.

Zwar ist das Wegschubsen gegenüber dem Wegtreten das mildere Mittel. Jedoch kann hier aufgrund der Kampflage davon ausgegangen werden, dass en Wegschubsen nicht erfolgsversprechend gewesen wäre. Deswegen dürften Sie als erforderliches Mittel das Wegtreten wählen und würden sich insoweit auch nicht strafbar machen.



Angemessenheit

Zuletzt müsste Ihre Verteidigung angemessen sein. An dieser Stelle muss auf Besonderheiten Ihres Falls geschaut und gefragt werden, ob es Anlass gab, Ihr Notwehrrecht einzuschränken.

Stellen Sie sich nur einmal vor, ein kleines Kind würde Sie anspucken. Dann leuchtet es ein, dass Sie dann nicht in der gleichen Härte, wie bei einem Erwachsenen reagieren dürfen. Oder wenn ein hochgradig Betrunkener sie anspuckt, statt einer nüchternen Person.


Verteidigungswille

Schließlich müssen Sie in Kenntnis der Notwehrlage und mit dem Willen handeln, sich selbst zu verteidigen. Dies ist in der Praxis regelmäßig kein Problem.


Zwischenfazit und Empfehlung

Ein Zurückspucken wird regelmäßig keine taugliche Notwehrhandlung sein, so dass Sie sich hierdurch drohen, selbst strafbar zu machen. Daher empfehle ich Ihnen, auf ein Bespuckt-werden nicht mit einem Zurückspucken zu reagieren.

Dagegen kann ein Wegschubsen oder Wegschlagen oder Wegtreten je nach „Kampflage“ eine taugliche Notwehrhandlung sein, wodurch Sie sich nicht drohen, strafbar zu machen. 

Meine Empfehlung ist daher: 

  1. Bewerten Sie Ihre Lage richtig: Können Sie in dem Moment noch rechtzeitig reagieren, bevor das Spucken beginnt? War es ein einmaliges Spucken? Ist die Situation vorbei? Oder droht ein erneutes Bespuckt-werden? Nur dann, wenn das Bespuckt-werden unmittelbar bevorsteht oder ein erneutes Bespuckt-werden droht, liegt eine Notwehrlage vor und Sie dürfen sich verteidigen. Andernfalls drohen Sie sich strafbar zu machen!
  2. Wählen Sie das sicherste und zugleich mildeste Verteidigungsmittel: Sie sind nicht verpflichtet, demütig zurückzuweichen, sondern Sie dürfen sich bei Vorliegen einer Notwehrlage verteidigen. Wählen Sie aber unter all Ihren Verteidigungsmöglichkeiten das mildeste: Schubsen ist milder als Schlagen oder Treten. Aber auch hier kommt es auf die Kampflage an. Auf unsichere Verteidigungsmittel müssen Sie sich nicht einlassen!
  3. Nummer sicher: Wenn Sie ganz auf Nummer sicher gehen wollen, tun Sie gar nichts und erstatten Sie im Nachgang (online) eine Strafanzeige und Stellen Strafantrag wegen Körperverletzung und Beleidigung. Dadurch entgehen Sie zu 100% der Gefahr, sich selbst am Ende des Tages strafbar zu machen.


Letztes Mittel: Retorsion, § 199 StGB

Sollte keine Notwehrlage mehr bestehen oder sollte Ihre gewählte Verteidigung keine taugliche Notwehrhandlung darstellen, gib es einen letzten Strohhalm: die Retorsion gemäß § 199 StGB.

Hiernach kann das Gericht im Falle von wechselseitigen Beleidigungen von Strafe absehen.

Voraussetzung ist, dass Sie auf das Bespuckt-werden auf der Stelle mit einer anderen Beleidigung – etwa einem Zurückspucken – reagieren. Es muss ein zeitlicher und ein psychologischer Zusammenhang zwischen dem Bespuckt-werden bestehen. Andernfalls scheidet diese Möglichkeit der Straffreiheit aus!

Wichtig zu betonen ist aber, dass diese Entscheidung im Ermessen des Gerichts steht und regelmäßig Überzeugungsarbeit Ihres Verteidigers bedarf.



Warum einen Strafverteidiger beauftragen?


Sie haben gesehen, welche Feinheiten das Strafrecht mit den Voraussetzungen der (Ehren-)Notwehr gemäß § 32 StGB aufweist. 

Deswegen ist es wichtig, den Tatsachenstoff unter diesen Voraussetzungen beeinflussen und rechtlich würdigen zu können. 

Hierbei unterstützt Sie ein auf das Strafrecht spezialisierter Strafverteidiger

Darüber hinaus kann ein Strafverteidiger für den Fall, dass Sie die Grenzen der Notwehr durch eine andere Beleidigung überschritten haben, eine Straffreiheit für Sie im Wege der Retorsion erreichen.



Sie sind Beschuldigter einer Straftat? Sie haben eine Anklage oder einen Strafbefehl erhalten?


Rechtsanwalt Yannic Ippolito hat sich ausschließlich auf das Strafrecht spezialisiert. Er verteidigt seine Mandanten in jeder Lage des Strafverfahrens und vor jedem Gericht. Schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. Zu Festpreisen.

Die Kontaktaufnahme erfolgt unkompliziert und unverbindlich: Rufen Sie Herrn Ippolito einfach an und erhalten Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Falls. Er unterstützt Sie und Ihre Familie als Experte im Strafrecht in jeder Lage des Strafverfahrens.

Foto(s): Yannic Ippolito

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