Ausschlusstatbestand §312g Abs.2 Nr.2 BGB: Online-Handel, Tiere, Pflanzen und (k)ein Widerrufsrecht?

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Beim Online-Handel mit Tieren und Pflanzen besteht grundsätzlich ein Widerrufsrecht für Verbraucher gemäß §§ 355, 312g Abs. 1 BGB, solange nichts Gegenteiliges vereinbart wurde und das Widerrufsrecht nicht nach § 312g Abs. 2, 3 BGB ausgeschlossen ist. Anbieter müssen Verbraucher klar über das Widerrufsrecht informieren, inklusive der Bedingungen, Fristen und des Verfahrens zur Ausübung dieses Rechts. Die pauschale Aussage, dass bei Tieren und Pflanzen kein Widerrufsrecht bestehe, weil sie angeblich "verderbliche Waren" seien, ist irreführend und wettbewerbswidrig. Pflanzen und Tiere, mit Ausnahme bestimmter schnell verderblicher Arten, sind nicht generell von der Möglichkeit des Widerrufs ausgeschlossen. Wer sich auf den Ausschluss des Widerrufsrechts aufgrund Verderblichkeit nach § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB beruft, trägt die Beweislast für die behauptete Verderblichkeit der Ware. Ein pauschaler Ausschluss des Widerrufsrechts ohne konkreten Nachweis der Verderblichkeit ist unzulässig und wettbewerbswidrig. Die Ausnahmetatbestände des § 312g Abs. 2 BGB sollen eng ausgelegt werden, um die Verbraucherrechte zu wahren, und dürfen nicht durch irreführende Klauseln oder Gestaltungen umgangen werden.

Gilt der Ausschlusstatbestand §312g Abs.2 Nr.2 BGB im Online-Handel auch beim Verkauf von Tieren und Pflanzen oder besteht kein Widerrufsrecht?


Der Ausschlusstatbestand §312g Abs.2 Nr.2 BGB im Online-Handel mit Tieren und Pflanzen:

Tiere und Pflanzen werden vermehrt im Online-Handel angeboten. In Zeiten von Corona floriert der Online-Handel. In den Anzeigen der Online-Händler ist regelmäßig zu lesen, das "Rückgaberecht sei bei Tieren und Pflanzen ausgeschlossen", "die Rücksendung von Tieren sei ausgeschlossen", "Tiere seien vom Umtausch ausgeschlossen"  denn bei Tieren handele es sich (per se) um "verderbliche Waren".

Derartige Formulierungen sind im Ergebnis wettbewerbswidrig. Dies ergibt sich aus folgenden Gründen:


I. Das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen


Gemäß §§ 355, 312 g Abs. 1 Alt. 2 BGB besteht bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht, soweit ein Verbrauchervertrag vorliegt und das Widerrufsrecht nicht nach § 312g Absatz 2, 3 BGB ausgeschlossen ist.


II. Die Pflicht zur Belehrung über das Widerrufsrecht und das Muster-Widerrufsformular

Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 312g Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu, ist der Online-Händler als Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher zu informieren

  • über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts nach § 355 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie das Muster-Widerrufsformular in der Anlage 2,

  • gegebenenfalls darüber, dass der Verbraucher im Widerrufsfall die Kosten für die Rücksendung der Waren zu tragen hat, und bei Fernabsatzverträgen zusätzlich über die Kosten für die Rücksendung der Waren, wenn die Waren auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht auf dem normalen Postweg zurückgesendet werden können, und

  • darüber, dass der Verbraucher dem Unternehmer bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die nicht in einem bestimmten Volumen oder in einer bestimmten Menge vereinbarte Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder die Lieferung von Fernwärme einen angemessenen Betrag nach § 357 Absatz 8 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für die vom Unternehmer erbrachte Leistung schuldet, wenn der Verbraucher das Widerrufsrecht ausübt, nachdem er auf Aufforderung des Unternehmers von diesem ausdrücklich den Beginn der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt hat.

Wir über die vorbezeichneten Pflichten nicht, nicht ausreichend oder falsch informiert, liegt ein Wettbewerbsverstoß vor.


III. Kein Widerrufsrecht im Online-Handel beim Verkauf von Tieren und Pflanzen? Der Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB


1. Die Verderblichkeit von Waren und das Widerrufsrecht

Das Widerrufsrecht besteht nach § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei Verträge zur Lieferung von Waren, die schnell verderben können oder deren Verfallsdatum schnell überschritten würde.

Typscherweise sind Waren verderblich, die in kürzester Zeit beim Verbraucher verbraucht werden müssen. Typischerweise fallen Schnittblumen und Lebensmittel in diese Kategorie. 


2. Und wie sieht es mit der Verderblichkeit und dem Widerrufsrecht bei Pflanzen und Tieren aus?

Bei Pflanzen und bei Tieren handelt es sich (im Regelfall) nicht um verderbliche Waren.

Bei Pflanzen, Aquarienpflanzen, Kleintieren und Fischen zum Beispiel handelt es sich nicht um verderbliche Waren, die unter den Ausnahmetatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB fallen. 


Verderblichkeit ist ein Prozess, der, wird er in Gang gesetzt, unumkehrbar ist. Die Begründung für eine Verderblichkeit als unumkehrbarer natürlicher Prozess, kann bei Lebewesen ausschließlich in der durchschnittlichen Lebenserwartung jeder einzelnen Art liegen. Es kommt entscheidend auf die durchschnittliche Lebenserwartung der Pflanzen an.


Selbst wenn einzelne Pflanzenarten oder Tiere unter den Ausschlusstatbestand der verderblichen Ware gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB fallen würden, was schon nicht der Fall ist, so handelt es sich erst Recht nicht bei allen Pflanzen und Tieren um schnell verderbliche Waren. Pflanzen und Tiere sind nicht pauschal empfindlich, Empfindlichkeit bedeutet außerdem nicht Verderblichkeit und eine Empfindlichkeit im Einzelfall führt nicht automatisch zu einer Verderblichkeit. Pflanzen (mit Ausnahme von Schnittblumen) und Tiere sollen nicht schnell verbraucht werden. Der Verbraucher soll sich eine möglichst lange Zeit an Ihnen erfreuen.

Der pauschale Ausschluss des Widerrufsrechtes unter Berufung auf den Ausnahmetatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB ist daher wettbewerbswidrig.


3. Wer sich auf den Ausnahmetatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB beruft, trägt die Beweislast für die behauptete Verderblichkeit

Soweit sich ein Verkäufer gegebenenfalls im Einzelfall zu Recht bei einer Pflanze auf Grund der extrem kurzen Lebensdauer auf deren Verderblichkeit beruft, hat er die Verderblichkeit zu beweisen.

In einem kürzlich von uns erstrittenen Urteil heißt es richtigerweise:

"Der Beklagte hat in seinen AGB in irreführender Weise eine wettbewerbswidrige Klausel zur Umgehung bzw. zum Ausschluss des Widerrufsrechts verwendet, indem er behauptet hat, Pflanzen und Tiere seien von der Rücksendung ausgeschlossen. Soweit sich der Beklagte auf den Ausschlusstatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen hat, hat er trotz förmlichen Hinweises, dass er im Einzelnen und ggf. unter Beweisantritt zur Verderblichkeit oder zum Verfallsdatum der von ihm angebotenen Waren vortragen müsste, keine weiteren Erklärungen abgegeben."


IV. Fazit zum Ausschluss der Widerrufsrechts

Wer sich auf den Ausnahmetatbestand des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB beruft, trägt die Beweislast für das Bestehen des Ausnahmetatbestands. Ein pauschaler Ausschluss von Verbraucherrechten ist wettbewerbswidrig und muss durch Mitbewerber nicht hingenommen werden.

Die Ausnahmetatbestände des § 312g Abs. 2 BGB sind richtigerweise grundsätzlich eng auszulegen (AG Bad Segeberg NJW-RR 2015, 921 (923); MüKoBGB/Wendehorst §§ 312g Rdn. 6; Erman/R. Koch Rdn. 5). § 312g BGB dient, wie auch die entsprechenden Vorgaben der Verbraucherrechte-RL insgesamt dem Verbraucherschutz. Danach ist bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen grundsätzlich ein Widerrufsrecht erforderlich, um die berechtigten Interessen des Verbrauchers zu wahren. Natürlich kann aus § 312g BGB keine Obliegenheit abgeleitet werden, die Ausnahmetatbestände des § 312g Abs. 2 nach Möglichkeit ggf. auch durch eine entsprechende Vertragsgestaltung zu vermeiden (Spindler/Schuster/Schirmbacher § 312g Rdn. 8). Aber es ist demjenigen, der sich auf einen Ausschluss beruft gemäß § 312 k Abs. 1 BGB auch umgekehrt verwehrt, ein Widerrufsrecht nach § 312g Absatz 1 BGB durch eine bewusste besonders kreative Gestaltung und Ausnutzung des § 312g Absatz 2 BGB zu umgehen.


Umgeht ein Mitbewerber rechtswidrig Verbraucherrechte, die als Marktverhaltensregelung auch dem Schutz der Mitbewerber untereinander dienen oder wirbt er unlauter mit (falschen) und/oder irreführenden Werbeaussagen? Wir unterstützen und beraten Sie gerne im Umgang mit unlauteren Geschäftspraktiken Ihrer Mitbewerber. Schreiben Sie uns gleich hier eine Nachricht!



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