Betriebsratswahl - Wahlvorstand - Bedeutung - Aufgaben
- 6 Minuten Lesezeit
Teil 1
Wie in jedem Jahr, in welchem die Fußballweltmeisterschaft der Herren stattfindet, werden in Deutschland im Jahr 2022 auch ca. 113.000 Betriebe die regelmäßigen Betriebsratswahlen organisieren und durchführen, und zwar in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai.
Zur Vorbereitung hierauf will ich in loser Folge und in eher unregelmäßigen Abständen ein paar Texte zur Wahl bereitstellen.
Ich selbst bin als Fachanwalt für Arbeitsrecht im Köln-Bonner Raum tätig und seit 2006 auch als Referent für das POKO-Institut, wo ich regelmäßig Schulungen für Betriebsräte halte; natürlich auch zum Thema BR-Wahl. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie viele Wahlvorstände ich mittlerweile geschult habe, sicherlich an die Hundert.
Eine fehlerfreie Wahl ist selten
Meine Seminare beginne ich gerne mit einem wunderschönen Zitat aus einem Beschluss des LAG Thüringen vom 06.02.12 zum Aktenzeichen 1 TaBVGa 1/12:
„Es ist eine Illusion, anzunehmen, der komplexe Prozess einer kollektiven Willensbildung könne fehlerfrei ablaufen. … Erst recht bei Wahlen, selbst bei kleineren oder mittleren Betrieben, sind die Abläufe nicht zuletzt aufgrund einer komplizierten, heterogenen Zielen verpflichteten Wahlordnung derart verdichtet, dass ein idealtypischer Verlauf regelmäßig nicht erwartet werden kann.“
Mit anderen Worten: Irgendwas wird bestimmt schief laufen, und man wird noch nicht einmal etwas dafür können, vielleicht es noch nicht einmal merken.
Und meist wirken sich die Fehler auch nicht aus, oder sie sind den Beteiligten egal und eine Anfechtung dem Arbeitgeber zu teuer, auch, weil er, frei nach Sepp Herberger, weiß: nach dem Anfechtungsprozess ist vor der nächsten Wahl. Und dort, wo ein Betriebsrat insgesamt oder ganz bestimmte Arbeitnehmer als Mitglieder im BR unerwünscht sind oder eine unterlegene Fraktion ihre Niederlage nicht eingestehen will, wird die Wahl ohnehin angefochten, da kann man sich noch so anstrengen, alles richtig zu machen.
Daher: nicht verzagen oder gar verzweifeln, sondern frisch ans Werk!
Rechtsquellen – notwendige Paragraphen – BetrVG und Wahlordnung
Wir brauchen auch gar nicht so viele Paragrafen. Rechtsquellen, die Vorschriften zur Betriebsratswahl enthalten, sind zum einen das Betriebsverfassungsgesetz, hier streng genommen die §§ 1 bis 21 (aber ein Blick darüber hinaus schadet jedenfalls nicht) sowie die Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes, auch genannt Wahlordnung 2001 vom 11. Dezember 2001.
Das BetrVG enthält wichtige Rahmenregelungen wie die Frage, in welchen betrieblichen Einheiten überhaupt Betriebsräte gewählt werden können, wer Arbeitnehmer und wer leitender Angestellter ist, wer wahlberechtigt ist, wie viele Sitze der BR hat, welches Wahlverfahren (normales oder vereinfachtes) einzuhalten ist, wer die Wahlen leitet, die Anfechtung der Wahl und noch einiges mehr.
Die Wahlordnung 2001 (im Folgenden WO) hingegen enthält nähere (formelle) Regelungen zur Durchführung der in den §§ 1 bis 20 BetrVG enthaltenen Vorschriften über die Wahl des Betriebsrats (BR), zB. Aufgaben und Geschäftsführung des Wahlvorstands, Wählerverzeichnis, Wahlausschreiben, Form und Aufbau von Wahlvorschlägen und Stimmzetteln, den eigentlichen Ablauf der Wahl, wie die Stimmabgabe durchzuführen ist, wie sich die Sitzverteilung berechnet, was an Niederschriften zu fertigen und was alles bekannt zu machen ist.
Wir beginnen einfach einmal ganz vorne in der Wahlordnung, nämlich bei § 1 WO.
Wahlvorstand: zwingend notwendig – unabhängig – neutral
I. Das wichtigste Organ zur Durchführung und Organisation der BR-Wahl ist der Wahlvorstand.
Dem Wahlvorstand obliegt gemäß § 1 Abs. 1 WO die Leitung der Wahl.
Das bedeutet dreierlei:
1. Jede Wahl eines Betriebsrats muss von einem Wahlvorstand durchgeführt werden.
Jede Betriebsratswahl setzt also die vorherige Bildung eines Wahlvorstands notwendig voraus.
Eine ohne Wahlvorstand durchgeführte Betriebsratswahl ist nach herrschender Meinung regelmäßig nichtig.
Nichtig wäre also zB. folgende Wahl: Der amtierende Betriebsrat beruft eine Betriebsversammlung ein. Nun führt er ohne vorherige Wahl eines Wahlvorstands an Ort und Stelle selbst die Wahl durch und fordert die Anwesenden auf, durch Handheben (Akklamation) die anwesenden Kandidaten in den BR zu wählen.
Eine Wahl wäre auch dann ohne Wahlvorstand durchgeführt und entsprechend nichtig, wenn bereits die Bestellung des Wahlvorstandes selbst nichtig wäre. Das ist aber nur in sehr seltenen Fällen gegeben:
LAG Hessen (Beschl. v. 14.09.2020, 16 TaBVGa 127/20): „Die Nichtigkeit der Bestellung eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl ist auf ausgesprochen schwerwiegende Errichtungsfehler beschränkt, die dazu führen, dass das Gremium rechtlich inexistent ist. Dabei muss es sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen die Bestellungsvorschriften der §§ 16 bis 17a BetrVG handeln.“
Die von einem fehlerhaft bestellten oder besetzten Wahlvorstand durchgeführte Betriebsratswahl wird in aller Regel nur anfechtbar sein, aber nicht nichtig.
Das LAG München (Beschluss vom 16.05.2017, 6 TaBV 108/16) schreibt: „Fehler bei der Bildung des Wahlvorstands begründen regelmäßig keine Nichtigkeit der nachfolgend durchgeführten Betriebsratswahl“.
2. Ausschließlich der Wahlvorstand bereitet die Wahl vor und führt sie durch.
Der WV ist ein eigenständiges und unabhängiges Organ. Er ist vom Arbeitgeber und der Geschäftsleitung, aber auch vom amtierenden Betriebsrat unabhängig, und das, obwohl der amtierende BR ihn selbst bestellt hat.
Der WV fasst eigene Beschlüsse und ist dabei auch in der rechtlichen Bewertung von Sachverhalten (Leitende Angestellte, Betriebsbegriff) nicht an die (bisherige) Einschätzung anderer Organe gebunden. Je nachdem muss er sich jedoch mit dem Wahlvorstand für die Wahl des Sprecherausschusses für die Leitenden Angestellten abstimmen, was den Status einzelner Arbeitnehmer angeht.
Der amtierende Betriebsrat kann den Wahlvorstand evtl. unterstützen, hat sich aber ansonsten jeder Einmischung zu enthalten; auch (und erst recht) die/der Betriebsrats-Vorsitzende ist nicht weisungsbefugt, selbst wenn sie/er Mitglied oder sogar Vorsitzende/r des Wahlvorstands sein sollte.
Der Betriebsrat ist vor allem nicht befugt, die von ihm eingesetzten Mitglieder des Wahlvorstands (gegen ihren Willen) wieder abzuberufen.
Der Wahlvorstand kann verlangen, dass jede Form der unzulässigen Einflussnahme unterlassen wird, egal von wem.
Der Wahlvorstand soll die ihm obliegenden Aufgaben ohne Einfluss von außen durchführen können; zu den Aufgaben gehören die Einleitung und Durchführung der Wahl und die Feststellung des Wahlergebnisses. Weiterhin muss er ganz allgemein darauf achten, dass die Wahl rechtmäßig und ordnungsgemäß durchgeführt wird.
Dazu hat er das Recht, sämtliche Störungen und Hindernisse, die der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl entgegenstehen – zur Not auch mit gerichtlicher Hilfe – zu beseitigen.
Der Wahlvorstand ist deshalb bei den Arbeitsgerichten beteiligungsfähig und auch antragsbefugt.
3. Gemäß § 1 Abs. 1 WO obliegt dem Wahlvorstand die „Leitung der Wahl“. Das bedeutet, dass er im Wesentlichen organisatorische Aufgaben hat (BAG, 15.05.2013, 7 ABR 40/11).
Dies bedeutet einmal, dass der Wahlvorstand deshalb kein dem Arbeitsgericht vorgeschaltetes Wahlanfechtungs-Prüfungsorgan ist.
Zu seinen Aufgaben gehört zB. nicht die Prüfung, ob Wähler bei der Sammlung von Stützunterschriften für einen Wahlvorschlag getäuscht wurden oder ob eine unzulässige Einflussnahme auf die Wahl dadurch vorliegt, dass leitende Angestellte für eine Liste Stützunterschriften sammeln.
Es bedeutet aber auch, dass der WV die Wahl strikt nach Maßgabe der Wahlvorschriften durchzuführen und sich dabei neutral zu verhalten hat; er muss sicherstellen, dass alle Kandidaten und Listen die gleichen Chancen haben auf einen Wahlerfolg (vgl. zB. LAG Stuttgart, 27.11.2019, 4 TaBV 2/19).
Auch der BR muss sich dem Thema „Wahl“ stellen
Die ordnungsgemäße Bestellung des Wahlvorstands legt also den Grundstein für die erfolgreiche Durchführung der Betriebsratswahl.
Die Bestellung erfolgt in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle durch den amtierenden Betriebsrat, § 16 Abs. 1 BetrVG.
Er stellt somit die Weichen für die erfolgreiche Organisation und Durchführung der Wahl. Er muss durch rechtzeitige Bestellung des WV dafür sorgen, dass die Wahl vor Ende seiner Amtszeit stattfindet und keine betriebsratslose Zeit eintritt, er legt die Anzahl WV-Mitglieder und Ersatzmitglieder fest und muss dazu selbst überlegen, wie viele Wahllokale unterhalten werden sollen; er bestellt auch die/den Vorsitzende/n des WV (was viele Betriebsräte nicht wissen) und hat auch noch einiges mehr zu bedenken.
Es ist deshalb äußerst wichtig, dass sich der BR rechtzeitig vor der Bestellung des WV selbst einmal intensiv mit dem Thema „Wahl“ beschäftigt, um hier für einen optimalen Start sorgen zu können.
Als nächstes folgt (hoffentlich): Die Bestellung des Wahlvorstands durch den amtierenden Betriebsrat.
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