BGH "grün" hinter den Ohren? Rechtsprechung zur nicht geringen Menge Cannabis und ihre Folgen

  • 5 Minuten Lesezeit
Cannabispflanze: Vom BGH missachtet

1. Das neue KCanG und der Begriff der „nicht geringen Menge“


Das kürzlich in Kraft getretene KCanG hat für Konsumenten die heiß ersehnte Legalisierung gebracht – oder zumindest eine Teilentkriminalisierung, da in bestimmten Grenzen immer noch eine Strafbarkeit droht, wenn bestimmte Mengengrenzen überschritten werden. So macht sich etwa strafbar nach § 34 Abs. 1 Nr. 1b bzw. lit.c KCanG, wer mehr als drei erlaubte Cannabispflanzen bzw. mehr als 60 Gramm Cannabis besitzt. Ein besonders schwerer und damit strafschärfender Fall wird dabei unter anderem dann angenommen, wenn sich die Handlung dabei auf eine „nicht geringe Menge“ bezieht, § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

💡Große Frage ist nun: Was ist die „nicht geringe Menge?“ Zur Einordnung ein kurzer Ausflug in die Mengenlehre, die auch für andere Drogen im BtMG Geltung beansprucht:

  • Geringe Menge: Diese Menge umfasst höchstens drei Konsumeinheiten, wobei eine Konsumeinheit in etwa der Menge entspricht, die den gelegentlichen Durchschnittskonsumenten in einen Rauschzustand versetzt. Es wird auf die Bruttomenge abgestellt, die vor der Cannabisreform in den meisten Bundesländern bei etwa 6 Gramm lag (Berliner werden herzhaft lachen). In der Praxis wird man bei Unterschreiten hier oftmals von Strafverfolgung abgesehen, wenn keine Fremdgefährdung vorliegt.
  •  „normale“ Menge: Zwischen geringer und nicht geringer Menge liegt logischerweise eine „normale“ Menge – so einfach kann Jura sein.
  • Nicht geringe Menge: Diese Menge ist abhängig von der Gefährlichkeit der jeweiligen Substanz und ist gesetzlich nicht vorgegeben. Es drohen hier Freiheitsstrafen prinzipiell nicht unter einem Jahr (§ 29a BtMG) bzw. im Falle von Cannabis nach der neuen Gesetzeslage immerhin noch drei Monate bis fünf Jahre. Vom BGH wurde im Hinblick auf Cannabis der Grenzwert schon 1984 bei 7,5g Tetrahydracannabinol festgesetzt.


2. „Neue“ Entscheidung des BGH – Ein Biss ins Gras


 ❗Wie soeben dargelegt, ist die Entscheidung des BGH schon etliche Jahre her und die Gesetzeslage hat sich seit dem 01.04.2024 aufgrund KCanG maßgeblich verändert. Der Besitz bestimmter Mengen ist nun überhaupt nicht mehr unter Strafe gestellt, was – eigentlich – dazu führen müsste, dass eine neue, geänderte Risikobewertung der Gefährlichkeit der Droge und damit des Grenzwertes anzusetzen ist; so sieht es selbst der Gesetzgeber, der in der Gesetzesbegründung (BT-Ds. 20/8704, 130) ausdrücklich vorgeschrieben hat, dass die Grenzwerte nunmehr „deutlich höher“ liegen müssen!

🤡Der 1. Strafsenat des BGH hat dementgegen nun entschieden, dass alles so bleibt wie es ist (Beschl. v. 18.04.2024, Az. 1 StR 106/2). Dies widerspricht nicht nur der Gesetzeslage sowie dem eindeutigen und dokumentierten Willen des Gesetzgebers, sondern führt auch zu klaren Brüchen in dem (ohnehin handwerklich außerordentlich schlecht ausgearbeiteten) Gesetz. Der strenge Grenzwert von 7,5 g THC ist mit dem erlaubten Besitz von 50 g Cannabis aus Eigenanbau in keiner Weise mehr logisch in Vereinbarung zu bringen. Ferner verschwimmt die Grenze zwischen der Strafbarkeitsschwelle und einem besonders schweren Fall fast komplett.

⁉️Ein kurzes Beispiel um die Folgen transparent darzustellen:

Legt man dem Marihuana einen auch nur durchschnittlichen Wirkstoffgehalt zugrunde, wäre die nicht geringe Menge von 7,5g THC schon bei nur absolut minimalen Überschreitungen von 60 g überschritten. Eine „normale“, also in etwa durchschnittliche Menge liegt folglich nur in einem absolut geringfügigen Teil der Fälle vor, wenn nämlich die 60 g gerade so überschritten sind und/oder dabei der Wirkstoffgehalt unterdurchschnittlicher Natur ist.

Das führt in der Praxis zu folgendem völlig abstrusen Ergebnis: Der Normalfall der Strafbarkeit liegt kaum noch vor und erfasst nach dem eben Gesagten nur ganz geringfügige Verstöße, die zu ahnden es eigentlich nicht wert ist. Ein besonders schwerer Fall (der sich per Definition vom Durchschnitt der Fälle so sehr abhebt, dass ein schärferer Strafrahmen geboten ist) stellt hingegen nunmehr den Normalfall dar. Dieses Ergebnis ist – mit Verlaub – juristisch schlichtweg Schwachsinn und kann unmöglich gewollt sein. Die Entscheidung ist nicht nur im Ergebnis contra legem und praxisfern, sondern auch im Hinblick auf die juristische Argumentationsgüte und Fachkenntnisse bezüglich der Gefährlichkeit der Droge unhaltbar.


3. Kein Ausrutscher, sondern System-Versagen

Traurigerweise kein Totalausfall nur eines Senats, der auf bloße Unachtsamkeit schließen lassen könnte: Ein Großteil der anderen Senate des BGH folgen dem Unsinn ihrer Kollegen vorbehaltlos (2. Strafsenat - Az.: 2 StR 480/23, 4. Strafsenat - Az.: 4 StR 4/24, 5. Strafsenat - Az.: 5 StR 136/24 und 5 StR 153/24 und 6. Strafsenat - Az.: 6 StR 124/24 und 6 StR 132/24). Wer den dritten Senat in der Entscheidungsauflistung vermisst: Dieser hat (zumindest bisher) nicht rebelliert, sondern schlichtweg noch keinen entsprechenden Fall vor die Flinte bekommen, um darüber entscheiden zu können.

Auch in anderen Entscheidungen im (weiteren) Zusammenhang mit dem Drogenmilieu rutscht einem teilweise die Kinnlade herunter und man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die höchstrichterliche Rechtsprechung ist aktuell jedenfalls nicht von juristischer Brillanz, sondern ganz im Gegenteil von Ignoranz und Willkür geprägt. Saubere Auslegungsmethodik sieht anders aus. Beruhigend aber, dass einige BGH-Richter noch im mündlichen Staatsexamen prüfen – für klasse Nachwuchs in unserer Zunft wird also bestens gesorgt sein!


4. Und wie geht es weiter?

Auch wenn der BGH erst einmal Pflöcke eingerammt hat, die sich nicht ohne weiteres beseitigen lassen werden, gibt es zumindest etwas Hoffnung in Form des kleinen Amtsgerichts Aschersleben (Urt. v. 24.09.2024, Az.2 Ds 69-24). In Abweichung von der Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. April 2024 könne hiernach die nicht geringe Menge nicht auf 7,5 g reinen THCs festgesetzt werden, sondern sei abweichend hiervon auf 37,5 g reines THC festzusetzen. Die Gesetzesbegründung des KCanG müsse zwingend beachtet werden, nicht zuletzt aufgrund des aus der Verfassung folgenden Gewaltenteilungsgrundsatzes sowie des Demokratieprinzips; wenn Gerichte die Gesetzgebung hingegen ignorieren, greife ein Gericht in die Tätigkeit der Gesetzgebung über. Die vorzunehmende Risikobewertung gehöre auch deswegen geändert, weil die Risikobewertung keine rein naturwissenschaftliche Risikobewertung sei, sondern notwendigerweise auch eine gesellschaftliche Wertentscheidung enthalte, welche im KCanG zum Ausdruck komme.

🫡Und zum Schluss sei dem Amtsrichter noch für folgende Aussage gedankt: „Würde man der Argumentation des Senats folgen, wäre die rein naturwissenschaftlich vorzunehmende Risikobewertung von Alkohol angesichts der damit verbundenen Verkehrs- und Gewaltdelikte so verheerend, dass es kaum noch Gründe für einen legalen Verzehr gäbe."

Den Ausführungen in der Einzelentscheidung dieses mutigen Richters gibt es kaum noch etwas hinzuzufügen, sie entlarvt die BGH-Rechtsprechung dem Grunde nach als offensichtlich verfassungswidrig. Weitere „rebellierende“ Urteile der Instanzgerichte, ein Gang zum Bundesverfassungsgericht sowie eine etwaige Nachbesserung des Gesetzgebers, in dessen Entscheidungen hier offensichtlich eingegriffen wurde, sind trotz der geschaffenen Tatsachen nicht außerhalb der Realität und geben Anlass zur Hoffnung, dass das letzte Wort in der Sache noch nicht gesprochen ist.

Sie sind ebenfalls Beschuldigter in einem Betäubungsmittelverfahren oder sind sich unsicher, wie Sie mit der geltenden Gesetzeslage umgehen sollen? Ich bin als versierter Fachanwalt für Strafrecht Ihr Spezialist im Betäubungsmittelstrafrecht und stehe Ihnen gerne mit meinem Rat zur Seite oder verteidige Sie in entsprechenden Verfahren. Kontaktieren Sie mich gerne.



AS-Strafverteidigung

Adrian Schmid

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

www.as-strafverteidigung.de

info@as-strafverteidigung.de

+49 (0) 511 51524700

Foto(s): freepik

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Adrian Schmid

Beiträge zum Thema