Bundessozialgericht verbietet Honorar-Notärzte nicht!

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Am 01.08.2016 hat das Bundessozialgericht (BSG), Az. B 12 R 19/15 B, zwar einen Notarztfall verhandelt, aber es hat keine Feststellung getroffen, dass diese Tätigkeit regelmäßig als abhängige Beschäftigung i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV zu beurteilen ist. Leider hat es aber entsprechende Meldungen auch in Fachkreisen gegeben (https://www.kma-online.de/aktuelles/politik/detail/honorar-notaerzte-auf-rettungswagen-nicht-mehr-erlaubt-a-32411; http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/recht/article/918358/bundessozialgericht-keine-honorar-notaerzte-rettungswagen.html).

Diese Äußerungen wurden offenbar ohne Kenntnis der Begründung des BSG gemacht. Denn die Revision des DRK wurde lediglich aus formalen Gründen als nicht zulässig erachtet, da die Anwälte des Deutschen Roten Kreuzes, die BDO Legal, keine überzeugenden Revisionsgründe vortragen konnten. Wie kam es dazu? Das DRK konnte die Revision zum BSG gegen die negativen Entscheidungen der Vorinstanzen nur aus den sehr eng gefassten Zulassungsgründen des § 160 Abs. 2 SGG einlegen. Üblicherweise wird die Revision aus mehreren dieser Gründe eingelegt. Die BDO Legal führte jedoch nur einen Grund an. Sie behauptete, dass das LSG Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung vom 28.04.2015, Az. L 7 R 60/12, schon nicht die richtigen rechtlichen Regelungen angewandt habe (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

Dies konnte das BSG jedoch nicht erkennen. Das LSG habe seiner Entscheidung die zutreffenden gesetzlichen Grundlagen und die zutreffenden Regelungen der Rechtsprechung zugrunde gelegt. Nicht angeführt hatte die BDO Legal die grundsätzliche Bedeutung, welche diese Entscheidung für alle Notärzte in Deutschland haben kann. Auch dies wäre jedoch ein Revisionsgrund gewesen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Dieser dürfte auch gegeben sein, da die Frage der Sozialversicherungspflicht von Notärzten über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung für die Rettungsdienste in Deutschland besitzt (Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 6. Auflage 2012, Rz. 533). So dürfen wir weiter hoffen, dass das BSG die Notärzte in einer folgenden Entscheidung als selbständig beurteilt. Denn die für die abhängige Beschäftigung vorgetragenen Argumente der Deutschen Rentenversicherung greifen regelmäßig nicht:

1. Vergütung erfolgt über Stundenlohn

Eine Abhängigkeit wird indiziert, wenn der Honorarnotarzt eine stundenweise Vergütung, einen „Stundenlohn“ erhält.

Stundenlöhne werden von Unternehmern überwiegend mit Arbeitern und Handwerkern vereinbart. Ein Stundenlohn als Vergütung für ärztliche Leistungen entspricht nicht der Regel. Ärzte, die abhängig beschäftigt sind, erhalten ein Gehalt und keinen Stundenlohn. Selbständige Ärzte, wie andere Freiberufler auch, rechnen nach Gebührenordnungen ab. Bei den Ärzten sind dies die GOÄ für Privatpatienten und der EBM für Kassenpatienten. Dort ist der Dienst als Notarzt im Rettungsdienst aber nicht geregelt. Bei Regelungslücken wird aber auch bei anderen selbständigen Freiberuflern z.B. Rechtsanwälten und Steuerberatern auf die stundenweise Vergütung zurückgegriffen.

Zum anderen ist der Stundenlohn kein Argument für eine abhängige Beschäftigung, da nicht ein bestimmter Wert einer bestimmten ärztlichen Leistung, sondern die Bereitschaft zur Erbringung ärztlicher Leistungen im Vordergrund steht (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015, Az. L 1 KR 105/13 Rz. 66 f. zitiert nach juris). Es ist möglich, dass ein Notarzt während eines ganzen Dienstes nicht eine ärztliche Leistung ausführt. Der Wert seiner ärztlichen Leistung wäre € 0; der Notarzt erhielte kein Entgelt für diesen Dienst. Diese Bereitschaft, ärztliche Leistungen zu erbringen, lässt sich daher sachgerechter an der vom Notarzt hierfür aufgewandten Zeit bemessen.

Der Arzt als abhängig Beschäftigter kann durch zusätzliche Arbeit nicht mehr Geld verdienen; er bekleidet eine leitende Position im außertariflichen Bereich, in dem die unentgeltliche Erbringung von Überstunden erwartet wird.

Der Notarzt jedoch wird für jede Stunde bezahlt und kann durch jede gearbeitete Stunde mehr Geld verdienen. Der Stundenlohn ist so die sachlich angemessene Form des Entgelts für einen Notarzt und kein Indiz für die abhängige Beschäftigung.

2. Unternehmerische Gestaltungsfreiheit

Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des selbständigen Notarztes ist gering. Dennoch ist dies kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Denn diese fehlende Gestaltungsfreiheit ist nicht wie bei abhängig Beschäftigten die Kehrseite des Weisungsrechtes des Arbeitgebers. Die fehlende Gestaltungfreiheit ergibt sich aus der starken gesetzlichen Regulierung in diesem Bereich. Diese starke Regulierung folgt daraus, dass Notärzte mit dem Leben und der Würde von Menschen arbeiten. Dies sind unsere höchsten Verfassungsgüter. Auch andere Unternehmer, die mit diesen Verfassungsgütern arbeiten, sind einer ebenso starken Regulierung ausgesetzt. Insbesondere Unternehmer von Krankenhäusern, Pflegeheimen, Pflegediensten und niedergelassene Ärzte sind einer entsprechend starken gesetzlichen Regulierung ausgesetzt.

3. Kein Einsatz von eigenem Kapital in nennenswertem Umfang

Die Höhe des Kapitaleinsatzes ist kein Indiz für die Abhängigkeit des Notarztes. Hohe Kapitaleinsätze sind typisch für die Bereiche Produktion und Handel. Dort sind sie auch Indiz für eine Selbständigkeit. Der Arzt ist freiberuflicher Dienstleister. Bei Freiberuflern ist der Einsatz von hohen Kapitalsummen untypisch. Denn diese „verkaufen“ ihr Wissen, ihre Kenntnisse, Erfahrungen, das Know-how. Hierfür sind höhere Kapitaleinsätze nicht erforderlich. Dies gilt auch für Ärzte. Eine Ausnahme bei den Ärzten bilden die niedergelassenen Radiologen.

4. Nutzung des zur Verfügung gestellten Rettungswagens

Die Nutzung von Betriebsmitteln des Unternehmers ist grundsätzlich ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung bei diesem. Honorar-Notärzte haben keine eigenen Rettungsfahrzeuge und somit kein eigenes Betriebsmittel. Dies wäre auch schwierig. Denn würde der Notarzt hier eigene Betriebsmittel einsetzen, so müsste der Träger des Notdienstes diese vor jedem Einsatz auf die Einhaltung der Vorgaben des Rettungsgesetzes überprüfen, was die Durchführung des Notdienstes gefährden würde. Zum Vergleich: auch Lehrbeauftragte/Dozenten nutzen fremde Betriebsmittel, ohne dass dies Indiz für eine abhängige Beschäftigung wäre (Hörtz/Tacou; Einzelfallgerechtigkeit beim sozialversicherungsrechtlichen Status von Notärzten, NZS 2015, 175ff., 178).

5. Lenkung der Einsätze durch Leitstelle

Die Leitstelle lenkt die Einsätze des Rettungsdienstes und der ihm angehörenden Notärzte. Sie gibt Weisungen zu Eintreffzeiten und zur einheitlichen Dokumentation. Dies ist jedoch kein Indiz für ein für eine abhängige Beschäftigung des Notarztes, sondern ist in den Rettungsgesetzen des jeweiligen Bundeslandes vorgeschrieben.

Der Notarzt wird so nicht in den Betrieb des Rettungsdienstes eingegliedert. Denn die Träger der Rettungsdienste haben in der Regel keine eigene Betriebsleitung für den Rettungsdienst, welcher die einzelnen Aufträge vergibt. Die Verteilung läuft über die Leitstellen, die zumeist auch noch für den Katastrophenschutz und die Feuerwehren zuständig sind (vgl. z.B. § 7 Abs. 1 RettG NRW). Die integrierte Leitstelle wiederum führt weder die Notarztdienste, noch die Löschaktionen der Feuerwehr selbst durch. Die Leitstelle ist so weder Teil der Betriebsorganisation des Rettungsdienstes noch der Feuerwehr (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015, Az. L 1 KR 105/13 Rz. 82 f. zitiert nach juris).

Zudem kann man von einer Eingliederung in den Betrieb des Notdienstes nicht ausgehen, falls die Weisungsrechte des Trägers des Notdienstes nicht über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen (Hörtz/Tacou, Einzelfallgerechtigkeit beim sozialversicherungsrechtlichen Status von Notärzten, NZS 2015, 175 ff., 179).

6. Weisungen durch leitenden Notarzt bei größeren Notfällen

Die deutsche Rentenversicherung geht zutreffend davon aus, dass der Notarzt bei größeren Einsätzen den Weisungen des leitenden Notarztes unterworfen ist. Jedoch ergibt sich dessen Weisungsrecht auch nur aus der gesetzlichen Vorgabe des jeweiligen Rettungsgesetzes und ist eben nicht Ausfluss des Weisungsrechtes eines Arbeitgebers. Für ein vertraglich begründetes Weisungsrecht, das Indiz für die Abhängigkeit des Notarztes ist, ist daher kein Raum. Eine entsprechende Regelung im Notarztvertrag hat lediglich deklaratorische Bedeutung (ähnlich LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.03.2015, Az. L 1 KR 105/13 Rz. 73 zitiert nach juris, wo darauf abgestellt wird, dass der leitende Notarzt keine Dienstpläne erstellt).

7. Anwesenheitspflicht des Notarztes auf der Rettungswache

Der Notarzt muss sich in der Rettungswache im Bereitschaftsraum aufhalten. Dies ergibt sich aus den jeweiligen Rettungsgesetzen der einzelnen Bundesländer. Anwesenheitspflicht ist somit auch hier nicht Ausdruck einer vertraglich begründeten Weisungsbefugnis, sondern hat nur deklaratorische Bedeutung.

8. Tätigkeitsort Einsatzfahrzeug ist vorgegeben

Eine abhängige Beschäftigung ergebe sich ferner daraus, dass das Einsatzfahrzeug als Tätigkeitsort vom Auftraggeber des Notarztes vorgegeben sei. Die ärztlichen Leistungen werden in der Regel nicht im Einsatzfahrzeug/Notarztwagen erbracht. Dieser dient der Beförderung des Notarztes zum Notfallort (vgl. z.B.§ 3 Abs. 2 RettG NRW). Der Tätigkeitsort ist aber nicht das Notarztfahrzeug, sondern der Notfallort (vgl. z.B. § 2 Abs. 2 RettG NRW). Dieser Einsatzort wird so nicht vom Auftraggeber des Notarztes vorgegeben und kann so nicht dessen Weisungsrecht entspringen. Vielmehr ruft die Leitstelle den Notarzt dort hin (vgl. z.B. § 8 Abs. 1 RettG NRW). Folglich bleibt auch in diesem Punkt kein Platz für ein vertragliches Weisungsrecht der Auftraggeber als Indiz für die Abhängigkeit des Notarztes und damit einer Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV.

Kontaktieren Sie mich, Rechtsanwalt Markus Karpinski, Fachanwalt für Medizinrecht und Fachanwalt für Sozialrecht von der Kanzlei für Pflegerecht in Lüdinghausen unter 0 25 91 – 20 88 58 und Dortmund unter  02 31 - 22 25 568 .


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