Der Grad der Behinderung (GdB) bei Wirbelsäulenschäden
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Behinderte und schwerbehinderte Menschen können als Ausgleich für die behinderungsbedingten Nachteile sogenannte „Nachteilsausgleiche“ in Anspruch nehmen, z. B. Steuervergünstigungen, Zusatzurlaub oder Kündigungsschutz am Arbeitsplatz. Die Nachteilsausgleiche sind dabei abhängig von dem jeweiligen Merkzeichen und dem ermittelten Grad der Behinderung (GdB).
Behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung wenigstens 50 beträgt und die in Deutschland wohnen, gelten dabei nach § 2 SGB IX (Sozialgesetzbuch Neun) als schwerbehindert. Dann gilt z. B. auch der besondere Kündigungsschutz nach § 85 ff. SGB IX für Schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen (GdB von wenigstens 30), während ein Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX grundsätzlich nur schwerbehinderten Menschen zusteht. Wer sein Recht als schwerbehinderter Mensch gelten machen will, muss zunächst also seine Schwerbehinderteneigenschaft nachweisen.
Antragsstellung
Jeder behinderte Mensch kann dazu bei seiner örtlich zuständigen Behörde einen Antrag stellen. Die Behörde stellt sodann das Vorliegen der Behinderung, des Grades der Behinderung und weiterer gesundheitlicher Merkmale (Merkzeichen) für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen fest. Dazu muss die Behörde jedoch zuerst Berichte und Befundunterlagen der behandelnden Ärzte beiziehen, falls der Antragssteller diese nicht bereits mit dem Antrag eingereicht hat. Erfahrungsgemäß übersenden manche Ärzte nur sehr zögerlich medizinische Unterlagen. Es ist deshalb sinnvoll, sich als Antragssteller einige Zeit nach Antragsstellung beim Hausarzt bzw. Facharzt zu erkundigen, ob die Behörde bereits dort angefragt hat und ob ärztliche Unterlagen bereits übersandt worden sind.
Nachdem nun die angeforderten medizinischen Unterlagen, welche die Gesundheitsstörungen bezeichnen, der Behörde vorliegen, werden diese nun an den ärztlichen Dienst der Behörde weitergeleitet. Der ärztliche Dienst legt sodann nach Auswertung der Unterlagen in seiner gutachterlichen Stellungnahme für die festgestellten Gesundheitsstörungen für jede Beeinträchtigung jeweils einzeln den Grad der Behinderung fest und bildet dann daraus den Gesamt-GdB.
Gesamt-GdB
Daher ist zur Beantwortung der Frage nach dem Gesamt-GdB auch unerlässlich die Kenntnis der jeweiligen Einzel-GdB. Diese sind durch Akteneinsicht in Erfahrung zu bringen. Denn dort sind in der gutachterlichen Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes die Einzel-GdB für die jeweiligen Erkrankungen aufgeführt. Der Antragssteller hat das Recht, die versorgungsärztlichen Beurteilungen und übrigen Unterlagen einzusehen, er kann deshalb Akteneinsicht beantragen.
Der Grad der Behinderung (GbB) wird dabei nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen nach Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festgestellt. Dabei werden einzelne Beeinträchtigungen nur berücksichtigt, wenn sie für sich allein einen GdB von mindestens 10 erreichen.
Versorgungsmedizinische Verordnung
Wie bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden ist, ergibt sich in erster Linie aus der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und der zu deren § 2 erlassene Anlage „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“; diese Verordnung trat zum 01.01.2009 in Kraft.
Danach ist regelmäßig von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann zu prüfen, ob wegen der weiteren Beeinträchtigungen das Ausmaß der Behinderung größer wird und daher der Gesamt-GdB höher anzusetzen ist. (Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB für alle Beeinträchtigungen dürfen die einzelnen GdB-Werte daher nicht addiert werden!)
Die Feststellung des Einzel-GdB in Bezug auf Wirbelsäulenschäden ergibt sich aus Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze:
Der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden ergibt sich primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte.
Danach wird bei Wirbelsäulenschäden
- mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10
- mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20
- mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 angenommen,
- bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 30-40,
- mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) ein GdB von 50-70,
- bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80-100.
Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB wird in der Regel von der Behinderung ausgegangen, die den höchsten Einzel-GdB der Behinderung bedingt. Dann wird im Hinblick auf alle weiteren Behinderungen geprüft, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob und inwieweit also wegen der weiteren Behinderungen der höchste Einzel-Gdb zu erhöhen ist, um der Gesamtbehinderung insgesamt gerecht zu werden.
Wenn also bei dem behinderten Menschen große Teile der Wirbelsäule versteift worden sind und noch weitere Gesundheitsstörungen oder Behinderungen erschwerend hinzukommen, so ist dies zusätzlich zu berücksichtigen, sodass sich auch ein höherer GdB begründen ließe. Bitte beachten Sie dabei, dass immer der jeweilige Einzelfall berücksichtigt werden muss. Eine Akteneinsicht ist dabei unerlässlich, insbesondere auch, weil die jeweiligen Einzel-GdB dadurch ersichtlich werden.
Feststellungsbescheid
Nach Abschluss der medizinischen Ermittlungen erteilt die Behörde dem Antragssteller nun einen Feststellungsbescheid, wenn der Gesamt-GdB mindestens 20 beträgt. Außerdem wird festgestellt, welche gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen vorliegen und ob ein Ausweis (GdB mindestens 50) auszustellen ist.
Kommt das Versorgungsamt zu dem Ergebnis, dass ein Grad der Behinderung (GdB) nicht vorliegt oder nicht erhöht wird, so besteht die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Widerspruch einzulegen. Ein Widerspruch ist natürlich auch möglich, wenn der Antragsteller den festgestellten Wert für zu niedrig hält.
Widerspruch
Ist man nun also mit dem festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden, weil z. B. das Ausmaß der bestehenden Erkrankung nicht hinreichend berücksichtigt worden ist, so kann man gegen den Bescheid nach Zugang innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen. Zur Einhaltung der Rechtsmittelfrist reicht zunächst die Einlegung eines einfachen formlosen Widerspruchs, welcher das Datum und das Aktenzeichen des Bescheids benennen sollte, gegen den er sich richtet. Er sollte an die jeweilige Behörde, die den Bescheid erlassen hat, gerichtet sein und sollte das aktuelle Datum, den Namen und die Unterschrift des Widerspruchsführers beinhalten. Eine Begründung des Widerspruchs kann nachgereicht werden.
Nach Eingang des Widerspruchs, der am besten per Einschreiben gesendet werden sollte, entscheidet die Behörde nach erneuter Prüfung, ob dem Widerspruch abgeholfen werden kann, in dem die begehrte Feststellung nunmehr getroffen wird. Kommt die Behörde jedoch nach erfolgter Überprüfung zu keinem anderen Ergebnis, so leitet sie den Widerspruch an die zuständige Widerspruchsstelle weiter. Diese Stelle prüft ebenfalls den Vorgang und erlässt einen sogenannten Widerspruchsbescheid.
Klage
Wenn Sie nun nach gründlicher Prüfung des Widerspruchsbescheids der Auffassung sind, dass Ihr Anliegen ganz oder teilweise doch berechtigt ist, sollten Sie gegen den erlassenen Widerspruchsbescheid nach Zugang innerhalb eines Monats Klage beim zuständigen Sozialgericht einlegen. Vor dem Sozialgericht erfolgt sodann die nochmalige ausführliche Prüfung des vorliegenden Sachverhaltes unter Beiziehung weiterer Befundberichte der vom Kläger angegebenen Ärzte und Kliniken. Kann der Richter sich danach noch immer kein ausreichendes Bild machen, so gibt er ein Sachverständigengutachten nach § 106 SGG in Auftrag. Deren Kosten muss nicht der Kläger, sondern die Landeskasse tragen. Grundsätzlich sind Klagen vor den Sozialgerichten gerichtskostenfrei. Darüber hinaus ist das Gericht verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Insofern empfiehlt es sich durchaus, die behördliche Ausgangsentscheidung, also den Feststellungsbescheid der Behörde, mit dem jeweiligen Grad der Behinderung in einem Gerichtsverfahren überprüfen zu lassen.
Die Autorin vertritt bundesweit die Interessen von behinderten Menschen und ist Mitglied im Bundesverband Skoliose Selbsthilfe e. V. Interessengemeinschaft für Wirbelsäulengeschädigte.
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