der Notarzt, der nicht mehr knien konnte

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Die wertende Gesamtschau ist ein entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit. Hier sind einige wichtige Punkte und konkrete Fallbeispiele:


Die sog. quantitative Bewertung erfolgt durch die Berechnung des Zeitanteils, den der Versicherte aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr leisten kann. Ein Beispiel hierfür ist ein selbstständiger Automatenaufsteller, der aufgrund gesundheitlicher Probleme keine Geldzählmaschine mehr tragen konnte. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass das Tragen der Geldzählmaschine ein untrennbarer Bestandteil des Abrechnungsvorgangs war, was zur Anerkennung der Berufsunfähigkeit führte, obwohl das Tragen der Geldmaschine zeitlich nicht überwog.

Eine Berufsunfähigkeit kann auch dann vorliegen, wenn der Versicherte weniger als 50 % seiner Arbeitszeit nicht mehr leisten kann, aber die verbleibenden Tätigkeiten keinen sinnvollen Arbeitserfolg mehr ermöglichen. Ein Beispiel hierfür ist eine Mitarbeiterin in einer Anwaltskanzlei, die aufgrund eines Rückenleidens die notwendigen Einkäufe im Großmarkt nicht mehr erledigen konnte. Der BGH entschied, dass der Einkauf ein untrennbarer Bestandteil ihrer Tätigkeit war, was zur Berufsunfähigkeit führte.

Tätigkeiten, die den qualitativen Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit ausmachen, können auch bei einem Restleistungsvermögen von über 50 % zu einer Berufsunfähigkeit führen, wenn sie nicht mehr ausgeübt werden können. Ein Beispiel hierfür ist ein Unternehmer, der einen Internet-Versandhandel betrieb und aufgrund einer Schulterverletzung die schweren Lagerarbeiten nicht mehr ausführen konnte. Da jedoch die Leitung des Unternehmens, die Produktauswahl und die Preiskalkulation weiterhin möglich waren und Umsatz sowie Gewinn nahezu gleich blieben, wurde keine Berufsunfähigkeit anerkannt.


Die wertende Gesamtschau erfordert eine umfassende Bewertung, die sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte berücksichtigt. Dabei sind Einkommen und Gewinn wichtige Beurteilungsfaktoren. Ein Beispiel hierfür ist ein Notarzt, der aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr knien konnte. Obwohl das Knien zeitlich nur einen geringen Anteil seiner Tätigkeit ausmachte, wurde die Berufsunfähigkeit anerkannt, da das Risiko- und Gefahrenpotential hoch war.


Eine Berufsunfähigkeit kann auch dann vorliegen, wenn die Fortsetzung der Berufstätigkeit für den Versicherten unzumutbar ist, beispielsweise aufgrund besonderer Opfer oder der Notwendigkeit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Ein Beispiel hierfür ist ein stark sehbehinderter Studienrat, der zur Berufsausübung mit Vor- und Nachbearbeitung einen wesentlich erhöhten Zeitaufwand hatte und sich von seiner Frau fahren lassen musste.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Bewertung der Berufsunfähigkeit nicht nur auf einer rein quantitativen Betrachtung basiert, sondern auch qualitative Aspekte und die Zumutbarkeit der Berufsausübung berücksichtigt werden müssen.


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