Der richtige Zeitpunkt für den Scheidungsantrag
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Googelt man in der heutigen Zeit die Frage, was der richtige Zeitpunkt ist, um einen Scheidungsantrag zu stellen, so erhält man die zutreffende, aber langweilige Ausführung, dass zunächst ein Trennungsjahr einzuhalten sei und erst danach der Scheidungsantrag gestellt werden könne.
Dies ist im Ergebnis genauso falsch wie letztlich irrelevant. Abgesehen davon, dass es eine sogenannte Härtefallscheidung gibt, die zu Unrecht einen Dornröschenschlaf führt und beispielsweise schon dann in Betracht kommt, wenn der Ehepartner ein ehewidriges Verhältnis mit einer anderen Person (ehebrecherisch) nach Entdeckung fortsetzt, ist letztlich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Ehescheidung und der Einreichung des Scheidungsantrags aus taktischen Gründen sehr vielschichtig zu beleuchten:
Der Wahl des richtigen Angriffszeitpunkts für eine Ehescheidung kommt die gleiche Bedeutung zu, wie im Krieg das richtige Wetter und die richtige Jahreszeit maßgeblich den richtigen Zeitpunkt für den Angriff gegen den Gegner bestimmen können. Ich will dies anhand weniger Beispiele, die nur exemplarisch sind, erläutern:
Beispielsweise ist für die Frage des sogenannten Zugewinnausgleichs (das ist die Vermögensauseinandersetzung unter Ehegatten) der Stichtag, wann der Scheidungsantrag zugestellt wird (das bedeutet, wann der gelbe Brief im Briefkasten bei dem gegnerischen Ehepartner landet!) von entscheidender Bedeutung, und wenige Tage können das Vermögen der Ehegatten um viele Tausend Euro schmälern oder bereichern.
Dazu muss man wissen, dass der Bundesgerichtshof von einem sehr strengen Stichtagsprinzip ausgeht, d. h. die Vermögenssituation der Eheleute beurteilt sich genau nach dem Stichtag, an dem der Scheidungsantrag im Briefkasten des Gegners landet. Wer hier Fehler macht, muss Jahre später viel viel Geld bezahlen (Strafe!).
So hat der Bundesgerichtshof bereits vor mehr als zehn Jahren entschieden, dass beispielsweise auch für den Lohn- und Gehaltslauf das Stichtagsprinzip gilt.
BGH, FamRZ 2003/1544: Bekommt ein Ehegatte seinen Lohn immer am 30. eines Monats ausgezahlt und der Scheidungsantrag wird am Ersten des Folgemonats zugestellt, so ist automatisch das volle Monatsgehalt mit in die Abrechnung für den Zugewinnausgleich einzustellen, also zum Beispiel zur Hälfte an den Ehepartner noch auszuzahlen.
Hätte hier ein kluger und erfahrener Anwalt den Scheidungsantrag so abgeschickt, dass die Zustellung nur zwei oder drei Tage vor dem 30. eines Monats beim Gegner erfolgt wäre, so hätte der gut beratene Mandant einige Tausend Euro (die Hälfte seines Nettolohns) bei der später durchzuführenden Zugewinnausgleichsabrechnung gespart.
Dieses kleine Beispiel zeigt die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Zustellung des Scheidungsantrags durch den Angreifer. Man mag sich bitte vorstellen, dass diese hier angestellten Überlegungen auch für die Frage einer zu erwartenden Steuererstattung oder Bonuszahlung oder einer arbeitgeberseitigen Abfindung eine Rolle spielen. Sicherlich lässt sich die Zustellung des Scheidungsantrags beim Gegner nicht immer auf den Tag genau vorausberechnen; trotzdem kann der Anwalt bis auf zwei oder vier Tage genau eine Voraussage darüber treffen, wann ein Scheidungsantrag wohl beim Gegner eingehen dürfte.
Es ist also nicht so, dass in einem Scheidungsverfahren alles egal ist und letztlich alles doch gerecht abläuft. Wie in allen Verfahren, seien es Strafverfahren oder Arbeitsgerichtsprozesse, spielen taktische Überlegungen und die Erfahrung des Prozessbevollmächtigten insbesondere vor Beginn der Streitigkeiten eine entscheidende Rolle für das spätere Wohlergehen und Schicksal des Mandanten.
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