Die Beschuldigtenvernehmung
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Beschuldigter ist, wem vorgeworfen wird eine Straftat begangen zu haben. Der Beschuldigte ist ein hauptsächlich ein persönliches Beweismittel und soll als möglicher Täter in dem gegen ihn geführten Strafverfahren Aussagen über die von ihm begangene Straftat machen.
Beschuldigter wird man auf Grund einer Entscheidung der Ermittlungsbehörden.
Redet der Beschuldigte mit den Ermittlungsbehörden über ein mögliches Tatgeschehen, dann lässt er sich damit zur Sache ein (sog. Einlassung).
Aus Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz (GG) gilt jede Person, die einer Straftat beschuldigt wird bzw. angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
Sobald Sie sich (auch nur teilweise) zum möglichen Tathergang bei der Polizei und im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung einlassen, haben Sie die Unschuldsvermutung zerstört.
Deswegen sagt der Volksmund: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!
Effektive Verteidigung gegen den Vorwurf eine Straftat begangen zu haben, besteht deshalb zunächst immer darin, zum Sachverhalt zu schweigen.
In der Beschuldigtenvernehmung muss der Beschuldigte, bevor er vernommen wird, über seine Rechte belehrt werden. Das passiert selten und nahezu nie vollständig.
Würde die Polizei vor der Vernehmung den Beschuldigten (vollständig) belehren, würde er in den meisten Fällen nichts sagen und sich anwaltliche Hilfe besorgen.
Es liegt aber auch nicht im Interesse der Polizei vollständig zu belehren, weil dadurch die Ermittlung und der Ermittlungserfolg leiden würde. Deshalb gibt es verschiedene Strategien, wie man Beschuldigte zum Reden bringt; und teilweise so, dass alles offen zugegeben und eingeräumt wird.
Einen Extremfall bildet dabei das Strafverfahren gegen die Familie Rupp. Einen Bericht über die Entstehung einer falschen Selbstbelastung durch beeinflussende Befragung der Polizei findet man bei YouTube unter „Justizskandal im Fall Rudi Rupp – Teil 1“.
https://www.youtube.com/watch?v=YfDMHUXO5mg
Übrigens ist die einzige Erkenntnis aus diesem Justizskandal nicht etwa, dass man Zeugen und Beschuldigte nicht beeinflussen, sondern dass man Vernehmungen nicht filmen soll.
Ziel einer Beschuldigtenvernehmung ist die Überführung des Tatverdächtigen.
Für den Vernehmenden ist der Beschuldigte der Täter, da kann er sich noch so viel versuchen zu rechtfertigen. Die Angaben des Beschuldigten sind bereits dann belastend, wenn sie mit der Basis der bisherigen Tatrekonstruktion übereinstimmen, Hintergründe und Motive nachvollziehbar machen und Einschätzungen zur Persönlichkeit erlauben.
Der vernehmende Polizeibeamte ist angewiesen, sich auf seinen Vernehmungspartner einzustellen. Das kann hinsichtlich persönlichem und/oder kulturellem Hintergrund erfolgen. Teilweise werden die Beamten dahingehend geschult, wie sie mit Beschuldigten türkischer oder arabischer Nationalität, oder mit polizeigewohnten „Tätern“ (bspw. „Hooligans“) sprechen müssen.
Eine der häufigsten Befragungsmethoden ist die so genannte RPM-Technik. RPM steht für Rationalisierung, Projektion, Minimierung. Wenn es beispielsweise bei einer zunächst verbalen Auseinandersetzung zu einer Schlägerei gekommen ist, dann könnte der Polizeibeamte im Gespräch mit dem Beschuldigten damit beginnen, dass er auf Grund der heftigen Worte des Gegners es für durchaus nachvollziehbar halte, wenn man dafür „mal was auf die Klappe“ bekomme; „… und so schlimm ist es ja auch nicht gewesen, so ein blaues Auge geht ja auch schnell wieder weg.“
Wer hier antwortet, hat die für ihn streitende Unschuldsvermutung über Bord geworfen!
Über Vernehmungen sind Protokolle zu führen. Was darin steht, bestimmt nicht der Beschuldigte, sondern der Vernehmende. Nach einer langen, ggf. unangenehmen Vernehmung liest sich kaum noch ein Beschuldigter das (ellenlange) Protokoll durch. Ist es erst einmal unterschrieben, dann gelten die darüber stehenden Erklärungen als solche des Beschuldigten. Allerdings fassen Polizeibeamte gerne einmal Sachverhalte in den Protokollen mit eigenen Worten zusammen. Dann steht eine Wahrnehmung des Polizeibeamten – und nicht eine Erklärung des Beschuldigten – im Protokoll.
Rechtsanwalt Kirchmann ist Strafverteidiger.
Eine seiner wichtigsten Tätigkeiten ist die Prüfung und Überprüfung von Vernehmungsprotokollen; seien es Beschuldigten- oder Zeugenvernehmungsprotokolle.
Bei diesen Protokollen wird eine Sprach- und Strukturanalyse des Protokolls vorgenommen. Bereits an der Struktur eines Protokolls der Angaben des Vernommenen kann man erkennen, ob es sich um eine wörtliche Wiedergabe des Vernommenen handelt oder ein eigenes Produkt des Vernehmenden. Polizeibeamte fragen nämlich im Rahmen einer festen Struktur (bspw. entlang der Voraussetzungen der Strafrechtsvorschrift). Vernommene berichten in der Regel mal von dem, mal über das, sind also sprunghafter.
Mit der Analyse können Schwachpunkte der Vernehmung erkannt werden.
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