Die Ermittlungspflicht des Nachlassgerichts

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Einleitung

Im Zivilprozess gilt der Beibringungsgrundsatz, d. h. die Parteien liefern dem Gericht den Sachverhalt, den dieses rechtlich zu bewerten hat. Anders liegt die Sache im Erbscheinverfahren. Das Nachlassgericht hat gemäß § 26 FamFG (bis zum 16.08.2015 ausdrücklich in § 2358 Abs. 1 BGB geregelt) den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Dies führt allerdings nicht zur Verpflichtung des Nachlassgerichts, ohne Anlass in alle erdenklichen Richtungen zu ermitteln. Vielmehr haben die Beteiligten des Erbscheinverfahrens Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflichten, d. h. die Beteiligten müssen dem Gericht Anhaltspunkte liefern, die als Ausgangspunkt für die Ermittlungen des Nachlassgerichts dienen. Zur Frage, wann solche Anhaltspunkte vorliegen und wann trotz eines entsprechenden Sachverständigengutachtens weitere Ermittlungen notwendig sind, hat sich das OLG Karlsruhe in seinem Beschluss vom 10.06.2015, Az.: 11 Wx 33/15, geäußert.

Der Fall (vereinfacht)

Die 1927 geborene Erblasserin hatte am 08.02.2010 ein notarielles Testament errichtet, welches am 18.02.2010 ergänzt worden war. Außerdem lag dem Gericht ein auf den 22.12.2012 datiertes privatschriftliches Testament vor. Die Echtheit des handschriftlichen Testaments, sowie die Testierfähigkeit der Erblasserin standen zwischen den Beteiligten in Streit.

Das Nachlassgericht hatte ein Schriftgutachten in Auftrag gegeben und war aufgrund dessen zur Überzeugung gelangt, dass das handschriftliche Testament von der Erblasserin stamme. Eine Testierunfähigkeit wurde aufgrund eines eingestellten Betreuungsverfahrens abgelehnt.

Die in dem handschriftlichen Testament Bedachten hatten einen Erbschein beantragt, der sie als Erben ausweist. Das Nachlassgericht hatte per Beschluss angekündigt, dem gestellten Erbscheinantrag zu entsprechen.

Entscheidung des OLG Karlsruhe

Das OLG Karlsruhe hat den Beschluss aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Nachlassgericht zurückverwiesen. Zur Begründung führt es überzeugend aus, dass die Amtsaufklärungspflicht des Nachlassgerichts in schwerwiegender Weise verletzt wurde. Das Nachlassgericht muss so lange ermitteln, bis von weiteren Ermittlungen nicht mehr zu erwarten ist, dass sie das Ergebnis beeinflussen. Bloß theoretischen Möglichkeiten muss das Nachlassgericht nicht nachgehen.

Das Nachlassgericht war zu Unrecht ohne weitere Ermittlungen von der Echtheit der Namensunterschrift unter den handschriftlichen Testamenten ausgegangen. Zweifel an den Testamenten hätten sich aufdrängen müssen, weil die Unterschrift auf den Testamenten und die Unterschrift auf einer Vorsorgevollmacht deutlich erkennbar voneinander abwichen. Infolgedessen hätten dem Sachverständigen nur Vergleichsproben zur Verfügung gestellt werden dürfen, deren Authentizität gesichert gewesen wäre. Diese Sicherheit hätte zum Beispiel durch die Vernehmung von Zeugen gewonnen werden können.

Mit seinen Ausführungen, dass auch das Sachverständigengutachten besonders gewürdigt werden muss und bei Zweifeln Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht, erteilt das OLG Karlsruhe auch der richterlichen Praxis der unkritischen Übernahme von Sachverständigengutachten eine Absage. Außerdem zeigt es auf, wie einem Sachverständigengutachten durch die Beteiligten bzw. deren Vertreter die Überzeugungskraft genommen werden kann. Gelingen wird dies meist nicht auf der Ebene der Schlussfolgerungen (sog. Befundtatsachen), sondern beim Ausgangsmaterial (sog. Anknüpfungstatsachen). Hierzu weist das OLG Karlsruhe auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin, nach der auch bei gerichtlichen Sachverständigen allen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen ist. Es lohnt sich also durchaus, sich mit dem erstatteten Gutachten auseinanderzusetzen und etwaige Zweifel zur Kenntnis des Gerichts zu bringen.

Auch die Erörterungen des OLG zur Testierfähigkeit der Erblasserin verdienen Beachtung. Das OLG rügt, dass das Nachlassgericht außer Acht gelassen hat, dass durch einen Notar die Beurkundung einer Vorsorgevollmacht abgelehnt wurde. Dies lege die Geschäftsunfähigkeit nahe. In diesem Zusammenhang spannend ist der Hinweis des OLG im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Demenz und Testierunfähigkeit. Demenz führt, anders als häufig angenommen, nicht in jedem Fall zur Testierunfähigkeit.

Fazit

Die Entscheidung zeigt deutlich, welche Pflichten die Beteiligten und das Nachlassgericht unter der Geltung der Amtsaufklärung haben. Außerdem lohnt es sich immer, den gesamten Sachverhalt auf Ungereimtheiten zu prüfen und das Gericht bei Entdeckung auf solche hinzuweisen. Zudem ist auch bei einem für die eigene Seite negativen Sachverständigengutachten noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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