Einschränkungen hinten rum? Überblick über die Änderungen im Straf(prozess)recht seit 2017
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Das deutsche Straf(verfahrens)recht ist erheblich verändert worden und zwar nicht nur zu unserem Vorteil oder zum Vorteil unserer Mandanten, die einem Strafverfahren ausgesetzt sind. Es sind seit 2017, dato in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode, 14 strafprozessuale Änderungsgesetze in Kraft getreten.
Die gesetzlichen Änderungen haben dabei Überschriften, die eigentlich das Gegenteil dessen bewirken (können, sofern sie zur Anwendung gelangen), was sie absichern sollten. Dazu unten mehr. Weitere in den Jahren 2020, 2022, 2025 und 2026 in Kraft tretende Änderungen sind schon verabschiedet und betreffend überwiegend (Achtung Kollegen, festhalten: (erneut)) die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz. Vorboten der zur elektronischen Akte sind schon am 01.01.2018 in Kraft getreten, so z.B. § 249 I 2 („Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind“).
Für uns Strafverteidiger ist wichtig das am 01.07.2017 in Kraft getretene „Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“. Mit der Reform soll das Recht der Vermögensabschöpfung vereinfacht, die vorläufige Sicherstellung von Vermögenswerten erleichtert und die nachträgliche Abschöpfung von Vermögensgegenständen ermöglicht werden (der Polyp greift nun auch analog Zivilrecht zu). Dies alles kann nachgelesen werden in der BT-Drucks. 18/9525 S. 48).
Am 23.08.2017 wurde das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ verkündet (BGBl I 2017, 3202) Dieses Gesetz, anders als die Überschrift es erwarten lässt, erleichtert den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden die Beschneidung von Grundrechten und Freiheitsrechten: Fahrverbote können erteilt werden, unabhängig davon, ob überhaupt ein Bezug zum Straßenverkehr vorliegt (§ 44 nF StGB), das Eindringen in IT-Systeme, die Online- Durchsuchung (Lex Maas; §§ 100 a, 100 b StPO nF), die Erscheinenspflicht von Zeugen und Zwang zur Zeugenaussage ggü. der Polizei (sofern staatsanwaltschaftlich (?) verfügt § 163 StPO nF), teilweiser Entfall des Richtervorbehalts bei der Blutprobe bei Verdacht von Verkehrsstraftat (§ 81 a II StPO nF). Diese Gesetzesänderungen mögen als effektiv und praxistauglich beschrieben sein – sie sind es jedoch nur einseitig; und zwar aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden:
Das „Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts“ vom 27.08.2017 brachte Änderungen der StPO insbesondere bei den Belehrungspflichten zur ersten Beschuldigtenvernehmung § 136 StPO (nun ergänzt um „Anspruch auf Pflichtverteidiger – bei völlig verfehltem Hinweis auf eigene Kostentragungspflicht“) und bei Abwesenheitsrechten der Verteidigung bei Ermittlungshandlungen in Anwesenheit des Beschuldigten.
Das Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen („Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG vom 08.10.2017 regelt u.a. mit §§ 186 ff GVG die Hinzuziehung von Dolmetschern (mEn sehr zu begrüßen). Am 09.11.2017 trat in Kraft das „Gesetz zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen“ in Kraft. Diese Reform erweiterte den strafrechtlichen Schutz des Geheimnisses (§ 203 III, IV StGB), es passt das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht daran an (§ 53 a StPO) und ordnet die berufsrechtlichen Grundlagen für die intern und externen Beauftragten von Rechtsanwälten (wie Detektiven, Datenschutzbeauftragten Anwalts- und Verteidigerkanzleien, IT-Experten), Steuerberatern, Patentanwälten, Notaren und Wirtschaftsprüfern neu.
Zudem wurden anno 2017 sehr viele Straftatbestände des StGB geändert, nachdem schon 2016 das Sexualstrafrecht („Zusammenrottung etc.“), die Strafbarkeit des Menschenhandels und damit zusammenhängender Vorschriften sowie die Korruption im Gesundheitswesen grundlegend erneuert wurde. Durch das „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Nachstellungen“ wurde der „Stalking-Paragraf“ 238 StGB geändert, das 55. Strafrechtsänderungsgesetz verschärfte die Strafbarkeit von Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 IV StGB). Das 52., 53., 54, 55. und 56. Strafrechtsänderungsgesetz verschärfte die Vorschriften §§ 113 ff, 125 f., 323 c StGB, es folgten die elektronische Fußfessel, erweiterte Führungsaufsicht, und fakultative Sicherungsverwahrung, sodann die neue Vorschrift § 315 d StGB, die wegen der Ereignisse der Ku´damm-Raserei illegale Kraftfahrzeugrennen aus der Ordnungswidrigkeit herausholt und mit echter Strafe ahndet (im Todesfalle drohen nun bis 10 Jahren Freiheitsentzug).
Ins Sportrecht wurden durch das 51. Strafrechtsänderungsgesetz zum 19.04.2017 Straftatbestände zum Sportwettenbetrug (§ 265 c StGB) zur Wettbewerbsmanipulation (§ 265 d StGB) und zum Doping (§§ 2 ff. AntiDopG) eingeführt. Vielfach sind die Reformen EU-rechtlichen Vorgaben geschuldet und wird weiterhin Vereinheitlichung des nationalen Strafrechts versucht. Bedauernswerterweise wurde nicht das Schwarzfahren im ÖPNV (wie sogar vom Deutschen Richterbund gefordert) nicht aus dem Strafrecht herausgenommen (§ 265 a StGB- Beförderungserschleichung) und etwa als Ordnungswidrigkeit geahndet.
Viele Änderungsversuche fanden trotz guter Vorschläge der eigens eingesetzten Expertenkommission im Bundestag bei Reform des Strafverfahrens keinen Eingang in die Gesetzesnovellen; es hätte mEn die V-Mann Problematik geregelt werden müssen, da es für dessen Einsatz im Ermittlungsverfahren keine handhabbare Grundlage gibt.
Da unter der Ägide europarechtlicher Vereinheitlichung des Strafrechts zulasten von Bürgerrechten reformierte wurde (siehe Oben) hätte geregelt werden müssen die Folgen rechtsstaatswidriger Tatprovokation (der EGMR hat mit seiner bahnbrechenden Entscheidung anno 2015 ein absolutes Verfahrenshindernis bei rechtsstaatwidriger Tatprovokation eines nicht zur Straftat entschlossenen Menschen angenommen). Dies ist unterlassen worden.
Mir als Verteidiger fällt auf, dass wichtige Reformvorschläge zur Sicherung der Beschuldigtenrechte bei den Reformen unberücksichtigt blieben und eher den Effektivitätsanforderungen der Justiz der Zuschlag erteilt wurde.
Sollte mittels obiger neuer Gesetzen versucht werden, an den Gerichten „schnelle Prozesse“ zu führen, so muss dem Einhalt geboten werden durch effektive Verteidigung. Mitunter muss der entscheidenden Institution der Vorhalt gemacht werden, dass obige neue Gesetze nicht zum besseren Verhandlungsergebnis führen, die Wahrung von Bürgerrechten der StPO aber immanent sind. Da bislang nur wenig Erfahrung bei (Ober)Gerichten über die Anwendung der neuen Gesetze bestehen dürfte, sollte das Beschreiten des Beschwerdewegs und die Erfolgsaussichten hier nicht allzu schwer bzw. nicht all zu gering sein.
Daniel Lehnert, RA und FAStR in Berlin
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