#EnchroChat und EuGH - neue Verteidungsansätze erkennbar
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Die gestern veröffentlichte Entscheidung des Europäischen Gerichtshof
ist insofern bemerkenswert, als dass der Europäische Gerichtshof mit Blick auf in einem Drittstaat erhobene Daten, die lediglich durch Beweistransfer in ein deutsches Strafverfahren überführt werden, festgestellt hat, dass eine auch an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte orientierte Überprüfungsmöglichkeit der Beweise und meiner Meinung nach auch des Datenerhebungsvorgangs für den jeweils Beschuldigten gegeben sein muss - bis hin zu einem Rechtsmittel gegen die den Beweistransfer anordnenden Entscheidungen - es wird in den instanzlichen- und Rechtsmittelverfahren zu klären sein, wie eine solche Überprüfungsmöglichkeit und ein solches Rechtsmittel ausgestaltet sein muss, um den Anforderungen des Urteils gerecht zu werden. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings, fast schon versteckt, auf den konkreten Sachverhalt #EnchroChat und den dortigen Beweistransfer nach Deutschland einen europarechtlichen Verstoß festgestellt. Das Gericht urteilte, dass Art. 31 der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen ist, dass eine mit der Infiltration von Endgeräten verbundene Maßnahme zur Abschöpfung von Verkehrs‑, Standort- und Kommunikationsdaten eines internetbasierten Kommunikationsdiensts eine „Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“ im Sinne dieses Artikels darstellt, von der die Behörde zu unterrichten ist, die von dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die Zielperson der Überwachung befindet, zu diesem Zweck bestimmt wurde.
Was bedeutet dies:
Die EEA-RL sieht besondere Bestimmungen für den Fall vor, dass Telekommunikationsüberwachungen in eigenen Verfahren (hier: Frankreich) durchgeführt werden, aber sich auf fremdes Hoheitsgebiet (hier Deutschland) erstrecken. Gemäß Art. 31 Abs. 1 EEA-RL (in Deutschland umgesetzt durch §§ 91d, 91g Abs. 6 IRG) ist der überwachende Staat (hier: Frankreich) aus Datenschutzgründen verpflichtet, die zuständige Behörde im unterrichteten Staat (hier: Deutschland) darüber zu unterrichten, wenn sich eine Person, die von französischen TKÜ-Maßnahmen betroffen ist, in Deutschland befindet, ohne dass die technische Hilfe Deutschlands erforderlich ist. Eine solche Unterrichtung muss erfolgen, wenn der überwachende Staat bereits davon Kenntnis hat, dass die Zielperson sich im Hoheitsgebiet des unterrichteten Staates befindet, sei es vor, während oder sogar nach der Überwachung. Die Unterrichtung soll nach dem Willen des Europäischen Gesetzgebers dazu dienen, dem Staat, in dem die Maßnahme durchgeführt wird, die Möglichkeit zu geben, ihrer Durchführung oder der weiteren Verwendung der Daten zu widersprechen, wenn sie in einem vergleichbaren nationalen Fall nicht hätte durchgeführt werden können. Die „Unterrichtung“ in Art. 31 der EEA-RL ist der Sache nach ein eingehendes Ersuchen. Die Einordnung der Unterrichtungspflicht aus Art. 31 EEA-RL als echtes Ersuchen folgt auch daraus, als für sie die besondere Form des Anhangs C zur Richtlinie vorgesehen ist (Art. 31 Abs. 2, Art. 7 Abs. 6 EEA-RL, § 91d Abs. 1, 2 IRG), während bei anderen Unterrichtungen, etwa in § 91b Abs. 5 und § 91d Abs. 3 IRG, lediglich eine Form vorgeschrieben wird, „die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht“. Die besondere Form des Anhangs C dient dazu, dem Empfängerstaat sofort deutlich zu machen, dass eine Konstellation des Art. 31 EEA-RL vorliegt. Dies erscheint insb. in der sehr knapp bemessenen Frist (96 Stunden) für den gem. § 91g Abs. 6 IRG ggfs. zu erhebenden Widerspruch erforderlich. Dass an die Unterrichtung höhere Formerfordernisse (ähnlich derer, die an eine EEA gestellt werden, vgl. Anhang A zur EEA-RL) gestellt werden als bei anderen Unterrichtungen, ist auch dem Umstand geschuldet, dass es hier um einen erheblichen Grundrechtseingriff geht und nicht nur, um ergänzende Informationen zu ersuchen oder der ersuchenden Behörde Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben - Im Falle #EnchroChat ist eine solche Unterrichtung mittels Formblatt niemals erfolgt - obschon sie nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zwingend erforderlich gewesen wäre. Weiterhin hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass Art. 31 der Richtlinie 2014/41 dahin auszulegen ist, dass er auch bezweckt, die Rechte der von einer Maßnahme der „Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“ im Sinne dieses Artikels betroffenen Nutzer zu schützen. Also lässt sich aus dem Urteil herauslesen, dass eine individualschützende europarechtliche Norm zulasten der jeweiligen Beschuldigten verletzt worden ist, wobei aus meiner Sicht sodann die Frage (wieder) eröffnet ist, ob derlei Daten die unter Verletzung individualschützender Normen transferiert wurden, in einem bundesdeutschen Strafverfahren vorbehaltlos verwertet werden dürfen. Der Bundesgerichtshof hatte bisher, so jedenfalls meine Lesart, den Individualschutz der Unterrichtungspflicht als nicht zwingend gegeben angesehen. und ausgeführt, dass fraglich sei, ob die Unterrichtungspflicht dem Individualschutz der Betroffenen vor einer Beweisverwendung im Inland diene.
Der Europäische Gerichtshof sieht das ersichtlich anders. In der EncroChat Entscheidung kommt der BGH dann zu dem Ergebnis, dass jedenfalls die gebotene Abwägung der unterschiedlichen Interessen zu einem Überwiegen des staatlichen Strafverfolgungsinteresses führe. Angesichts des nunmehr explizit zugebilligten Individualschutzes durch die Norm der Richtlinie erscheint aber der blose Rückgriff auf die Abwägungslehre jedenfalls nicht ganz so einfach. Gesetzt den Fall, die französischen Behörden hätten die bundesdeutschen Behörden über die besichtigte anlasslose Massenüberwachung von 4.600 Telefonen, unter Annahme eines "Tatverdachts", der ausschließlich auf der Grundlage der Nutzung des Telefons als kryptiertes Kommunikationsmittel fusst, informiert - wäre es da nicht zwingend gewesen, binnen 96 Stunden dieser Überwachung zu widersprechen ? Diese Gedanken wird man nunmehr wieder in der Instanz und in den Rechtsmittelverfahren vortragen müssen.
Oliver Wallasch
Fachanwalt für Strafrecht
„Ich beschäftige mich seit dem Aufkommen von Ermittlungsverfahren die aufgrund abgefangener vermeintlich kryptierter Kommunikation eingeleitet wurden – EncroChat, SkyECC, ANOM – intensiv mit den in diesem Zusammenhang zu lösenden strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Fragen - nur eine fundierte und wissenschaftliche Aufarbeitung der mannigfaltigen Rechtsfragen kann am Ende zum Erfolg führen.....
Sind auch sie von solchen Ermittlungen betroffen, sprechen Sie mich an – ich suche mit Ihnen gemeinsam nach einer Ihren Interessen entsprechenden Lösung des Problems“
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