Ist die Verschiebung elektiver Operationen wegen der Corona-Pandemie rechtmäßig? – Teil 1 –
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Mit Beschluss vom 12.03.2020 haben sich die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder darauf geeinigt, dass alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe in deutschen Krankenhäusern, soweit medizinisch vertretbar, auf unbestimmte Zeit verschoben und ausgesetzt werden sollen.
Daneben wurden im Rahmen der Corona-Verordnungen einzelner Bundesländer vergleichbare Regelungen getroffen. So auch in Berlin durch § 5 Abs. 1 S. 1 der SARS-CoV-2-EindmaßnV (Eindämmungsmaßnahmenverordnung) für alle Krankenhäuser, die an der Notfallversorgung teilnehmen unter der Voraussetzung, dass dadurch personelle und sonstige Kapazitäten für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 oder Verdacht hierauf freigesetzt werden können.
Welchen Zweck verfolgt die Regelung zur Verschiebung elektiver medizinischer Maßnahmen?
Jeder medizinische Eingriff und jede Operation bindet medizinische Ressourcen sowohl in personeller als auch materieller Hinsicht. Zudem birgt jede Operation die Gefahr unvorhersehbarer Komplikationen, die eine intensivmedizinische Betreuung notwendig machen, sodass es zu einer zusätzlichen Belastung kommt. Durch das Verschieben von elektiven Eingriffen sollen sich die Krankenhäuser auf den erwartbar steigenden Bedarf an Intensiv- und Beatmungskapazitäten zur Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegerkrankungen durch COVID-19 konzentrieren können.
Die Regelung verfolgt damit das Ziel in Zusammenspiel mit den weiteren getroffenen Maßnahmen (z. B. Kontaktbeschränkungen), die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems aufrecht zu erhalten und trägt damit letztlich dazu bei, jede akut medizinisch notwendige Behandlung auch bei einem massiv steigenden Bedarf sicherzustellen und einen Kollaps des Gesundheitssystems, wie wir ihn zum Beispiel derzeit in Italien, Frankreich oder Spanien erleben, zu verhindern. Hierbei ist zu beachten, dass unter den gegebenen Umständen der Ausbreitung der Pandemie nicht von einem erst langfristig massiv ansteigenden Behandlungsbedarf auszugehen ist, sondern aufgrund der exponentiellen Entwicklung der Infektionszahlen von einem kurzfristigen massiven Anstieg auszugehen ist.
Zur Sicherstellung der hierfür notwendigen Behandlungskapazitäten bedarf es neben der Vorhaltung von Intensivbetten, Schutzbekleidung etc. auch zusätzlicher freier Kapazitäten an medizinischem Personal sowohl für die akute Behandlung aktueller Patienten, als auch in Hinblick auf den zukünftig gesteigerten Bedarf für die Weiterbildung von Personal für eine intensivmedizinische Betreuung.
Durfte eine solche Regelung überhaupt erlassen werden?
Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Regelung über die medizinisch vertretbare Verschiebung von Aufnahmen, Eingriffen und Operationen ist zunächst zwischen dem Beschluss vom 12.03.2020 und der Umsetzung einer vergleichbaren Regelung durch einzelne Bundesländer in Verordnungen zu differenzieren. Insofern eine Reglung in einer Verordnung getroffen wurde, entfaltet diese als Rechtsnorm eine verbindliche Rechtswirkung. Der Beschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer hingegen entfaltet keine normative Wirkung, sondern ist vielmehr als eine Art unverbindlicher Handlungsempfehlung einzuordnen. Generelle rechtliche Bedenken gegen einen solchen Beschluss bestehen daher nicht.
In Hinblick auf die in den Corona-Verordnungen einzelner Bundesländer getroffenen Regelungen bezüglich der Verschiebung elektiver medizinischer Maßnahmen erscheint jedoch bereits eine formelle Rechtmäßigkeit fraglich. Die Verordnungen stützen sich auf § 32 i.V.m. § 28 IfSG (Infektionsschutzgesetz). Insbesondere in Bezug auf Ausgeh- und Kontaktbeschränkungen wird die Rechtmäßigkeit dieser Regelungen angezweifelt, da das IfSG die Möglichkeit einer derart massiven und dauerhaften Einschränkung nicht vorsehe.
Ein Blick in die aktuelle Rechtsprechung zu verschiedenen Eilanträgen zeigt zwar, dass die getroffenen Verordnungen als formell rechtmäßig anzusehen sind. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es sich um verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen handelt, bei denen lediglich eine summarische Prüfung erfolgt.
Weiterhin betreffen die verschiedenen Eilrechtsanträge insbesondere Ausgangsbeschränkungen oder Schließungen von Einrichtungen. Die hier infrage stehenden Regelungen zur Verschiebung elektiver medizinischer Maßnahmen betreffen jedoch mittelbar das Grundrecht auf die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – Grundgesetz) der betroffenen Patienten. Gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG darf in dieses Grundrecht nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Dies bedeutet ein Eingriff kann unmittelbar durch ein formelles Gesetz, das heißt ein Parlamentsgesetz, erfolgen oder muss zumindest auf ein solches gestützt sein. So kann ein formelles Gesetz zur Vornahme von Grundrechtseinschränkungen zum Beispiel durch Rechtsverordnungen ermächtigen. Grundlage der erlassenen Verordnungen zum Schutze gegen Corona ist § 32 IfSG. Dieser ermächtigt jedoch explizit gemäß S. 3 lediglich zu Einschränkungen der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. Abs. 1 GG) und des Brief- und Postgeheimnisses (Art. 10 GG).
Vor diesem Hintergrund erscheint bereits die formelle Rechtmäßigkeit der Regelung in den einzelnen Corona-Verordnungen als fraglich.
Fazit
Unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen mit dem Corona-Virus in Bezug auf dessen exponentielle Verbreitung und die hieraus folgende Belastung der Gesundheitssysteme, ist offensichtlich, dass es seitens des Staates erheblicher Maßnahmen bedarf, um seinem Schutzauftrag in Bezug auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit gerecht zu werden. Doch ob § 32 IfSG (Infektionsschutzgesetz) als Ermächtigungsgrundlage für diese umfassenden Regelungen und den mit ihnen verbundenen Maßnahmen genügt, erscheint fraglich. Dies gilt zumindest für den Fall der Beschränkung der körperlichen Unversehrtheit. Hier bedarf es dringend einer juristischen Nachjustierung.
Problematisch bleibt auch die Frage, ob die getroffenen Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Gerade in Bezug auf die Beschränkung des mit Verschiebung elektiver medizinischer Maßnahmen verbunden Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit, kann nicht allein auf die medizinische Vertretbarkeit abgestellt werden. Daneben sollte zumindest herausgestellt werden, dass eine Verschiebung auch erforderlich sein muss. Ohne die Berücksichtigung der tatsächlichen Notwendigkeit der konkret betreffenden freizustellenden medizinischen Ressourcen im Einzelfall, welche durch die Voraussetzung der Erforderlichkeit zu erfolgen hat, kann ein angemessener Ausgleich zwischen den widerstreitenden Grundrechtsinteressen nicht gewährleistet werden.
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