Klagefrist während der Schwangerschaft verstößt gegen EU-Recht

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Urteil des EuGH vom 27.06.2024 – Az. C-284/23 –

Eine als Pflegehelferin befristet beschäftigte Arbeitnehmerin wurde im Oktober 2022 durch ihren Arbeitgeber gekündigt. Im November wurde bei ihr eine Schwangerschaft in der siebten Schwangerschaftswoche festgestellt. Hiervon unterrichtete sie umgehend ihren Arbeitgeber. Im Dezember 2022 reichte sie Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein, mit der Begründung, dass sie im Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen sei.

Nach deutschem Arbeitsrecht hatte sie trotz des Sonderkündigungsrechts für schwangere nach § 17 MuSchG die dreiwöchige Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG versäumt, mit der Folge, dass die Kündigung unwirksam gewesen wäre. Einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage nach § 5 KSchG hatte sie nicht gestellt. Das zuständige Arbeitsgericht hatte jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes mit dem Unionsrecht und legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.

Nach § 4 Satz 1 KSchG ist eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben. Eine nach Ablauf dieser Frist erhobene Klage einer schwangeren Person kann jedoch nach § 5 KSchG zulässig sein, wenn die schwangere Person, die erst nach Ablauf der genannten Dreiwochenfrist von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt hat, einen entsprechenden Antrag stellt. Dieser Antrag muss innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses für die Klageerhebung (also die Kenntnis über die Schwangerschaft) gestellt werden.

Diese Zweiwochenfrist stellt nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs in Anbetracht insbesondere der Situation, in der sich eine schwangere Person zu Beginn der Schwangerschaft befindet, eine besonders kurze Frist dar. Außerdem ist diese zweiwöchige Frist kürzer als die in § 4 Satz 1 KSchG vorgesehene ordentliche Frist von drei Wochen für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Somit verfügt eine schwangere Person, die zum Zeitpunkt ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen, um eine solche Klage zu erheben. Dagegen verfügt eine schwangere Person, die aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund vor Ablauf dieser Frist keine Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, nur über zwei Wochen, um die Zulassung einer solchen Klage zu beantragen. Dies bedeutet nach dem Europäischen Gerichtshof eine erhebliche Verkürzung der Frist, um sich sachgerecht beraten zu lassen und gegebenenfalls nicht nur diesen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage, sondern auch die eigentliche Klage abzufassen und einzureichen. Außerdem scheint dem Europäischen Gerichtshof der Beginn der in § 5 Abs. 3 KSchG vorgesehenen Frist von zwei Wochen, d.h. der Zeitpunkt der „Behebung des Hindernisses“ für die Klageerhebung, nicht völlig eindeutig zu sein, was zur Erschwerung der Wahrnehmung der Rechte beitragen kann.

Die hier betroffene Europäische Richtlinie 92/85/EWG steht also nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs einer nationalen Regelung entgegen, nach der eine schwangere Person, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der Kündigungsschutzklagefrist Kenntnis erlangt hat, eine solche Klage nur dann erheben kann, wenn sie binnen zwei Wochen einen Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage stellt.

Im Ergebnis ist damit die Zweiwochenfrist im deutschen Arbeitsrecht zu kurz, um sich Rechtsrat zu holen und eine Klage vorzubereiten, weil sie der schwangeren Person erschwert, sich gegen die Kündigung zu wehren. Der deutsche Gesetzgeber muss nun nachbessern.

Die Mühlen der Justiz mahlen jedoch langsam. Um gegen eine Kündigung vorzugehen, muss also grundsätzlich die Dreiwochenfrist aus dem § 4 KSchG für die Kündigungsschutzklage eingehalten werden. Erfährt die gekündigte Person erst nach der Kündigung von der Schwangerschaft, dann muss sie ihrem Arbeitgeber die Schwangerschaft unverzüglich mitteilen und innerhalb von zwei Wochen Kündigungsschutzklage einreichen, mit dem Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage.


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