Mobbing - die Strafbarkeit von unmittelbar handelnden Tätern und untätigen Vorgesetzten
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Mobbing - die Strafbarkeit von unmittelbar handelnden Tätern und untätigen Vorgesetzten, BGH Urteil vom 20.10.2011, Aktenzeichen BGH StR 4 71/11. Der Bundesgerichtshof für Strafsachen formulierte in seinem hier besprochenen Urteil klare Vorgaben für die Strafbarkeit von führenden Mitarbeitern im Unternehmen, die trotz Kenntnis nicht gegen innerbetriebliches Mobbing vorgegangen sind und hob ein vorausgegangenes Urteil des Landgerichts Siegen, mit dem der den Mobbern vorgesetzte untätig gebliebene Mitarbeiter noch freigesprochen war, auf.
Der bemerkenswerten Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag der nachfolgend geschilderte Sachverhalt zugrunde: In einem städtischen Betrieb, der aus der Zusammenlegung zweier zuvor eigenständiger städtischer Betriebe entstanden war, kam es über einen längeren Zeitraum zu gewalttätigen Übergriffen einiger Mitarbeiter gegenüber einem anderen Mitarbeiter. Der geschädigte Mitarbeiter, der vor der Fusion nicht im gleichen Betrieb wie die Täter gearbeitet hatte, gehörte zwar nach der Fusion dem nunmehr neu geschaffenen Einheitsbetrieb an, er arbeitete jedoch weiterhin weder mit den Tätern unmittelbar zusammen noch gab es einen gemeinsamen Vorgesetzten für die Täter und das Opfer.
Die gewalttätigen Übergriffe, bei denen mehrere, zumeist drei Täter, in bewusstem und gewollten Zusammenwirken auf das Opfer einschlugen, teilweise unter Verwendung eines schweren Knüppels, wurden von einem Vorgesetzten der Täter, der keinerlei Vorgesetzten- oder Weisungsbefugnis gegenüber dem Opfer hatte, bei der Ausführung zumindest beobachtet, wobei der genannte Vorgesetzte trotz schwerer Verletzungen des Opfers weder Maßnahmen gegen die Täter ergriff, noch dem Geschädigten Hilfe zukommen ließ.
Dass Körperverletzungen, tätliche Beleidigungen und Nötigungen, auch wenn sie unter Kollegen im Unternehmen und damit nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, Straftaten darstellen, ist heute auch in den Kreisen, in denen „ein gepflegter Schlag in den Nacken" die Argumentation ersetzt, allgemein bekannt. Wesentlich komplizierter verhält es sich mit der Strafbarkeit von Vorgesetzten, wenn diese nicht unmittelbar selbst handeln, sondern lediglich abwarten oder wegsehen. Wer bei Straftaten gegenüber Dritten nicht eingreift, obwohl er als Ausdruck der allgemeinen Handlungspflicht dazu verpflichtet wäre, kann, wenn es sich um Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit handelt, wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323 c StGB mit einem vergleichsweise geringen Strafrahmen bestraft werden. Wer indes für die körperliche Unversehrtheit der Mitarbeiter als sogenannter Garant einzustehen hat, kann wegen eines sogenannten unechten Unterlassungsdelikts nach dem gleichen Strafrahmen wie der Täter der Körperverletzung bestraft werden, es droht also eine wesentlich härtere Bestrafung.
In vorgenanntem Urteil hat sich der Bundesgerichtshof ausführlich mit der Frage befasst, wann ein Vorgesetzter aufgrund seiner Stellung als Vorgesetzter im strafrechtlichen Sinne als „Garant" zu betrachten ist und demnach für sein „Nichtstun" strafrechtlich hart belangt werden kann.
Garant ist derjenige, der aufgrund einer besonderen Pflichtenstellung, die über die für jedermann geltenden Handlungspflichten hinausgeht, zum Schutz der Rechtsgüter des Geschädigten verpflichtet ist, BGH Urteil vom 19.04.2000 Aktenzeichen 3 StR 442/99. Die Garantenstellung ist deshalb besonders bedeutsam, weil - wie bereits angesprochen - eine Verletzung der Garantenstellung bei Körperverletzungen mit schweren Folgen oder mit gefährlichen Gegenständen zu einer wesentlich härteren strafrechtlichen Konsequenz führt, als der Auffangtatbestand für „Nichtstun trotz Verpflichtung zum Handeln", die unterlassene Hilfeleistung nach § 323 c StGB.
Das Gericht hatte demnach zu prüfen, ob ein „Vorgesetzter" im Unternehmen auch dann ein Garant sein kann, wenn er gegenüber dem Geschädigten gerade nicht weisungsbefugt ist und damit auch nicht betrieblich unmittelbarer Vorgesetzter ist. Dafür gibt es zwei Anknüpfungspunkte, die Fürsorgepflicht, d. h., Verpflichtung des Arbeitsgebers zum Schutz der Rechtsgüter der Mitarbeiter aus § 618 BGB einerseits sowie die Überwachungspflicht, d. h., die Pflicht des Arbeitsgebers zur Verhinderung von Straftaten von Mitarbeitern im Unternehmen andererseits.
Eine allgemeine arbeitsrechtliche Garantenstellung nach § 618 BGB aus dem Arbeitsverhältnis genügt nach Auffassung des Senats nicht, eine derartige weit reichende strafrechtliche Verpflichtung von Vorgesetzten zu begründen, BGH St Urteil vom 19.04.2000, Aktenzeichen 3 StR 442/99.
Demnach konnte sich eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nur aus der spezielleren Garantenpflicht zur Verhinderung von Straftaten durch Mitarbeiter gegenüber anderen Mitarbeitern im Unternehmen ergeben. Diese seit den Zeiten des Reichsgerichts - RGSt 58, 130 - anerkannte Verantwortungsverteilung im Unternehmen ist indes an einschränkende Kriterien geknüpft, um eine ausufernde strafrechtliche Verantwortung unbeteiligter Vorgesetzter zu vermeiden. Wesentliches Kriterium ist die Betriebsbezogenheit der Straftat. Betriebsbezogen waren Straftaten seit vorgenannter Rechtsprechung immer dann, wenn sie in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis standen. Ein derartiger Zusammenhang wurde immer dann angenommen, wenn die Ausführung der Tat unter Ausnutzung spezieller betrieblicher Tätigkeiten und oder Gefahrenquellen erfolgte. Davon abgegrenzt wurden sämtliche Taten, die nur anlässlich der Tätigkeit im Betrieb, das bedeutet, nur bei Gelegenheit der Arbeitsverrichtung ausgeführt wurden, BGH Urteil vom 17.07.2009, Aktenzeichen 5 StR 394/08.
Im Entscheidungsfall war der Geschädigte unstreitig Opfer von lang andauernden Mobbinghandlungen der drei unmittelbar auf ihn einwirkenden Täter. Das erkennende Gericht hatte sich nun mit der in diesem Zusammenhang neuen Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob Mobbing in Gestalt von Körperverletzungen im Unternehmen eine Garantenpflicht für Vorgesetzte begründen kann. Dies wäre dann der Fall, wenn man Mobbing und die daraus resultierenden Körperverletzungen als „betriebsbezogen" begreifen müsste.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil die bloße Zeitdauer der wiederkehrenden Mobbinghandlungen nicht als ausreichend für die Annahme einer Garantenpflicht angesehen. Da das allein zeitliche Moment keinerlei besonderen Bezug zum Unternehmen und damit im Ergebnis auch keinen besonderen Betriebsbezug hat. Auch der Umstand, das Mobbing eine in der Betriebsgemeinschaft angelegte Gefahr verwirklicht, weil es im Betrieb keine ausreichenden Ausweichmöglichkeiten für das um seinen Job fürchtende Opfer gibt, könne nach Ansicht des Bundesgerichtshofes keine Garantenpflicht des Vorgesetzten begründen, da anderenfalls im Ergebnis eine Haftung der Vorgesetzten für die straffreie Lebensführung ihrer Mitarbeiter bestände.
Maßgeblich für die Bewertung einer innerbetrieblichen Straftat ist nach Ansicht des BGH St, ob es einen inneren Zusammenhang zwischen den Übergriffen und der von den Tätern zu erbringenden betrieblichen Arbeitsleistung sowie der sich im Unternehmen verwirklichten spezifischen Gefahr gab. Der BGH behält damit bewusst seine restriktive Position hinsichtlich der Garantenstellung bei, indem er Mobbing grundsätzlich gerade nicht als betriebsbezogen behandelt, es sei denn, das Mobbing wird „seitens der Firma angeordnet".
Immer dann, wenn dieser betriebliche Zusammenhang nicht besteht, kann es dennoch zu einer Strafbarkeit aus Garantenstellung kommen, wenn der Vorgesetzte oder einer seiner Vorgesetzten die Mobbinghandlungen als „Firmenpolitik" gegenüber den Mitarbeitern einsetzt, um sie beispielsweise, ohne Ausspruch einer Kündigung und etwaige Abfindungszahlung, los zu werden.
Das vorgenannte Urteil ist bemerkenswert. Einerseits, weil es die Voraussetzungen der strafrechtlichen Garantenstellung, das bedeutet der strafrechtlichen Verantwortung aufgrund besonderer Sorgfaltspflichten, für Vorgesetzte in Unternehmen klar definiert, andererseits, weil es daneben auch die eigenständig zu prüfende Strafbarkeit wegen Unterlassungsdelikten, hier explizit der unterlassenen Hilfeleistung von Vorgesetzten bei Körperverletzungen von Mitarbeiten an Mitarbeiten nach § 323 c StGB, in den Fokus der Entscheidung stellt.
Fazit
Eine für Vorgesetzte und Untergebene gleichermaßen bedeutende gerichtliche Entscheidung. Mobbing im Unternehmen geht in der Endphase oft mit körperlichen Auseinandersetzungen einher. Nunmehr hat der Bundesgerichtshof in der besprochenen Entscheidung klare Vorgaben zur Strafbarkeit von Vorgesetzten ausgeurteilt. Zum einen wurde festgestellt, dass Mobbing per se keine Garantenstellung eines Vorgesetzten begründet, zum anderen, dass die Garantenstellung nur dann entstehen kann, wenn der Vorgesetzte entweder unmittelbarer Vorgesetzter des Geschädigten, also weisungsbefugt ist, oder der körperverletzende Übergriff betriebsbezogen war. Damit entfällt im Regelfall die Bestrafung der „Vorgesetzten" wegen eines unechten Unterlassungsdelikts, also beispielsweise Köperverletzung; übrig bleibt dann die Bestrafung des Vorgesetzten wegen unterlassener Hilfeleistung.
Neben der generellen Klarstellung, wonach sich die Strafbarkeit der Vorgesetzten bei Mobbing im Unternehmen bemisst, ist besonders der Hinweis des erkennenden Gerichts, dass im Falle einer „auf Mobbing gerichteten Firmenpolitik" eine Bestrafung der Vorgesetzten als Garant vorzunehmen ist, mit weit reichenden Konsequenzen für Mitarbeiter und Vorgesetzte verbunden. Wer Mobbing als Waffe in der innerbetrieblichen Auseinandersetzung einsetzt, um Mitarbeiter zu kündigen oder zur Eigenkündigung zu veranlassen, der muss zukünftig damit rechnen, wegen Körperverletzungsdelikten und nicht nur wegen unterlassener Hilfeleistung bestraft zu werden.
Rechtsanwalt Dr. jur. Frank Sievert
http://blog.mobbing-anwalt-hamburg.de/
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