Online-Glücksspiel – LG Erfurt 8 O 391/23 und 8 O 515/24 legt tatsächlich zum EuGH vor
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Wie bereits vor ein paar Monaten berichtet, hatte das LG Erfurt nach dem ersten Hinweisbeschluss des BGH I ZR 88/23, aber noch vor der Entscheidung des BGH I ZR 90/23 zur Vorlage an den EuGH angekündigt, diverse eigene Verfahren zum Thema „Rückforderungen bei online Glücksspiel“ auszusetzen, um selbst verschiedene Fragen dem EuGH vorzulegen. Das betraf sowohl Sportwetten als auch sonstiges online Glücksspiel.
Mit Beschluss LG Erfurt 8 O 392/23 vom 23.12.2024 für online Glücksspiel und
mit Beschluss LG Erfurt 8 O 515/24 vom 20.12.2024 für Sportwetten
hat das LG Erfurt nun tatsächlich seine Ankündigung trotz der parallelen BGH-Vorlage wahrgemacht.
Wozu das alles, wenn doch schon der BGH eine Vorlage zum EuGH gemacht hat?
Auch wenn der BGH bereits einige Fragen dem EuGH vorgelegt hat, ist ein anderes Gericht nicht daran gehindert, eine eigene Vorlage zur gleichen oder ähnlichen Thematik vorzunehmen. Allerdings hat der BGH nur 2 Grundfragen zum Gegenstand seiner Vorlage gemacht. Inhaltlich geht das LG Erfurt mit seinen Vorlagefragen deutlich weiter und ins Detail. So formuliert das LG Erfurt insgesamt 4 Fragen, welche nochmals in einzelne Unterpunkte aufgeschlüsselt werden. Hatte der BGH lediglich die grundsätzliche Wertung der europäischen Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV für entscheidungserheblich gehalten, nimmt das LG Erfurt nahezu in einem Rundumschlag etliche ergänzende Punkte auf, die regelmäßig auf Seite der Glücksspielanbieter in Klageverfahren aufgeworfen werden.
Welche Punkte möchte das LG Erfurt denn nun vom EuGH geklärt haben?
Neben der auch für das LG Erfurt relevante Grundsatzfrage nach der Dienstleistungsfreiheit im Falle einer bestehenden Lizenz außerhalb des Geltungsbereichs Deutschland präzisiert das LG Erfurt die Frage eines Internetverbots für Glücksspiele unter anderen dahingehend, wie es sich denn verhält,
- wenn trotz des Internetverbots für online-Casinospiele andere Glücksspielarten wie Lotterien oder Pferdewetten auch online seinerzeit problemlos lizenzierbar waren,
- wenn trotz bestehenden Internetverbots eine Duldung durch die Behörden erfolgt war,
- wenn mit Blick auf die Suchtgefahr, welche stets betont wird, parallel vergleichbare Automatenspiele oder Pokerspiele in stationären Spielbanken, Spielhallen oder Gaststätten angeboten werden dürfen,
- wenn in einem Bundesland die Lizenzierung möglich war (Schleswig-Holstein), im Rest des Landes aber nicht,
- wenn bereits bei Erlass der Verbotsnorm keine Nachweise dafür vorgelegt wurden, dass die Gefahren des online Glücksspiels die Gefahren des stationären Glücksspiels überwiegen sollen,
- wenn Ziel des Verbots u.a. die Einschränkung des Schwarzmarktes war, dies jedoch allem Anschein nach nicht gelungen ist.
Daneben fragt das LG Erfurt, ob für den Fall, dass das Internetverbot für Glücksspiele EU-Vorgaben widerspricht, nicht ein Sanktionsverbot besteht, welches am Ende auch die Rückforderungen komplett ausschließt. Würde das Internetverbot also tatsächlich gegen EU-Rechtverstoßen, dann hätte zwar ebenso eine grundsätzliche Lizenz erteilt werden müssen. Das wurde aber gerade nicht gemacht, sodass die Anbieter mit Blick darauf "nicht straf- oder verwaltungsrechtlich sanktioniert werden dürfen." Ob dieses Sanktionierungsverbot aber auch für rein zivilrechtliche Rückforderungen gilt, ist Gegenstand der Vorlagefrage.
In diesem Zusammenhang will das LG Erfurt wissen, ob deutsche Gerichte überhaupt eine Prüfung in dem Sinne vornehmen dürfen, als dass ein fiktives Erlaubnisverfahren unterstellt wird, welches aber eigentlich seitens der zuständigen Behörden hätte durchgeführt werden müssen. Steht eine solche fiktive Prüfung also deutschen Gerichten überhaupt zu?
Letztlich kommt das LG Erfurt auch noch auf die Fragen zum Einsatzlimit zu sprechen. Hier möchte das LG Erfurt wissen, ob ein solches Einzahlungslimit hinzunehmen ist, wenn ein Einzahlungslimit für identische stationäre Glücksspiele (Spielhallen, stationäre Casinos etc.) gerade nicht besteht oder aber, wenn für andere online Glücksspiele wie für Pferdewetten hier völlig andere Grenzen der Einzahlung gelten?
Der BGH hat doch aber schon einige der genannten Punkte zugunsten der Spieler in Aussicht gestellt, darf das LG Erfurt trotzdem diese Punkte dem EuGH vorlegen?
Ganz klar, ja, das darf das LG Erfurt. Nur deshalb, weil der BGH eine bestimmte Rechtsauffassung vertritt, ist ein untergeordnetes Gericht nicht daran gehindert, diese Auffassung zur Prüfung an den EuGH vorzulegen. Das zumindest dann, wenn das vorlegende Gericht einen Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben sieht und dieser auch nicht komplett abwegig ist. So betont das LG Erfurt auch ausdrücklich, dass es für verschiedene Punkte „… problematisch (erscheint), wie es der Bundesgerichtshof vorzunehmen gedenkt“. Entsprechend setzt es sich durchaus mit den Wertungen des BGH auseinander und begründet entsprechend seine dahingehenden Zweifel.
Was ist nun davon zu halten?
Klar dürfte sein, dass durch die weiteren umfassenden Vorlagefragen des LG Erfurt der Zeitlauf bis zu einer verlässlichen Klärung durch den EuGH nicht wirklich verkürzt wird. Damit sind aktuell Vorlageverfahren von drei unterschiedlichen Gerichten mit teilweise deutlichem zeitlichem Abstand nacheinander eingelegt worden. Selbst dann, wenn diese Verfahren zu einem gemeinsamen Termin verhandelt werden, so dürfte klar sein, dass das mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Jahr 2025 passieren wird.
Doch einmal so gesagt: selbst dann, wenn der EuGH die beiden Grundsatzvorlagefragen des BGH sowie das Vorlageverfahren C-440/23 aus Malta zugunsten der Spieler wertet, würden all die anderen Fragen des LG Erfurt weiterhin im Raum stehen. Bei all diesen Fragen des LG Erfurt handelt es sich im Grunde um die Kernargumentation der Glücksspieleanbieter. Es würde also nahe liegen, dass auch bei einer positiven Entscheidung des EuGH im Rahmen der Malta- und der BGH-Vorlagen früher oder später erneut eine Vorlage mit exakt den Fragen des LG Erfurt folgt. Es macht also durchaus Sinn, hier eine umfassende Klärung möglichst zeitnah herbeizuführen. Zumindest dann ist wirklich eine verbindliche Klärung gegeben, die den einzelnen Gerichten die Möglichkeit eröffnet, zügig und verbindlich Entscheidungen zu treffen.
Kritik wäre an der Vorlage-Entscheidung des LG Erfurt vielleicht aber in der Weise zu üben, als dass eine Prüfung dahingehend, ob mit bislang vorliegenden Entscheidungen des EuGH nicht bereits einzelne Teilfragen geklärt werden könnten, scheinbar nicht erfolgt ist. Dazu trifft das LG Erfurt jedenfalls kaum nachvollziehbare Aussagen. Ferner gibt der vorlegende Richter am Ende des Vorlagebeschlusses den Hinweis, er dürfe auch als Einzelrichter eine Vorlage zum EuGH initiieren, ohne die gesamte Kammer des Gerichts einzubeziehen. Das mag am Ende auch so sein. Nur weist der Richter ebenso ausdrücklich darauf hin, dass durch vorherige Hinweisbeschlüsse und monatelangem Zeitlauf den klagenden Parteien „… fast ein Jahr zur Verfügung (stand), um sich zu einer Vorlage an den Gerichtshof zu äußern.“. Dann könnte man allerdings genauso gut hinzufügen: der vorlegende Einzelrichter hatte fast ein Jahr Zeit, um den Vorlagebeschluss mit der gesamten Kammer zu besprechen und vorzunehmen. Warum das nicht geschehen ist, bleibt offen. Genauso bleibt aber auch offen, ob es bei einer Entscheidung der gesamten Kammer wirklich eine andere Entscheidung über die Vorlage an den EuGH gegeben hätte.
Was bedeutet das alles für meinen konkreten Fall?
Für alle Klageverfahren, welche bereits an einem Gericht anhängig sind, wirkt sich das neue Vorlageverfahren erst einmal nicht direkt aus. Ob die Quote der Verfahrensaussetzungen mit Blick auf die ergänzenden Fragen des LG Erfurts sich erhöht, sei dahingestellt. Die Verfahrensaussetzungen werden bereits jetzt in nicht unerheblicher Zahl an etlichen Gerichten vorgenommen, sodass sich daran im Grunde auch mit einem weiteren EuGH-Verfahren nichts ändern dürfte.
Hinzuweisen ist aber auch an dieser Stelle nochmals ausdrücklich darauf, dass all die aktuellen EuGH-Verfahren keinen Einfluss auf irgendwelche Verjährungsfragen für die Sachverhalte haben, welche noch nicht an einem Gericht anhängig sind. Wer darauf vertraut, dass eine schnelle Klärung durch den EuGH erfolgt und dann immer noch genügend Zeit für eine Klageerhebung verbleibt, läuft zumindest Gefahr, dass er sich dabei verrechnet.
Die Verjährung ist und bleibt ein Thema. Selbst dann, wenn sämtliche Vorlageverfahren im Sinne der Spieler entschieden werden und die Richtlinien des BGH anschließend die Grundlage aller weiteren Rückforderungsprozesse sind, tickt die Uhr selbst bei einer 10-jährigen Verjährungsvariante unaufhaltsam. Das zumindest dann, wenn das jeweilige Verfahren noch nicht an einem Gericht anhängig ist. Auch wenn keine voreilige Entscheidungen über eine möglicherweise kostenintensive Klage getroffen werden sollte, so muss das Thema Verjährung dennoch durchgeprüft und beachtet werden.
Auf der anderen Seite muss aber auch das Risiko im Blick behalten werden, dass mindestens einzelne Aspekte seitens des EuGH durchaus auch zugunsten der Anbieter entschieden werden könnten. Wie sich das dann auf bereits anhängige Klageverfahren auswirken wird, kann derzeit nicht seriös abgeschätzt werden. Hier dürfte es maßgeblich darauf ankommen, welche Aspekte das am Ende genau sind und mit welcher Begründung diese seitens des EuGH entschieden werden. Das gilt natürlich auch für die Rückforderungsprozesse, welche bereits bei einem Gericht anhängig und möglicherweise momentan ausgesetzt sind.
Ob sich letztendlich jetzt auch Prozesskostenfinanzierer mit Blick auf die umfangreiche neue EuGH-Vorlage neu positionieren, wäre ebenso offen. Bereits zuvor wurde zumindest in Teilen die Kostenübernahme für Klagen auf Verlustrückzahlungen gedrosselt. Wie sich das nun mit den relativ umfassenden Vorlagefragen des neuen Vorlageverfahrens auswirkt, bleibt abzuwarten. Allerdings wird es auch bei Prozesskostenfinanzierern, so wie bei jedem anderen wirtschaftlich orientierten Unternehmen, Risikobewertungen mit Blick auf die Vorlageverfahren geben.
Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.
info@ra-grunow.de
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