Rentenversicherung Nachforderung Beiträge - Geschäftsführer GmbH - Was tun? - Haftung Steuerberater?

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Ausgangslage

Eine GmbH besteht schon seit über 35 Jahren. Es gibt drei Gesellschafter, jeder von ihnen hält ein Drittel der Anteile. Alle drei sind als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen. All die Jahre waren die Gesellschafter-Geschäftsführer von der Sozialversicherung befreit, der Status blieb in allen bisherigen Betriebsprüfungen unbeanstandet.

Nunmehr stellt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) im Rahmen einer Betriebsprüfung im Sommer 2021 fest, dass alle Gesellschafter-Geschäftsführer über den gesamten Prüfungszeitraum von vier Jahren sozialversicherungspflichtig sind. Die Betriebsprüfung fand beim Steuerberater statt, wie all die Jahre zuvor, deshalb hat man das alles gar nicht so richtig wahrgenommen.

Und doch hält man plötzlich eine „Anhörung nach § 24 SGB X“ in Händen, wonach die DRV einen Bescheid zu Lasten der GmbH erlassen und knapp 180.000,00 EUR an Beiträgen nachfordern möchte; man erhält Gelegenheit, innerhalb von einem Monat dazu Stellung zu nehmen.

I. Was ist passiert?

1. Aufgabe der Schönwetter- und Kopf-und-Seele-Rechtsprechung

Jahrzehnte lang konnten sich familiengeführte GmbH darauf verlassen, dass Gesellschafter-Geschäftsführer unter bestimmten Voraussetzungen auch dann sozialversicherungsfrei sind, wenn sie nicht mehrheitlich am Kapital der Gesellschaft beteiligt sind.

Im Jahre 2012 stellte das Bundessozialgericht diese Rechtsprechung erstmals in Frage, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10, und überlegte, ohne dass es in diesem Fall tatsächlich darauf angekommen wäre, dass die Selbstständigkeit einer Person nicht davon abhängen könne, ob sich in der Familie alle vertrügen (schönes Wetter herrsche). Selbstständig könne nur derjenige sein, der sich auch im Falle von Streit oder Ehescheidung durchsetzen könne. Zu diesem Zeitpunkt war das Ende der Selbstständigkeit von Minderheitsgesellschaftern eingeläutet.

Bestehen blieb zunächst noch die sog. „Kopf und Seele“-Rechtsprechung. Danach war ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit Minderheitsbeteiligung immer dann sozialversicherungsfrei, wenn er auf Grund seines Know-hows Kopf und die Seele des Unternehmens war, selbst bei einer bloßen Minderheitsbeteiligung.

Mit Urteil vom 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R gab das BSG die Schönwetterrechtsprechung endgültig auf und begrub die Kopf-und-Seele-Rechtsprechung gleich mit.

Die Träger der Sozialversicherungen reagierten bereits im April 2014 mit einem „Gemeinsamen Rundschreiben der Sozialversicherungen“ auf diese neue Rechtsprechung und passten die Grundsätze für die Statusprüfung bei Minderheitsgesellschaftern an (zu finden unter https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Arbeitgeber-und-Steuerberater/summa-summarum/Rundschreiben/rundschreiben.html, aktualisiert im Jahr 2022, Rundschreiben vom 01.04.2022, Anlage 3.

2. Welcher Gesellschafter-Geschäftsführer ist noch sozialversicherungsfrei?

Sozialversicherungsfrei ist nur noch, wer als Gesellschafter-Geschäftsführer exakt 50 % oder mehr Anteile hält oder, falls er weniger hält, über eine satzungsmäßig verankerte Sperrminorität verfügt – privatschriftliche Regelungen außerhalb der Satzung sind unbeachtlich.

Doch jetzt, wo der Bescheid erlassen ist, lässt sich die Satzung nur noch für die Zukunft ändern, nicht mehr für die Vergangenheit.

II. Was ist zu tun?

1. Insolvenz?

Als allererstes gilt: Ruhe bewahren! Die Sache ist nicht nur ärgerlich, es geht vor allem um sehr viel Geld, das vielleicht nicht sofort verfügbar ist. Dennoch darf man sich niemals aus Wut dazu hinreißen lassen, sich in Gegenwart von Mitarbeitern, dem Betriebsprüfer oder jemandem von der Krankenkasse darüber aufzuregen mit den Worten: „Das kann doch alles nicht wahr sein, bei der Summe kann ich den Laden gleich dicht machen, da sind wir pleite“. Wenn dem wirklich so ist, und es wird nicht angemessen reagiert, droht möglicherweise eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung. Prüfen Sie die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft so zügig wie sorgfältig.

2. Änderung der Satzung?

Die Gesellschafter-Geschäftsführer wissen nun, dass sie sozialversicherungspflichtig sind. Das gilt natürlich nicht nur für den geprüften Zeitraum, sondern darüber hinaus bis in die Gegenwart; mit jedem Tag, der vergeht, laufen weitere Beiträge auf.

Die nächste Frage, die es folglich zeitnah zu klären gilt ist, ob es dabei bleiben oder ob die Satzung geändert und Sozialversicherungspflicht für die Zukunft ausgeschlossen werden soll. Dazu muss man für sich überlegen, was man will. Manch ein Geschäftsführer ist vielleicht froh, dass er nun gesetzlich renten- und krankenversichert ist, ein anderer hingegen nicht.

Sozialversicherungspflicht scheidet nur aus, wenn man als Gesellschafter-Geschäftsführer alle, aber auch wirklich alle Beschlüsse der Gesellschafterversammlung verhindern kann. Es reicht nicht, dass Beschlussfähigkeit nur besteht, wenn 75% der Stimmen anwesend sind, oder dass bestimmte Satzungsänderungen einer Zwei-Drittel-Mehrheit o. Ä. bedürfen.

Es genügt ausschließlich die sog. „umfassende Sperrminorität“. Diese kann bspw. dadurch hergestellt werden, dass in die Satzung eine Regelung aufgenommen wird, wonach alle Beschlüsse einstimmig zu fassen sind. Dies wird aber nicht jeder Konstellation gerecht, so zB., wenn einer der Gesellschafter-Geschäftsführer sozialversicherungspflichtig bleiben möchte oder es weitere Minderheits-Gesellschafter gibt, die nicht als Geschäftsführer bestellt sind und denen man keine solch umfassenden Rechte einräumen möchte. Die Satzungsänderung will präzise formuliert sein.

Anschließend sollte man sich die neue Satzung auf jeden Fall rasch im Rahmen eines Statusklärungsverfahrens nach § 7a SGB IV offiziell durch die DRV absegnen lassen.

Und aufpassen: Die Anwartschaften, die man nun zwangsweise erhält, sind nur dann wirklich etwas wert, wenn man bei Renteneintritt die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt hat. Ein Prüfungszeitraum umfasst nur 48 Monate. Bevor die Sperrminoritätsklausel eingebaut wird, sollte man unbedingt seinen Versicherungsverlauf überprüft haben; vielleicht ist es besser, man wartet noch, bis ein Jahr seit Ende des Prüfzeitraums vergangen ist.

3. Rechtsbehelfe gegen den Bescheid?

Hier muss man leider sagen, dass die Bescheide zu 99,9% rechtmäßig sind, zumindest was den Status der Gesellschafter-Geschäftsführer angeht. Juristisch zu argumentieren nutzt gar nichts, Vertrauensschutz wird nicht gewährt. Den Großteil des angeforderten Betrages wird man wohl oder übel bezahlen müssen. Nur selten wird man durch Widerspruch den Betrag reduzieren können.

Säumniszuschläge werden noch ab und zu festgesetzt, obwohl die Rechtsprechung hier vorsätzliches Handeln verlangt. Den Vorsatz muss die DRV nachweisen, was sie aber in aller Regel nicht kann. Da Säumniszuschläge aber oft knapp 10 % des geforderten Betrages ausmachen, sollte in diesem Fall unbedingt Widerspruch eingelegt werden.

Manchmal werden Personen fehlerhaft im Zweig der Kranken- und Pflegeversicherung als sozialversicherungspflichtig eingestuft, obwohl sie bislang privat versichert und älter als 55 Jahre sind; manchmal wird fälschlich die Umlage U1 verlangt, manchmal fälschlich die Umlage U2 noch für die Zeit vor 2018. Mehr ist meist nicht zu holen.

Wenn die GmbH rechtsschutzversichert ist gilt folgendes: Das Anhörungsverfahren nach § 24 SGB X gehört nicht zum Verwaltungsverfahren und ist noch nicht rechtsschutzversichert. Wenn Sie einen Anwalt beauftragen, im Rahmen dieser Anhörung eine Stellungnahme abzugeben, tragen Sie die Kosten selbst. Erst der belastende Bescheid ist der Versicherungsfall, erst ab hier kann die Rechtsschutzversicherung eintrittspflichtig sein – und auch hier aufgepasst: oft gilt der Rechtsschutz im Sozialrecht erst ab dem gerichtlichen Verfahren.

4. Geld aufbringen!

Der Bescheid der DRV ist vorläufig vollstreckbar. Sie müssen also auch dann zahlen, wenn Sie Widerspruch einlegen oder klagen möchten. Oft ist das Geld ja vorhanden, aber nicht sofort. Hier kann man durch Taktieren Zeit herausholen.

Erst, wenn der Bescheid erlassen ist, wird es ernst. Das Geld bekommt nicht die DRV, sondern die für den Geschäftsführer jeweils zuständige Krankenkasse als sog. Einzugsstelle (sie geht aus dem Bescheid hervor). Wenn Sie der Krankenkasse bereits eine Einzugsermächtigung erteilt haben, weil zB. einer Ihrer Mitarbeiter dort Mitglied ist, wird das Geld schlicht vom Konto der GmbH abgebucht. Nach Möglichkeit sollte die Lastschrift nicht platzen.

Wenn der notwendige Betrag zu dem Zeitpunkt noch nicht vollständig vorhanden ist, kann man mit der Einzugsstelle eine Stundung und Ratenzahlung vereinbaren, die aber kostet: 0,5 % Zinsen im Monat.

5. Versicherungen rückabwickeln oder kündigen? Arbeitgeberzuschüsse verlangen? 

Dadurch, dass rückwirkend Sozialversicherungspflicht festgestellt wurde, können sich Erstattungsmöglichkeiten eröffnen.

Wer als Geschäftsführer bislang freiwillig gesetzlich versichert war und nun versicherungspflichtig wurde, bekommt auf Antrag von seiner Versicherung die Arbeitnehmeranteile zur Krankenversicherung erstattet. Voraussetzung ist, dass für den geprüften Zeitraum die Beiträge gemeldet werden, zB durch den Steuerberater. Die Krankenkasse bekommt die Arbeitnehmeranteile nun vom Arbeitgeber wieder, der den Gesamtsozialversicherungsbeitrag schuldet. Wird der Antrag vom Geschäftsführer nicht gestellt, kassiert die Krankenkasse doppelt.

Etwas komplizierter wird es für freiwillig Versicherte, wenn oberhalb der JAEG verdient wurde und wird. Es bleibt dann bei der freiwilligen gesetzlichen Versicherung, die bis dahin in vollem Umfang (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) vom Geschäftsführer bezahlt wurde. Nun bekommt der Geschäftsführer einen Anspruch nach § 257 Abs. 1 SGB V gegen die GmbH auf hälftigen Zuschuss (nämlich den Arbeitnehmeranteil). Der Anspruch auf den Zuschuss ist auch nicht verjährt, da er erst fällig wird bei Fälligkeit des Beitrags.

Privat Versicherte haben Pech. Man hatte bislang den vollen Beitrag selbst an die PKV gezahlt. Bittet man nun die PKV, die Beiträge zu erstatten, weil man ja in Wirklichkeit schon seit über vier Jahren gesetzlich versichert ist, bekommt man zur Antwort, dass der Vertrag allenfalls für die Zukunft aufgehoben werden könne, eine Erstattung komme nicht in Frage. Die GmbH muss also zusätzlich in eine gesetzliche Versicherung einzahlen, die nie in Anspruch genommen wurde. Der privat versicherte Geschäftsführer hat ebenfalls einen Anspruch gegen die GmbH auf den hälftigen Zuschuss, § 257 Abs. 2 SGB V. 

Wer als Geschäftsführer in der gesetzlichen Versicherung bleiben will (es wird keine Sperrminorität vereinbart, der Verdienst liegt unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze), muss nun die PKV kündigen, in eine Anwartschafts- oder ggf. in eine Zusatzversicherung umstellen, da er ansonsten zwei Versicherungen parallel zu bezahlen hat. Achtung, hier sind ggf. kurze Fristen einzuhalten, § 205 VVG.

6. Vom Geschäftsführer Beiträge zurückverlangen?

Muss die Gesellschaft die Beiträge trotzdem alleine tragen, obwohl der Geschäftsführer seinen Anteil evtl. von der Krankenkasse erstattet bekommt, oder kann sie Erstattung verlangen?

Dies richtet sich nach § 28g SGB IV: Der Arbeitgeber hat zwar gegen den Beschäftigten einen Anspruch auf den Arbeitnehmeranteil; dieser Anspruch kann aber nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden.

Ein unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden, und danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Hier stellen sich äußerst kniffelige Fragen. Liegt Verschulden vor? Sieht der Geschäftsführervertrag eventuell eine Verfallklausel vor? Kann die GmbH verzichten; was passiert dann bei einer Insolvenz; sind dies verdeckte Gewinnausschüttungen? Ist eine Rückforderung überhaupt noch möglich, wenn eine Sperrminoritätsklausel aufgenommen wurde?

7. Den Steuerberater in Haftung nehmen?

Hätte nicht irgendwann, vielleicht ab 2014, der eigene Steuerberater auf die Idee kommen müssen, dass großes Unheil in Form von Nachforderungen droht und auf eine zeitige Abänderung der Satzung hinwirken müssen?

a) Pflichtverletzung?

Damit der Steuerberater haftet, muss er zunächst einmal ein Mandat gehabt haben, das die Prüfung sozialversicherungsrechtlicher Fragen beinhaltet. Vielfach gibt es keinen schriftlichen Vertrag mit dem Steuerberater. Man hat ihm schlicht alles, was mit Geld zu tun hat, blind übertragen: die Finanzbuchhaltung, die Umsatzsteuervoranmeldungen und den Jahresabschluss usw., aber auch die Lohnbuchhaltung, die Beitragsmeldungen, Erstellen der Lohn- und Gehaltsabrechnungen, die An- und Abmeldung von der Sozialversicherung mit den jeweiligen Verschlüsselungen usw. Ein ausdrücklicher Auftrag, den Status der Gesellschafter-Geschäftsführer regelmäßig zu überprüfen, wird ihm aber nicht erteilt worden sein.

Ob er diese Prüfung aber im Rahmen der Lohnbuchhaltung und Lohnabrechnungen durchführen musste, ist immer noch nicht richtig geklärt. Der steuerliche Berater, der im Auftrag des Arbeitgebers die Lohnabrechnungen besorgt, muss grundsätzlich auch prüfen, ob für Arbeitnehmer eine Befreiung von der Versicherungspflicht in Betracht kommt, wenn Beiträge nicht abgeführt werden, so der BGH, 12.02.2004, IX ZR 246/02 und 23.09.2004, IX ZR 148/03. 

Dennoch lehnen viele Gerichte eine Schadensersatzpflicht ab, da es nicht Aufgabe des Steuerberaters sei, sozialversicherungsrechtliche Sachverhalte zu prüfen und dahingehend zu beraten. Aber sehr oft erledigen Steuerberater noch viel mehr Dinge, ja, sie sehen sich selbst als umfassender Dienstleister in Bezug auf die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen, Erstellen von Arbeitsverträgen inklusive. Auch im Gesellschaftsrecht kennen sich viele angeblich aus, leiten Gesellschafterversammlungen, überarbeiten Satzungen usw. Sehr häufig finden die Betriebsprüfungen beim Steuerberater statt, und er stellt sich als erster Ansprechpartner zur Verfügung, führt die Schlussbesprechung und verhandelt mit den Prüfern.

Je regelmäßiger der Steuerberater mit Belangen der GmbH befasst war, umso eher kommt eine Haftung in Frage. Seine Pflichten hat er in dem Moment verletzt, in dem er das Gehalt der Geschäftsführer zwar versteuert, aber nicht verbeitragt, und zwar ab April 2014, wenn nicht sogar früher, spätestens jedoch ab Juli 2015 – leider ist das nur meine Meinung. Die DRV selbst ließ noch bei Prüfungen Anfang/Mitte 2017 den Status von Minderheitsgesellschaftern unangetastet; erst ab Anfang 2018 war klar, dass der Schwenk in der Rechtsprechung nun auch von der DRV nachvollzogen werden würde, und das mit aller Gewalt.

So fragt jedenfalls das OLG Hamm, 08.04.2022 - 25 U 42/20, gar nicht danach, ob eine Pflicht zur sozialversicherungsrechtlichen Beratung bestand, sondern ob eine Schadensverhütungspflicht aus dem Lohnbuchhaltungsmandat verletzt wurde, ist also deutlich strenger mit den Steuerberatern. 

b) Ursächlichkeit der fehlenden Belehrung 

Die fehlende Beratung des Steuerberaters muss für einen eventuellen Schaden auch ursächlich gewesen sein. Das ist sie nur, wenn die GmbH auf Belehrung hin ihre Satzung auf eine einstimmige Beschlussfassung bzw. Sperrminorität zugunsten der Geschäftsführer umgestellt hätte. Indiz ist es, wenn sie dies nach Erhalt des Nachzahlungsbescheides nun getan hat. Freuen sich jedoch alle Gesellschafter, dass sie sich nun gesetzlich krankenversichern können und ändern die Satzung nicht, wird eine Haftung ausscheiden.

c) Berechnung der Schadenshöhe

Schwierig ist die Berechnung des Schadens. Ob und inwieweit ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Erforderlich ist ein Gesamtvermögensvergleich, der alle von dem haftungsbegründenden Ereignis betroffenen finanziellen Positionen umfasst. Dieser erfordert eine Gegenüberstellung der hypothetischen und der tatsächlichen Vermögenslage.

Ersatzfähige Schäden sind in jedem Fall die Säumniszuschläge und Zinsen, falls man die Nachzahlung nicht in einer Rate leisten konnte und Stundung bei der Einzugsstelle beantragen musste. Ein Schaden könnte darin bestehen, dass ein großes Geschäft platzt, weil die hierfür vorgesehenen Gelder nun an die DRV gezahlt werden müssen.

Schwieriger wird es mit Steuerschäden. Ein Steuerschaden ist entstanden, weil die Sozialversicherungsbeiträge im Prüfungszeitraum nicht steuerlich als Betriebsausgaben geltend gemacht worden sind. Zugleich kann die GmbH aber die nacherhobenen Beiträge jetzt als Betriebsausgaben geltend machen und die Steuerlast verringern.  Letzteres dürfte aber kein Argument zugunsten des Steuerberaters sein, da eine Schadensersatzleistung in gleicher Höhe zu versteuern ist. Es verbleibt folglich sogar ein Steuerschaden bei der GmbH.

Was ist mit den Beitragsnachzahlungen, die für die Geschäftsführer festgesetzt wurden? Diese stellen grundsätzlich einen Schaden dar. Nun wollen aber vereinzelte Gerichte die Anwartschaften in der Rentenversicherung, welche die Geschäftsführer durch die Nachzahlung erworben haben, kapitalisiert und abgezinst in den Vermögensvergleich einstellen und vom Schaden abziehen. Das scheint mir nicht richtig, da GmbH und Gesellschafter unterschiedliche Rechtssubjekte mit ganz unterschiedlichen Interessen sind und § 28g SGB IV dies eigentlich nicht erlaubt und der Steuerberater kein Mandat hat, die Interessen der Geschäftsführer zu vertreten, sondern ausschließlich der GmbH.

d) Schadensminderungspflicht der GmbH

Die GmbH hat aber auch eine Pflicht zur Schadensminderung; sie muss die sozialrechtlichen Rechtsbehelfe ausschöpfen, sofern sie denn Sinn ergeben. Sie muss sich folglich gegen Säumniszuschläge, einen evtl. zu Unrecht verlängerten Verjährungszeitraum oder gegen zu Unrecht festgesetzte Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge mit den im Sozialrecht verfügbaren Rechtsbehelfen wehren. 

Zur Schadensminderungspflicht gehört auch zu prüfen, ob Beiträge zur Sozialversicherung von den Gesellschaftern zurückgefordert werden können. Ggf. sind Ansprüche auf Erstattung Zug um Zug gegen Zahlung des Schadensersatzes an den Steuerberater zu übertragen, ebenso mögliche Ansprüche gegen die Einzugsstellen, s.  OLG Hamm, 08.04.2022 - 25 U 42/20.

e) Umgang mit dem Steuerberater

Der Steuerberater ist vielleicht seit 3 Jahrzehnten treu und zuverlässig der Begleiter der GmbH gewesen, und eigentlich war man immer zufrieden. Gerne will man weiter zusammenarbeiten, aber der Nachzahlungsbetrag ist doch zu hoch, um einfach weiter zu machen. Was tun? Der Steuerberater hat doch eine Haftpflicht, also fragen wir ihn mal ganz freundlich, ob er nicht seine Versicherung in Anspruch nehmen möchte.

Ganz so einfach ist es nicht; der Steuerberater kann keine Versprechungen abgeben und so seine Versicherung zur Zahlung zwingen, nur um das Mandat zu behalten. Er muss ihr einen Schaden melden, woraufhin die Versicherung prüft, ob sie eintrittspflichtig ist. Dazu bedarf es eines Schreibens, mit dem der Steuerberater zur Zahlung aufgefordert und ihm seine Pflichtverletzung vor Augen geführt wird.

f) Finanzierung

Die Rechtsdurchsetzung gegen den Steuerberater kann teuer werden. Vertragsrecht ist nicht rechtsschutzversichert. Bei einem Streitwert von 180.000,00 EUR beträgt das Kostenrisiko bei 2 Instanzen über 40.000,00 EUR. Möglicherweise kann man einen Prozessfinanzierer zur Unterstützung gewinnen.





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