Schmerzensgeld bei Beleidigung – Voraussetzungen, Rechtsprechung & Absurdität
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Beleidigungen kommen ständig im Alltag vor, insbesondere im Straßenverkehr nach einem Verkehrsunfall. Laut statista wurden im Jahr 2020 240.575 Beleidigungen in Deutschland polizeilich erfasst. Durch eine solche Beleidigung macht sich die aussagende Person nicht nur strafbar, sondern es kann auch zu rechtlichen Folgen im Zivilrecht kommen, insbesondere einem Anspruch auf Schmerzensgeld als Ausgleichs- oder auch Genugtuungszahlung. In diesem Zusammenhang stellen sich viele Fragen: Wann stehen mir solche Ansprüche zu und in welcher Höhe? Wie kann ein Gericht bei einer Beleidigung zu Ansprüchen in genauen Centbeträgen kommen?
Was ist eine Beleidigung?
Die Beleidigung wird definiert als die Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung. Es handelt sich nicht mehr um eine Aussage, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, denn es geht gerade um die gezielte Herabwürdigung einer Person. Nicht nur verbale Ausdrücke sind erfasst, sondern auch nonverbale Tätigkeiten, wie das Zeigen des Mittelfingers oder das Anspucken infolge des ausgelösten Ekels.
Nicht als Beleidigungen gelten Äußerungen im familiären Kreis. In diesem privaten Umfeld sind emotionale Auseinandersetzungen zulässig.
Auch nicht als Beleidigungen werden erachtet solche Aussagen, die in einem privaten Gespräch mit einer engen Kontaktperson geäußert wurden. Das Gespräch ist nicht für Dritte bestimmt, es handelt sich um den Schutz der Intimsphäre.
Ebenfalls keine Beleidigung ist eine sog. kollektive Beleidigung. Dabei handelt es sich um eine Beleidigung gegen eine große Gruppe, die nicht abgrenzbar ist. Es handelt sich eben gerade nicht um die Verletzung der Ehre einer individualisierten Person. Dies kann aber anders zu bewerten sein, wenn ein hinreichend überschaubarer und abgegrenzter Personenkreis vorliegt (BVerfG, Beschl. v. 17.05.2016)
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) & Schmerzensgeld
Infolge der Beleidigung kommt es zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Anspruchsgrundlagen können sowohl § 823 I BGB i.V.m. Art. 1 I, 2 I GG als auch § 1004 BGB analog sein.
Das Schmerzensgeld ist in § 253 BGB geregelt. Dort heißt es:
„(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.“
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird also nicht ausdrücklich genannt. Das Bundesverfassungsgericht stützt sich daher auf Art. 1, 2 GG.
Anforderungen an die Verletzung
Schmerzensgeld wird bei Beleidigungen nur ausnahmsweise erteilt. Erforderlich ist gerade eine gezielte verschmähende Aussage. Es ist eine Abwägung der Gesamtumstände erforderlich, die die Schwere des Eingriffs feststellt. Dabei sind folgende Voraussetzungen erforderlich:
1. Allgemeines Persönlichkeitsrecht schwerwiegend rechtswidrig und schuldhaft verletzt
Das APR muss schwerwiegend rechtswidrig und schuldhaft verletzt sein. Dies ist insbesondere abhängig von Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, von Anlass und Beweggrund des Handelnden und dem Grad des Verschuldens (BGHZ 128, 1, bei Juris Rn 74). Nach dem BGH entfällt u.U. ein Anspruch auf Schmerzensgeld, wenn das Wohlbefinden nur kurzfristig und unerheblich beeinträchtigt wurde (BGH, NJW 1992, 1043). Gerade im Straßenverkehr begangene Schmähaussagen bewirken nicht ohne Weiteres einen darüberhinausgehenden Schmerz.
Nach dem OLG Stuttgart (Beschl. v. 22.05.2014, Az. 1 Ss 270/14) ist eine schwerwiegende APR-Verletzung „nicht der Fall, wenn die Beleidigung im Rahmen einer polizeilichen Diensthandlung begangen wird und die Amtsträgereigenschaft für sie erkennbar eine Rolle spielt.“
Das OLG Frankfurt (NJW-RR 2010, 403) nahm im Rahmen eines Falles mit wiederholten Beleidigungen eine schwerwiegende Verletzung an und führte dazu aus: „auch wenn eine einzelne Beleidigung innerhalb einer nachbarschaftlichen Auseinandersetzung noch nicht geeignet sein dürfte, eine Geldentschädigung nach sich zu führen, so kann sich doch eine wiederholte Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung kumulieren […]“.
2. Nicht auf andere Weise beseitigt
Dieses Kriterium ist eine erhebliche Einschränkung. So wird kein Schmerzensgeld mehr gezahlt, wenn der Täter strafrechtliche Sanktionen erleidet. Eine Kompensation des persönlichen Schadens und auch der präventive Zweck ist erfüllt worden.
Höhe des Schmerzensgelds
Die Höhe des Schmerzensgelds ist einzelfallabhängig. Vorliegend haben wir Ihnen eine Schmerzensgeldtabelle zur Orientierung erstellt:
Bespucken | 626, 97 € | AG Meppen, Urt. v. 25.04.2004 |
Bespucken | 750 € | AG Schwäbisch Hall, Az. 5 C 954/05 |
Rassistische Äußerungen („dunkler Affe“, „Negerpack“) | 360 € | AG Schwäbisch Hall, Az. 1 C 824, 94 |
Stinkefinger | 100 € | AG Bremen, Urt. v. 29.03.2012, Az. 9 C 306/11 |
Schwere Geringschätzung bei öff. Auftritten und im Internet | 10.000 € | LG Berlin, Urt. v. 15.11.2011, Az. 27 O 393/11 |
Vermieter bezeichnet Mieter als „Arschloch“, „Wichser“, „Hausbesetzer“ | 800 € | LG Bonn, Beschl. v. 14.01.2020, Az. 6 T 17/10 |
Beleidigung einer Polizistin als Hure, Nutte und Schlampe | 300 € | AG Böblingen, Urt. v. 16.11.2006, Az. 3 C 1899/06 |
Mieterin beleidigt Nachbarin vor anderen Mitmietern als blöde Kuh, asoziales Pack, Hexe | 700 € | OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 07.07.2009, Az. 16 U 15/09 |
Oliver Pocher in Sendung „Wetten, dass…?“ zu einer Frau „Du siehst ganz schön alt aus für dein Alter“ „Ja, wir haben übrigens eine schöne Operationsshow bei Pro 7, da könnte ich sie mal vorschlagen“ | 6.000 € | LG Hannover, Urt. v. 11.01.2006, Az. 6 O 73/05 |
„Schlampe“ nach wechselseitiger Provokation | 109,64 € | AG Bremen, Urt. v. 29.03.2012 Az. 9 C 306/11 |
Scheibenwischer-Geste | 1.000 € | OLG Koblenz, Urt. v. 01.06.2005, Az. 1 U 1161/04 |
Rechtsprechung zur Beleidigung im Straßenverkehr
Im Fall des AG Nürnberg (Urt. v. 13.11.2012, Az. 13 C 5958/12) wurde die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe den Kläger zu einem starken Bremsmanöver veranlasst, woraufhin dieser hupte. Der Beklagte streckte folglich den Mittelfinger raus. Begründet wurde die Klageabweisung damit, dass es sich um eine spontane Reaktion des Beklagten gehandelt habe. Es diene der Ermahnung. Eine schwerwiegende rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des APR sei daher nicht gegeben.
Das AG Bremen (Urt. v. 29.03.2012, Az. 9 C 306/11) musste sich ebenfalls zu einem Schmerzensgeldanspruch wegen Beleidigung im Straßenverkehr als „Schlampe“ und „Hure“ äußern. Der Beklagte wurde zur Zahlung von 100€ Schmerzensgeld verurteilt. Das Gericht führte aus „Die Beleidigungen des Beklagten sind zwar aus Anlass einer eskalierenden Auseinandersetzung im Straßenverkehr begangen worden. Auch sind die Beleidigungen des Beklagten im Affekt und nicht vor einer Öffentlichkeit geäußert worden.
Die Beklagte war an dieser Auseinandersetzung als Beifahrerin jedoch gänzlich unbeteiligt. Sie wurde durch die diffamierenden Äußerungen als Frau herabgewürdigt und in ihrer Menschenwürde verletzt.“
Das LG Dresden (Urt. v. 11.07.2011, Az. 2 S 196/11) entschied „das Zeigen eines „Stinkefingers” im Straßenverkehr ist auch gegenüber einem Vollzugsbeamten kein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht.“ „Es ist nicht zu verkennen, dass der Kläger als Bediensteter des Staates allenthalben Anfechtungen, Vorwürfen und gelegentlich auch beleidigenden Äußerungen ausgesetzt ist. In manchen Situationen, wie der hier der Klage zugrunde liegenden, muss man dies hinnehmen, ohne ein Schmerzensgeld verlangen zu können.“
Das AG Berlin-Mitte (Az. 116 C 45/14) verneinte einen Anspruch auf Schmerzensgeld. In dem Fall belehrte ein Polizeibeamter einen Verkehrsteilnehmer verkehrsrechtlich, woraufhin dieser die Scheibenwischer-Geste tätigte. Es fehle auch hier an der schwerwiegenden Verletzung des APR. Die Scheibenwischer-Geste komme oft im Straßenverkehr vor. Es drücke aus, dass man den anderen als schlechten Autofahrer ansehe. Beim Durchschnittsmenschen hinterlasse dies aber keinen bleibenden Eindruck.
Ist das Ganze nicht absurd?
Schaut man sich die Urteile aus der Rechtsprechung einmal genauer an, so fällt auf: wie kann es denn sein, dass das AG Meppen für das Bespucken einer Personen einen Anspruch bis auf den Cent genau feststellen kann? Wie kann es sein, dass für Beleidigungen wie „Negerpack“ 360€ Schadensersatz zu zahlen sind, aber für eine Beleidigung als „Arschloch“ mehr als das Doppelte von 800€? Kann man wirklich so genau zwischen diesen Aussagen differenzieren? Wieso kommt es dazu, dass das OLG Koblenz 1.000€ dem Kläger für eine Scheibenwischer-Geste zuspricht, während das AG Berlin-Mitte einen Schadensersatzanspruch bei der Scheibenwischer-Geste komplett verneint?
Ob das alles so genau auf den Cent bestimmt werden kann, und ob das alles wirklich einen roten Faden hat, scheint doch wirklich fraglich.
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