Sylt: „Ausländer raus“ nicht strafbar und „Hitlergruß“ fraglich - Meinung eines Strafverteidigers

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Besser spät als nie. Da nun nahezu jeder Journalist und Jurist seinen Senf zum „Sylt-Video“ dazugeben musste, möchte ich mich hiervon nicht ausnehmen. Die nachfolgende Darstellung stellt meine persönliche Rechtsauffassung dar und ist keine Rechtsberatung oder Empfehlung zur Nachahmung bestimmter Verhaltensweisen.

Natürlich wird die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft – wie auch die Massenmedien – von einer Strafbarkeit ausgehen und die Beschuldigten wahrscheinlich erstmal anklagen. Vielleicht überlegt man sich auch noch ein paar „notwendige Ermittlungsmaßnahmen“ wie Hausdurchsuchungen, Vernehmungen am Arbeitsplatz oder Auskunftsanforderungen an Banken als Schikane. Ob das für die Bewertung der Strafbarkeit eine Rolle spielt, darf bezweifelt werden, da verschiedene Beweisvideos bereits unverpixelt online sind.

Die Sache mit der Strafbarkeit ist hier nicht so einfach, wie viele glauben. Einer der wenigen qualifizierten Beiträge findet sich auf LTO (Podcast „Die Rechtslage“ DRL007 „Sylt-Video – Strafbarkeit? Unzulässige Berichterstattung? …“ vom 01.06.2024), in welchem durchaus kritisch und juristisch fundiert argumentiert wird.


Teil 1: „Ausländer raus“ nicht strafbar

Zum einen geht es um die Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“. Wobei „Parole“ vielleicht schon das falsche Wort ist, denn es wurde hier als Liedtext über einen instrumentalen Teil des bekannten Liedes gesunden. Ob dies ernst gemeint war – immerhin lachen die Leute im Video, während sie zu dem Lied tanzen – kann an dieser Stelle zunächst einmal dahingestellt bleiben. Da es sich nicht um ein NS-Kennzeichen o.ä. handelt, kommt nicht § 86a StGB in Betracht, sondern nur § 130 Abs. 1 StGB. Gehen wir mit der herrschenden Meinung davon aus, dass „Ausländer“ eine entsprechende Gruppierung sind, die von der Vorschrift erfasst werden. Dann müsste die Äußerung für den objektiven Tatbestand:

– wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe zum Hass aufstacheln oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen auffordern (Nr. 1) oder

– die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass sie sie wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet (Nr. 2).

In beiden Fällen muss die Äußerung geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu gefährden. An all diesen Voraussetzungen kann man Zweifel haben. Die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, die viele heutzutage vergessen) muss dabei auch immer beachtet werden. Ich möchte an dieser Stelle weder den Leser mit juristischen Subsumtionen langweilen noch meine eigene Auslegung in den Vordergrund rücken, sondern einen kurzen Überblick auf die hierzu bereits existierende Literatur und Rechtsprechung werfen:

Das OLG Brandenburg erklärte es für eine strafbare Volksverhetzung, dass die Parole „Ausländer raus“ zusammen mit „Sieg Heil“-Rufen und Zeigen der Reichskriegsflagge aus einer größeren Gruppe mit „Skinhead-Kleidung“ skandiert wurde (Urteil vom 28.11.2001, Az.: 1 Ss 52/01, NJW 2002, 1440, zit. n. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 130 Rn. 9). Ähnlich entschied das OLG Hamm in einem vergleichbaren Fall (Rufe aus einer feindseligen Ansammlung vor einem Asylantenheim, Urteil vom 02.11.1994, Az.: 4 Ss 491/94, NStZ 1995, 136).

Den quasi umgekehrten Fall, dass es bei dem schlichten Ausruf blieb „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, der in einem (anderen) Lied lautstark öffentlich abgespielt wurde, hat das Amtsgericht Rathenow als straflos bewertet (Beschluss vom 13.04.2006, Az.: 2 Ds 496 Js 37539/05 (301/05), NStZ-RR 2007, 341).

Treffend erscheint mir die Differenzierung, dass es bei derartigen Parolen wie „Ausländer raus“ oder „… raus“ darauf ankommt, ob weitere Umstände hinzukommen, die eine gewaltsame Deportation oder ähnliches als einzigen Sinngehalt der Äußerung auszeichnen, oder ob es sich um eine friedliche Aufforderung zum Verlassen des Landes handelt (vgl. Lohse in: SSW-StGB, 4. Aufl. 2019, § 130 Rn. 16).

Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt:

„Feindselige Parolen wie ‚Ausländer raus‘ oder ‚Türken raus‘ werden grundsätzlich nicht erfasst, wenn sie sich in der Aufforderung zum Verlassen des Landes erschöpfen“ (BGH, Beschluss vom 28.7.2016, Az.: 3 StR 149/16, NJW 2016, 3795 [3797] mit weiteren Nachweisen).

Was haben wir denn im vorliegenden Fall? Ein paar – vermutlich angetrunkene – junge Menschen, die feiernd, tanzend und lachend eine instrumentale Melodie mit einem rhythmisch passenden Text belegen, womöglich nicht ganz ernst gemeint. Vielleicht auch als scherzhafte Anspielung auf vergangene Gesänge auf das entsprechende Lied, die den Leuten in Erinnerung waren. Dass dieser Vorgang ins Internet gestellt und von den Medien massenhaft ausgeschlachtet würde, war von den Darstellern wahrscheinlich nicht beabsichtigt. Ein ernsthafter Aufruf zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen ist für mich hierbei nicht erkennbar.

Dass zu den Worten „Ausländer raus“ noch die Worte „Deutschland den Deutschen“ hinzutreten, halte ich nicht für geeignet, eine andere Beurteilung zu begründen. Zunächst wird dadurch nichts anderes ausgedrückt als die (mögliche) Aussage, dass Ausländer (freiwillig) das Land verlassen mögen. Im Lichte der Meinungsfreiheit sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer alle möglichen Auslegungen einer Äußerung heranzuziehen. Im Übrigen erlaube ich mir den Hinweis, dass die triviale Aussage nichts Verächtliches gegenüber Nichtdeutschen enthält. Wenn jemand sagt „Italien den Italienern“, oder „Spanien den Spaniern“, wird niemand auf die Idee kommen, hier die Aufforderung zu Gewalt- und Deportationsmaßnahmen hineinzuinterpretieren. Dass man in Deutschland schnell anderer Auffassung ist, dürfte bekannt sein, ändert aber nichts am Sinngehalt der Äußerung. In diesem Zusammenhang erscheint es mir sinnvoll, die Präambel des Grundgesetzes zu zitieren und die entsprechenden Passagen hervorzuheben:

„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.“

Hätten diesen Text bestimmte Leute geäußert, wäre der Ruf nach Strafverfolgung auch schnell laut geworden, würde es nicht im Grundgesetz stehen.

Randbemerkung: Ich habe mehrere Videos von Dunkelhäutigen und (nach eigener Bezeichnung) Ausländern gesehen, die fröhlich den Text „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ auf derselben Melodie singen, teilweise mit dem Hinweis auf den entsprechenden „Ohrwurm“. Zum Teil von den Personen selbst gefilmt und ins Netz gestellt. Sollten solche Handlungen anders beurteilt werden als bei den „Partygängern“ auf Sylt? Und was ist eigentlich mit der Äußerung „Nazis raus“?


Teil 2: Strafbarkeit „Hitlergruß“?

Zum anderen geht es hier noch um den vermeintlichen Hitlergruß, den der junge Herr im Hintergrund des Videos veranstaltet.

Frage 1: Ist das überhaupt ein Hitlergruß?

Es existiert noch ein anderes (Überwachungs-) Video, das die Szene deutlich länger und von größerer Distanz zeigt. Hierbei sieht man, dass die Person zunächst abwechselnd den rechten und den linken Arm deutlich ausstreckt, bevor sie den linken Arm zum „Hitlerbart“ ansetzt und am ausgestreckten rechten Arm mit der Hand wedelt, zum Teil mit gespreizten, zum Teil mit angewinkelten Fingern. Man könnte auf die Idee kommen, dies als albernes oder widerliches Verhalten einzuschätzen. Es aber als – für einen außenstehenden Beobachter – Kennzeichen der NSDAP zu bewerten, erscheint mir fernliegend. So war es weder gemeint noch sah es so aus. Gerade der Hitlergruß ist (anders als die strittige SA-Parole „Alles für Deutschland“) in der Bevölkerung sehr bekannt; somit weiß nahezu jeder Beobachter, wie ein Hitlergruß auszusehen hat und was eben kein Hitlergruß ist. Damit scheint mir alles gesagt zu sein. Es werden sich natürlich Gerichte finden, die das anders beurteilen werden.

Frage 2: Satire?

Landläufig bekannt ist, dass Personen in öffentlich-rechtlichen Medien häufig Sonderrechte zugestanden werden. Wenn Herr Böhmermann sich in SA-Uniform mit Hakenkreuz ins Fernsehen setzt, einen „schlampigen Führergruß“ macht und dabei Unsinn redet, kommt kein Staatsanwalt auf die Idee, ein Ermittlungsverfahren wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen einzuleiten. Warum? Nach § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB (Sozialadäquanzklausel) gilt: Die Handlung ist nicht strafbar, wenn sie „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient“. Kunst. Was ist Kunst? Darüber haben sich schon Generationen von Menschen und insbesondere die Juristen gestritten. Die Frage werde ich hier nicht beantworten. Einen Unterfall stellt die „Satire“ dar. Ist es Satire, wenn ein tanzender Mensch sich mit Gestik und Mimik vielleicht über andere lustig macht, die zu einem bekannten Lied (ernsthaft?) „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ singen? Oder wollte er sie vielleicht kritisieren? (Wenn jemand bei einer Polizeikontrolle „Sieg Heil“ ruft, um die polizeilichen Maßnahmen als unverhältnismäßige Methoden zu kritisieren, soll dies nicht nach § 86a StGB strafbar sein, so etwa OLG Koblenz, Beschluss vom 28.01.2008, Az.: 1 Ss 331/07, BeckRS 2008, 2436, wobei immer noch eine Beleidigung in Betracht kommt.) Das sind natürlich nur wenige von vielen möglichen Deutungen. Das Problem aber dürfte klar sein. Warum darf sich ein öffentlich-rechtlicher Humorist als Hitler verkleiden und entsprechende Symbole zeigen, ein Normalbürger aber nicht in derartiger Montur zum Fasching gehen oder eben auf einer Party diese Darstellung mit den Händen andeuten?

Meiner Meinung nach lässt sich insofern eine Strafbarkeit nicht begründen.

Auch hier noch die passende Randbemerkung / Kontrollüberlegung:

Ich habe das Video eines Anwalts-Kollegen gesehen, der eine andere Auffassung vertritt und fest davon ausgeht, dass hier eine Bestrafung erfolgen müsse. Zur Erklärung, worum es in dem Video von Sylt geht, macht er exakt die Geste nach, die er dem Herrn im Original-Video vorwirft. Warum geht man davon aus, dass der Hitlergruß (wenn es denn einer ist) von einem Rechtsanwalt in einem öffentlichen Video gezeigt werden darf, aber von einem betrunkenen Pony-Club-Besucher nicht? Das eine im Ernst – das andere im Scherz.

Auf die arbeitsrechtlichen und „hochschulrechtlichen“ Probleme möchte ich an dieser Stelle nicht vertieft eingehen. Hier hat sich sogar schon in den Massenmedien herumgesprochen, dass derartige Maßnahmen rechtlich problematisch sind.

Dass jedoch das öffentliche Verbreiten des unverpixelten Videos oder der Klarnamen der Betroffenen Straftaten nach § 33 Kunsturhebergesetz und § 126a StGB darstellen kann (bejahend auch bei LTO, s.o.), übersehen offenbar die meisten. Zusätzlich wäre – wenn man entgegen obiger Auffassung eine Volksverhetzung und ein Verwenden verbotener Kennzeichen bejahen würde – auch die Verbreitung des Videos eine entsprechende Straftat nach §§ 130 Abs. 2 und § 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut unserer staatlichen Ordnung ist, das es zu bewahren und zu verteidigen gilt. So wie die einen „Ausländer raus“ äußern dürfen, dürfen die anderen „Ausländer rein“ (bzw. „wir schaffen das“) äußern, oder dass sie das eine oder andere Verhalten widerlich finden. Immer gleich nach der Strafjustiz zu rufen, hat aber noch nie weitergeholfen. Ein Rechtsstaat macht sich nur unglaubwürdig, wenn er unerwünschte Meinungen mit Strafen zu unterdrücken versucht.


Florian Gempe
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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