Update Arbeitszeiterfassung – Was bedeutet der Referentenentwurf zum Arbeitszeitgesetz?
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Nachdem die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Pflicht zur Arbeitszeiterfassung große Wellen geschlagen hat, liegt nun der erste Entwurf zur Anpassung des Arbeitszeitgesetzes vor. Was würde die Umsetzung dieses Entwurfs für die Praxis bedeuten? Wo sind Stärken und Schwächen des Entwurfs?
Entscheidung des BAG im September
Am 13.09.2022 hat bekanntlich der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Az.: 1 ABR 22/21) festgestellt, Arbeitgeber seien (schon längst) nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen.
Das „Ob“ einer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung war damit vom BAG geklärt. Näheres erfuhr man vom BAG aber nicht, musste man aber auch nicht, da zur Entscheidung des Rechtsstreits Einzelheiten der Arbeitszeiterfassung keine Rolle spielten. Seitdem war und ist die Arbeitsrechtspraxis gespannt darauf, ob nun der Gesetzgeber, angestoßen vom Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, den Ball aufnimmt und die nähere Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung gesetzlich regelt. In den Veröffentlichungen des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) hieß es seit Ende letzten Jahres dazu, man werde „voraussichtlich im ersten Quartal 2023 einen praxistauglichen Vorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz machen“.
Entwurf aus dem Ministerium
Ganz geschafft hat man nun das selbstgesteckte Ziel zwar nicht, aber seit wenigen Tagen liegt nun ein Referentenentwurf aus dem Hause des BMAS vor Wohlgemerkt, es ist zunächst einmal allein ein Entwurf aus dem Ministerium und noch lange nicht das vom Bundestag verabschiedete Gesetz. Dennoch lohnt sich ein Blick auf das Vorhaben des Ministeriums, um abschätzen zu können, wohin die Reise gehen wird.
Verankerung im Arbeitszeit-, nicht im Arbeitsschutzgesetz
Zunächst einmal fällt auf, dass der Referentenentwurf vom 27.03.2023 den Ansatz des Bundesarbeitsgerichts verwirft, eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im Arbeitsschutzgesetz, genauer in § 3 Abs. 2 Nr. 1 dort, angelegt zu sehen. Vielmehr baut der Entwurf die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in das Arbeitszeitgesetz ein und erweitert die in § 16 Abs. 2 ArbZG dort bereits insofern angelegte Regelung.
D.h. aber, dass leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sowie Chefärzte sowie weitere in § 18 ArbZG genannten Personengruppen nicht von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erfasst sein sollen. Im Übrigen aber soll die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer in Deutschland gelten, vollkommen unabhängig von der Betriebs- und/oder Unternehmensgröße, ob in einem Großkonzern tätig oder in einer Arztpraxis oder gar im Privathaushalt.
Exklusive Gestaltungsmacht der Tarifvertragsparteien
Von den leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG und den Chefärzten einmal abgesehen, sollen allein die Tarifvertragsparteien es regeln können, dass branchespezifisch weitere Arbeitnehmer von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind, nämlich Arbeitnehmer, bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann. In der Begründung zu dem Entwurf heißt es hierzu, solche besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit könnten etwa bei Führungskräften, herausgehobenen Experten oder Wissenschaftlern gegeben sein, die nicht verpflichtet seien, zu festgesetzten Zeiten am Arbeitsplatz zu erscheinen, sondern über den Umfang und die Einteilung ihrer Arbeitszeit selbst entscheiden könnten.
Aber, wie gesagt, das soll in den Händen der Tarifvertragsparteien liegen und Unternehmen, die entweder keinem tarifschließenden Arbeitnehmerverband angehören oder noch nicht einmal einer Branche mit Tarifverträgen, haben nichts davon, dh bis auf die (echten) Leitenden sind alle Arbeitsverhältnisse erfasst.
Nach § 16 Abs. 2 ArbZG–E sollen nun Arbeitgeber verpflichtet sein, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. Von der Erfassung von Pausenzeiten ist keine Rede. Die Arbeitszeitnachweise seien mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Anders als § 17 Abs. 1 MiLoG soll also der Arbeitgeber für die Arbeitszeitaufzeichnung nicht grundsätzlich sieben Kalendertage Zeit haben.
Elektronische Arbeitszeiterfassung
Weiterhin ist die Form der Aufzeichnung vorgeschrieben, nämlich „elektronisch“. Nach der Begründung des Entwurfs sei eine bestimmte Art der elektronischen Aufzeichnung nicht vorgeschrieben. Neben den bereits gebräuchlichen Zeiterfassungsgeräten kämen noch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung mit Hilfe von elektronischen Anwendungen wie Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme, gemeint wird wohl „Excel“ sein, in Betracht. Möglich sei aber auch eine kollektive Arbeitszeiterfassung durch die Nutzung und Auswertung elektronischer Schichtpläne, unter der Voraussetzung, dass sich aus dem Schichtplan für die einzelnen Arbeitnehmerinnen und den einzelnen Arbeitnehmer Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit ableiten ließe und Abweichungen von den im Schichtplan festgelegten Arbeitszeiten, zum Beispiel Urlaub, Fehlzeiten und zusätzliche Arbeitszeiten, gesondert elektronisch gefasst würden.
Selbstverständlich sei bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten insofern sicherzustellen, dass diese unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmung erfolge.
Die Referenten aus dem BMAS schätzen, 164.580 Betriebe in Deutschland müssten nunmehr eine elektronische Zeiterfassung einführen und man geht insofern von einem einmaligen Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 74 Millionen Euro aus.
Gestaffeltes Inkrafttreten
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung soll nach dem Entwurf gelten ab dem ersten Tag des auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Quartals, und zwar für alle Arbeitgeber unabhängig von ihrer Größe. Große Arbeitgeber haben daraufhin noch ein Jahr Zeit für die Einführung der elektronischen Form der Arbeitszeiterfassung, Arbeitgeber mit weniger als 250 Arbeitnehmern zwei Jahre, Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern fünf Jahre und Unternehmen bis zu zehn Arbeitnehmer sollen dauerhaft nicht elektronisch erfassen dürfen. Das gleiche soll gelten bei Angestellten in einem Privathaushalt.
Vertrauensarbeitszeit
In der Fortführung sogenannter „Vertrauensarbeitszeit“, d.h. wenn der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglichen Arbeitszeit verzichtet, sondern vielmehr darauf vertraut, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kämen der vertraglichen Arbeitsverpflichtung nach, ohne dies zu überprüfen, sieht der Entwurf kein Problem. Arbeitszeitaufzeichnung und „Vertrauensarbeitszeit“ schlössen sich nicht aus. Vielmehr könne der Arbeitgeber weiterhin daraufhin verzichten, die vertragliche Arbeitszeit zu kontrollieren, solange die Arbeitszeit des in Rede stehenden Beschäftigten aufgezeichnet werde. Dies würde durch eine elektronische Aufzeichnung vielmehr erleichtert.
Allerdings – und das ist der „kleine Haken“ – muss der Arbeitgeber nach § 16 Abs. 4 ArbZG-E, „durch geeignete Maßnahmen“ sicherstellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zur Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeit bekannt werden. Die stellt man sich in etwa so vor, dass das elektronische System zur Arbeitszeiterfassung sich automatisch meldet, wenn die elektronische Erfassung der Arbeitszeit das Maß des gesetzlich Erlaubten überschreitet.
Delegation der Erfassung
Die Arbeitszeiterfassung an sich – in der Regel ja zukünftig elektronisch – kann nach dem Entwurf auch durch den Arbeitnehmer selbst oder einen Dritten erfolgen, wobei der Arbeitgeber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich bleiben soll. Ein Dritter im Sinne der Norm könne insbesondere der Entleiher im Fall von Leiharbeitnehmern sein.
Informationsanspruch des Arbeitnehmers
Schließlich hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren und ihm eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen. Dies könne nach der Entwurfsbegründung auch dadurch geschehen, dass man den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die sie betreffende elektronischen Aufzeichnungen selbst einsehen ließe und sie hiervon daraufhin Kopien fertigen könnten. Das würde es in Zukunft Arbeitnehmern erleichtern, Vergütung für erbrachte, aber vom Arbeitgeber nicht anerkannte oder bestrittene Arbeitszeit (gerichtlich) erfolgreich durchzusetzen.
Mitbestimmung des Betriebsrats
Und was hat ein Betriebsrat mit dem Ganzen zu tun? Zunächst einmal habe der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 BetrVG u.a. die Aufgabe, darüber zu wachen, dass die Zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt würden. Dazu seien dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 BetrVG auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen – sprich die Nachweise über die (elektronische) Erfassung der Arbeitszeit – zur Verfügung zu stellen. Ferner hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht im Zuge der Ausgestaltung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung. Schließlich – und darauf hatte das Bundesarbeitsgericht schon in seinem Beschluss im September 2022 hingewiesen – ist die Frage der Erfassung von Arbeitszeit eine Fragestellung rund um die Ausgestaltung des betrieblichen Gesundheitsschutzes im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Wenn also die Arbeitszeiterfassung im Ausnahmefall oder übergangsweise nicht elektronisch zu erfolgen hat, folgt unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes allemal die Mitbestimmung eines Betriebsrats, gegebenenfalls im Wege eines Einigungsstellenverfahrens.
Im Übrigen bleibt alles beim Alten
Und eines sei schließlich ebenso hervorgehoben: an dem Maß des nach dem Arbeitszeitgesetz Erlaubten soll sich nach dem Referentenentwurf nichts ändern. Es bleibt also bei dem grundsätzlichen System von acht Stunden Arbeitszeit pro Werktag, den bisher geltenden Ruhezeiten und allen daran sich anschließenden Fragestellungen, die sich nicht zuletzt als Folge neuer technischer Möglichkeiten seit dem Inkrafttreten des Arbeitszeitgesetzes im Jahr 1994 zwischenzeitlich ergeben haben. Wenn also die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer auch in Zukunft in den Abendstunden oder am Wochenende arbeitet und etwa eingegangene E-Mails zur Vorbereitung auf den nächsten Tag kurz oder auch länger liest, ist diese Arbeitszeit dann nach den Plänen zuverlässig elektronisch zu erfassen und die Nachweise hierüber zwei Jahre aufzubewahren. Vermutlich war und ist der gefühlte Zeitdruck dann doch zu groß, um einen „großen Wumms“ zu landen und nach knapp 30 Jahren das Arbeitszeitgesetz grundlegend zu reformieren.
Resümee:
Da rollt etwas auf deutsche Arbeitgeber zu: Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind nun einmal bußgeldbewährt und sich länger, insbesondere im Fall von echten oder vermeintlichen Führungskräften, aber auch im Zuge von Vertrauensarbeitszeit, vor der Erfassung der Arbeitszeit zu drücken, wird nicht länger möglich sein. Ob sich das alles mit gerade mal 74 Mio € deutschlandweit in allen Unternehmen wird einführen lassen, darf bezweifelt werden. Aber auch mancher Beschäftigter wird womöglich ein gewisses Unbehagen verspüren, wenn nunmehr jede Minute seiner oder ihrer Arbeitszeit elektronisch erfasst und damit vom Arbeitgeber – Vertrauensarbeitszeit hin, Vertrauensarbeitszeit her – eingesehen und damit kontrolliert werden kann (und soll).
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