Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Encro-Chats und das neue Cannabisgesetz
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Wie das KCanG eine halbe Tonne Cannabis „verschwinden lässt“.
Was ist Encro-Chat und wie wurden die Daten gesammelt?
Französische Behörden stellten in den Jahren 2017 und 2018 in mehreren Ermittlungsverfahren, bei denen es insbesondere um den verbotenen Handel mit Betäubungsmitteln ging, fest, dass die Tatverdächtigen über sogenannte Kryptohandys verfügten, die über eine sogenannte Encro-Chat-Architektur verschlüsselt waren. Eine Auswertung dieser Mobiltelefone war aufgrund der Verschlüsselung nicht möglich. Teilweise bestätigten Beschuldigte ausdrücklich, dass diese Kryptohandys nur zum Drogenhandel bestimmt waren. Angesichts des wiederholten Auftauchens dieser Geräte im Zusammenhang mit Drogenhandel und organisierter Kriminalität wurde die Staatsanwaltschaft Lille im November 2018 von den Ermittlern des Zentrums zur Bekämpfung der Cyberkriminalität mit der Sache befasst.
Die Kryptohandys wurden u.a. mit folgenden Merkmalen beworben: Garantie der Anonymität, automatische Löschung von Nachrichten, Nutzung eines sogenannten „panic PIN-Codes“ für die sofortige Löschung der gesamten Daten des Gerätes.
Auf dieser Art von Telefonen war u.a. die Anwendung Encro-Chat verfügbar. Die Kommunikation konnte nur zwischen Kunden von Encro-Chat erfolgen. Die Kryptohandys konnten lediglich von ausgewählten Verkäufern etwa auf Ebay zum Preis von 1.610 Euro von ebenfalls ausgewählten Personen erworben werden.
Irgendwann gelang es französischen und niederländischen Behörden in Zusammenarbeit mit den EU-Behörden Europol und Eurojust für einen Zeitraum von rund zwei Monaten die gesamte Kommunikation der Encro-Chat Nutzer aus 122 Ländern abzufangen. Dadurch konnten die Handys von Zehntausenden Nutzern überwacht werden. Encro-Chat stellte schließlich den Betrieb ein. Auch deutsche Ermittler konnten nun die abgefangenen Daten aus den Encro-Chats anfordern.
Der BGH entscheidet, dass Daten aus Encro-Chats verwertbar sind
Der BGH stellte in seiner Entscheidung vom 02.03.2022 fest, dass die auf diese Art erlangte Daten strafrechtlich verwertbar sind. Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise ist § 261 StPO, der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung.
Bei der Verwertung sind die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisierenden einschränkenden Voraussetzungen in § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO in den Blick zu nehmen. Danach muss die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlungen des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein (BGH, Beschluss vom 02.03.2022, Az.: 5 StR 457/21).
Änderungen durch Inkrafttreten des KCanG
Nun ist es allerdings so, dass seit dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) am 01.04.2024 nicht mehr jedes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge eine schwere Straftat darstellt, die eine Online-Durchsuchung nach § 100b StPO rechtfertigt. Als besonders schwere Straftat, die eine solche Maßnahme im Zusammenhang mit dem Cannabishandel in nicht geringer Menge rechtfertigen, gelten nur noch die § 34 Abs. 4 Nummer 1,3 oder Nr. 4 KCanG, also der gewerbsmäßige Handel, der Handel als Mitglied einer Bande oder unter Mitfuhr einer Waffe.
Liegt also keine solche Katalogstraftat des § 100b StPO vor, ist dieser auch nicht anwendbar. Es liegt folglich ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis vor, wenn Daten aus Encro-Chats verwertet werden, die nicht der Aufklärung eben genau dieser genannten Straftaten dienen.
Entscheidungen des Landgerichts Mannheim und des Landgerichts Köln
Das Inkrafttreten des KCanG in Kombination mit der daraus resultierenden Neuregelung des § 100b StPO führte schließlich dazu, dass ein Angeklagter, dem zur Last gelegt wurde, im April, bzw. Mai in fünf Fällen Cannabismengen zwischen 15kg und 250kg - insgesamt rund 450kg – von Spanien nach Deutschland geliefert zu haben, in erster Instanz vom Landgericht Mannheim freizusprechen war. Bis auf die erlangten Daten aus Encro-Chat waren keine weiteren Beweismittel gegen den Angeklagten vorhanden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren beantragt, dem Angeklagten wurde zudem eine finanzielle Entschädigung für die Zeit in Untersuchungshaft zugesprochen, die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil Revision ein (LG Mannheim, Urteil vom 12.04.2024, Az.: 5 KLS 804 Js 28622/21).
Dass das Ganze auch anders entschieden werden kann, zeigt allerdings ein Beschluss des Landgerichts Köln. Dieses kam im April 2024 in einem ganz ähnlichen Fall zu einem anderen Ergebnis. „Die erlangten Erkenntnisse aus mittels Sky-ECC geführter Kommunikation sind auch nach Änderung der Gesetzeslage durch das Inkrafttreten des KCanG verwertbar. Ein Beweisverwertungsverbot besteht nicht.“ (LG Köln Mitte, Beschluss vom 16.04.2024, Az. 323 Qs 32/24)
Fazit
Das KCanG ermöglicht spezialisierten Strafverteidigern neue Verteidigungsspiel-räume im Betäubungsmittelrecht. Falls Sie Fragen zu den neuen Regelungen haben oder rechtliche Unterstützung in Ihrem Fall benötigen, stehe ich Ihnen zur Seite. Zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren, um einen Termin für eine persönliche Beratung zu vereinbaren.
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