Was ist ein Glaubhaftigkeitsgutachten – und wie beeinflusst es das Verfahren bei Sexualdelikten?
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Im Sexualstrafrecht stehen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte häufig vor der Herausforderung, dass Aussage gegen Aussage steht. In solchen Fällen existieren oft keine objektiven Beweismittel wie DNA-Spuren, Zeugen oder Aufzeichnungen. Um dennoch eine gerichtliche Entscheidung treffen zu können, kommt es maßgeblich auf die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage an – insbesondere bei Vorwürfen wie sexueller Nötigung oder Vergewaltigung (§ 177 StGB). Ein zentrales Instrument ist dabei das Glaubhaftigkeitsgutachten.
Ziel und Bedeutung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens
Ein Glaubhaftigkeitsgutachten dient der Beurteilung, ob eine Aussage – meist die des angeblichen Opfers – inhaltlich glaubhaft ist. Es geht nicht darum, ob eine Aussage wahr ist, sondern ob sie aus wissenschaftlich-psychologischer Sicht glaubhaft erscheint. Der Gutachter ist kein Richter, sondern liefert eine Einschätzung auf Basis aussagepsychologischer Kriterien.
Das Gutachten soll dem Gericht helfen zu beurteilen, ob die Aussage frei erfunden sein könnte oder ob sie auf realem Erleben basiert. In Fällen, in denen keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, kann das Gutachten entscheidend für die Verurteilung oder den Freispruch sein.
Wer erstellt das Gutachten – und auf welcher Grundlage?
Glaubhaftigkeitsgutachten werden in der Regel von forensischen Psychologen oder Sachverständigen mit spezieller Ausbildung in Aussagepsychologie erstellt. Die Gutachter orientieren sich dabei an anerkannten Kriterienkatalogen, wie dem sogenannten „Null-Hypothesen-Modell“: Der Ausgangspunkt ist dabei, dass die Aussage erdichtet ist. Diese Annahme muss dann durch Merkmale der Aussage widerlegt werden.
Zu den geprüften Aspekten gehören unter anderem:
Detailreichtum und innere Stimmigkeit der Aussage
Spontane Selbstkorrekturen oder Erinnerungslücken
Konstanz der Aussagen über mehrere Vernehmungen hinweg
Lebhaftigkeit und Konkretheit der Schilderungen
Plausibilität im Gesamtkontext der Ermittlungen
Auch das Aussageverhalten, eventuelle sekundäre Motive (z. B. Sorge- oder Trennungskonflikte) sowie mögliche suggestive Einflüsse (z. B. durch Polizei oder Therapeuten) werden analysiert.
Welche Rolle spielt das Gutachten im Verfahren?
Ein Glaubhaftigkeitsgutachten ist ein Beweismittel – nicht mehr und nicht weniger. Das Gericht ist an die Einschätzung des Sachverständigen nicht gebunden, lässt sich aber in der Praxis häufig davon leiten. In Verfahren mit Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen hat das Gutachten eine herausgehobene Bedeutung. Es kann dazu führen, dass Anklagen überhaupt erst erhoben oder Verfahren auch eingestellt werden.
Wichtig: Ein solches Gutachten wird nicht automatisch in jedem Verfahren eingeholt. Die Staatsanwaltschaft oder das Gericht entscheiden nach eigenem Ermessen, ob ein psychologischer Sachverständiger eingeschaltet wird. Auch kann die Verteidigung beantragen, dass ein solches eingeholt wird.
Kritische Einordnung und Verteidigungsmöglichkeiten
Aus Verteidigersicht ist ein Glaubhaftigkeitsgutachten stets kritisch zu hinterfragen. Denn auch psychologische Gutachten können fehlerhaft sein – sei es aufgrund methodischer Mängel, mangelnder Neutralität oder unvollständiger Informationsgrundlage. Ein zentraler Punkt ist die Frage, ob der Gutachter sich an die wissenschaftlichen Standards gehalten hat, ob er transparent gearbeitet und die Aussage tatsächlich inhaltsanalytisch geprüft hat.
Im Rahmen der Hauptverhandlung kann der Sachverständige befragt und in seiner Einschätzung hinterfragt werden. In bestimmten Fällen kann es auch sinnvoll sein, ein Privatgutachten durch einen unabhängigen Sachverständigen in Auftrag zu geben.
Fazit
Glaubhaftigkeitsgutachten sind in Sexualstrafverfahren von zentraler Bedeutung, insbesondere wenn keine objektiven Beweismittel vorliegen. Sie können maßgeblich zur Klärung des Tatvorwurfs beitragen – oder auch die Grundlage für eine unzutreffende Verurteilung bilden, wenn sie methodisch fehlerhaft erstellt wurden. Deshalb ist eine fundierte, kritische Auseinandersetzung mit dem Gutachten Teil jeder seriösen Verteidigungsstrategie.
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