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Ärzte müssen auch über seltene Risiken aufklären

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Ärzte müssen vor einem Eingriff auch über seltene Komplikationen aufklären. Ein Arzt, der das nicht beweisen konnte, musste einem Patienten 220.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Darüber hinaus haftete der Mediziner aber auch für die weiteren Folgen einer fehlerhaften Darmspiegelung.

Folgenschwerer Fehler einer Darmspiegelung

Dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm ging eine von Medizinern als Koloskopie bezeichnete Darmspiegelung voraus. Sie zählt inzwischen zu den Routineuntersuchungen. Einer solchen Darmspiegelung hatte sich der spätere Kläger im November 2007 bei dem später beklagten Facharzt für Chirurgie unterzogen. Grund dafür waren Blutungen beim Stuhlgang.

Bei der Darmspiegelung kam es aufgrund eines Behandlungsfehlers des Arztes zu einer Darmperforation. Der damals 48-jährige Patient musste daraufhin notoperiert werden. Durch die Öffnungen in der Darmwand waren jedoch Keime in den übrigen Bauchraum gelangt. Diese führten zu einer Bauchfellentzündung. Es folgte ein Krankenhausaufenthalt von über fünf Monaten. Währenddessen musste der Bauchraum unter anderem 19-mal gereinigt werden. Zudem entwickelten sich durch das Liegen Geschwüre, die eine Hauttransplantation erforderlich machten. Kurz nach der Entlassung folgte ein erneuter Krankenhausaufenthalt wegen einer Lungenentzündung und ein Aufenthalt in der Reha.

Der Mann ist inzwischen Frührentner. Er verfügt über einen künstlichen Darmausgang, hat einen Grad der Behinderung von 100 und befand sich in Pflegestufe I. Mit dem Anfang 2017 erfolgten Wechsel von Pflegestufen auf Pflegegrade entspricht diese Pflegestufe dem Pflegegrad 2, bei dem Betroffene bereits unter erheblichen Beeinträchtigungen ihrer Selbstständigkeit leiden. Angesichts dessen hielt das OLG Hamm ein Schmerzensgeld von 220.000 Euro für angemessen. Doch woran machte das Gericht den Schmerzensgeldanspruch und weitere Ansprüche gegen den Arzt fest?

Über schwere Risiken ist auch bei seltenem Eintritt aufzuklären

Das OLG begründete die Klage damit, dass der Arzt den Kläger nicht ausreichend über die Risiken der Darmspiegelung aufgeklärt habe. Grundsätzlich muss ein Arzt so aufklären, dass ein Patient Art und Schwere eines Eingriffs erkennen kann. Konkret muss ein Arzt deshalb zwar nicht über alle erdenklichen Risiken aufklären. Fester Bestandteil einer jeden Aufklärung müssen aber neben weiteren Punkten solche Risiken sein, die bei ihrem Eintritt schwere Folgen für die weitere Lebensführung eines Patienten haben können. Ob Risiken dabei selten oder gar extrem selten auftreten, spielt keine Rolle, wenn beim Eingriff aus medizinischer Sicht mit ihnen zu rechnen ist und sie für einen Laien überraschend sind. Ein solch seltenes Risiko, das zu schweren Komplikationen führen kann, ist bei einer Darmspiegelung eine Darmperforation.

Beweis der Aufklärung obliegt dem Arzt

Im Rahmen der Arzthaftung muss der Arzt eine ausreichende Aufklärung beweisen. Das gelang dem beklagten Mediziner hier nicht. Sein Beteuern, dass er mit dem Betroffenen wie mit all seinen Patienten stets ein ausführliches Gespräch geführt habe, in dem er auch auf dieses Risiko hingewiesen habe, half ihm nicht. Seine als Zeugin vernommene Arzthelferin konnte sich zudem nicht an das konkrete Gespräch erinnern. Für einen notwendigen Beweis von einigem Gewicht war das zu wenig.

So war der einzige Beleg für eine irgendwie geartete Aufklärung die vom Kläger unterschriebene Einwilligungserklärung. Diese beinhaltete allerdings nur, dass der Patient auf die mit dem Eingriff verbundenen unvermeidbaren nachteiligen Folgen, mögliche Risiken und Komplikationsgefahren hingewiesen worden sei. Das ist laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu allgemein und daher inhaltslos. Somit schlug der Entlastungsbeweis fehl.

Im Übrigen muss eine Aufklärung ohnehin immer durch den behandelnden Arzt selbst in einem einzelfallbezogenen Gespräch mit dem Patienten erfolgen. Ein Formular allein reicht somit nie zur ordnungsgemäßen Aufklärung aus.

Einwilligung des Patienten lässt sich nicht einfach annehmen

Des Weiteren verteidigte sich der Arzt damit, der Patient habe mutmaßlich in die Behandlung eingewilligt. Eine solche Vermutung lässt sich von Patienten jedoch zerstreuen. Dafür reichen plausible Gründe für einen Verzicht auf die Behandlung, wenn ein Patient die Risiken zuvor gekannt hätte. Das konnte der Mann glaubhaft darlegen.

Ein weitererer Grund, der gegen seine hypothetische Einwilligung sprach, war zudem, dass die Blutungen bereits zwei Monate vor der Darmspiegelung aufgehört hatten. An einer dringenden Notwendigkeit, die für eine mutmaßliche Einwilligung von mitentscheidender Bedeutung ist, fehlte es für die Untersuchung daher.

Zudem konnte der Mann plausibel darlegen, dass er es sich mit der Darmspiegelung nochmals überlegt hätte, wenn er von einer möglichen Darmverletzung gewusst hätte. Schließlich handelte es sich hier um keinen dringend notwendigen Eingriff, sondern um eine bloße Untersuchung.

Folgeschäden und Verdienstausfall ebenfalls zu übernehmen

Neben dem Schmerzensgeld hatte der Kläger zudem die Feststellung beantragt, dass auch künftige materielle und nicht vorhersehbare immaterielle Schäden zu übernehmen sind. Angesichts der Schwere der Folgen sah das OLG das notwendige Feststellungsinteresse dafür gegeben. Das heißt, dem Arzt bzw. dessen Haftpflichtversicherung drohen in Zukunft weitere Forderungen.

Hinzu kam ein Verdienstausfallschaden aufgrund der Frühverrentung. Des Weiteren erhielt der Mann Schadensersatz für vermehrte Bedürfnisse aufgrund seiner nun notwendigen Pflege und Versorgung.

Auch die seinen Eltern entstandenen Fahrtkosten aufgrund ihrer Krankenhausbesuche waren von dem beklagten Arzt zu ersetzen. Denn die heilsame Wirkung von Krankenbesuchen ist anerkannt. Soweit es sich um Besuche naher Angehöriger handelt, sind die Fahrtkosten somit als Teil der vom Schädiger zu zahlenden Heilungskosten zu ersetzen. 

Nicht zuletzt musste der beklagte Arzt auch die Gerichtskosten und die dem Kläger entstandenen Anwaltskosten übernehmen.

(OLG Hamm, Urteil v. 03.09.2013, Az.: 26 U 85/12)

(GUE)

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