Aktuelles vom BAG zur Vergütung für Umkleide-, Wege- und Körperreinigungszeiten

  • 3 Minuten Lesezeit

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 23.4.2024 - 5 AZR 212/23 (Link zum Urteil)

💠 Leitsatz des BAG:
Körperreinigungszeiten gehören zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb nicht zugemutet werden kann.

🔷 Das BAG gibt die Grundsätze für vergütungspflichtige Arbeitszeit (§ 611a Abs. 2 BGB) wieder:

🔹Allgemein zur Vergütungspflicht: Zu der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung iSv. § 611a Abs. 1 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Gegenseitigkeitsverhältnis verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient.

🔹 zu innerbetrieblichen Umkleidezeiten: Um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt es sich regelmäßig bei dem An- und Ablegen einer vom Arbeitgeber vorgeschriebenen und nur im Betrieb zu tragenden Dienstkleidung. Das An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb und der damit verbundene Zeitaufwand des Arbeitnehmers beruhen auf der entsprechenden Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung. Das Umkleiden ist in diesem Fall ausschließlich fremdnützig. Daher schuldet der Arbeitgeber Vergütung für die durch den Arbeitnehmer hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit. 

🔹zu Wegezeiten zum Umkleideraum: Die Wegezeit vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz und zurück ist im konkreten Fall Teil der vom Arbeitgeber geschuldeten vergütungspflichtigen Arbeitszeit: Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Arbeitskleidung und der damit verbundene Zeitaufwand des Klägers – auch zum Aufsuchen des Umkleideraums – beruhen auf der Anweisung der Beklagten zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit. Der Kläger hat nicht die Möglichkeit, die Arbeitskleidung am Arbeitsplatz an- und abzulegen, sondern muss dafür den räumlich getrennten Umkleideraum aufsuchen. Der Weg, den der Kläger vom Umkleideraum zu seinem Arbeitsplatz und zurück zurücklegt, ist daher ausschließlich fremdnützig.

🔹 zu Körperreinigungszeiten, wobei deren Vergütungspflicht laut BAG einer differenzierten Beurteilung bedarf - u.a.: Nicht jede im Verlauf eines Arbeitstags auftretende Verschmutzung oder Verunreinigung „erfordert“ eine - dem Arbeitgeber zurechenbare - Körperreinigung. Dies gilt nur dann, wenn sie mit der eigentlichen Tätigkeit und der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Das ist er Fall, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung ohne anschließendes Duschen bei wertender Betrachtung nicht möglich erscheint und der gesamte Vorgang – arbeiten und duschen – deshalb fremdnützig ist. Für die Abgrenzung und Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls können öffentlich-rechtliche und arbeitsschutzrechtliche Vorschriften Orientierungshilfen bieten.

🔶 Das BAG befasst sich auch mit einem möglichen Ausschluss der Vergütungspflicht und verneint dies im konkreten Fall: 

🔸 Die Einordnung der Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten als Teil der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung iSv. § 611a Abs. 2 BGB schließt individual- oder kollektivrechtliche Regelungen nicht aus, nach denen die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit anders zu vergüten ist als die „eigentliche“ Tätigkeit. Dies umfasst auch den kompletten Ausschluss der Vergütung. 

🔸 Für Interessierte: Das BAG befasst sich auch mit der (hier eingreifenden) Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG ggü. Betriebsvereinbarungen, soweit sie den Ausschluss einer Vergütungspflicht für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten regeln sollten, da der entsprechende Tarifvertrag die entsprechenden Zeiten als vergütungspflichtig regelt und keine ergänzenden Regelungen durch Betriebsvereinbarungen zulässt.

🔳 Steht fest, dass Umkleide- und Körperreinigungszeiten auf Veranlassung des Arbeitgebers entstanden sind, kann aber der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- und Beweislast für den zeitlichen Umfang, in dem diese erforderlich waren, nicht in jeder Hinsicht genügen, hat das Gericht die erforderlichen Umkleide- und Körperreinigungszeiten nach § 287 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO bekanntermaßen zu schätzen. - Interessant sind etwa die Ausführungen des BAG in den Entscheidungsgründen zum erfolgten, aber vom BAG nicht abgesegneten "Selbstversuch" des Vorsitzenden Richters.

DR. ARTUR KÜHNEL

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Tel.: +49 40 34 80 99 0

E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de

Foto(s): pixabay

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Artur Kühnel

Beiträge zum Thema