Auch ohne Corona – wie lassen sich Grundrechte überhaupt einschränken?
- 5 Minuten Lesezeit
- Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat.
- Grundrechte haben entsprechende Schutzbereiche.
- Eingriffe in Grundrechte müssen insbesondere verhältnismäßig sein.
- Betroffene können sich mit einer Verfassungsbeschwerde wehren.
Durch die Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Coronainfektion spüren viele erstmals, wie stark der Staat in ihr Leben eingreifen kann. Vor allem um die Freiheitsgrundrechte mussten sich bislang nur Angeklagte sorgen. Was ist zu beachten, damit der Staat Grundrechte überhaupt einschränken kann?
Was sind überhaupt Grundrechte?
Grundrechte sind vor allem Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie schützen Menschen und Unternehmen vor staatlichen Eingriffen: also vor jedem staatlichen Handeln, das einem Einzelnen ein grundrechtsgeschütztes Verhalten ganz oder auch nur teilweise unmöglich macht. Der sogenannte Schutzbereich ist von Grundrecht zu Grundrecht verschieden. Zugleich binden die Grundrechte die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtsprechung. Die Grundrechte bilden zudem eine „objektive Wertordnung“ für alle Rechtsbereiche. Sie sind sozusagen Grundpfeiler für die gesamte Rechtsordnung.
Grundrechte existieren außer im Grundgesetz auch in den jeweiligen Landesverfassungen. Sie gelten soweit sie im Einklang mit den Grundrechten im Grundgesetz stehen.
Wann darf der Staat Grundrechte einschränken?
Der Staat kann Grundrechte, nur wenn das Grundgesetz es ausdrücklich erwähnt, durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes einschränken. Mit Gesetz ist ein Parlamentsgesetz gemeint, also insbesondere ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz, je nachdem zusammen mit dem Bundesrat oder auf Landesebene durch ein Landesparlament.
Von diesen grundrechtseinschränkenden Gesetzen gibt es einige, darunter das Infektionsschutzgesetz, auf das sich die aktuellen Beschränkungen stützen. Es ist ein Bundesgesetz, das die Bundesländer ausführen.
Aufgrund eines Gesetzes ermöglicht dagegen auch die Einschränkung durch eine untergesetzliche Rechtsnorm, also insbesondere eine Rechtsverordnung, die wiederum ein Parlamentsgesetz ermöglicht. Das Parlament muss die wesentlichen Entscheidungen jedoch selbst treffen. Diesen sogenannten Gesetzesvorbehalt beinhalten die meisten Grundrechtsartikel – jedoch nicht alle.
Mitunter lässt das Grundrecht die Einschränkung nur für bestimmte Zwecke zu. So etwa das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Grundgesetz. Es lässt sich beispielsweise zur Bekämpfung von Seuchengefahr einschränken.
Lassen sich Grundrechte einschränken, wenn kein Gesetz das zulässt?
Bestimmte Grundrechte beinhalten bereits selbst Beschränkungen, wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das nur friedliche Versammlungen ohne Waffen schützt.
Manche Grundrechte lassen sich nur aufgrund anderer Grundrechte einschränken. Dazu zählt etwa die Religionsfreiheit. Beim Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gibt es einen entscheidenden Unterschied. Versammeln sich Menschen nicht unter freiem Himmel, sind Einschränkungen nur über andere Grundrechte möglich - beispielsweise das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die Versammlungsfreiheit unter freiem Himmel lässt sich dagegen durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes einschränken, wie oben bereits erklärt.
Welche Grundrechte lassen sich nicht einschränken?
Das Grundrecht auf Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz lässt sich gar nicht einschränken: Der bekannte Satz „Die Menschenwürde ist unantastbar.“, macht das unmissverständlich klar.
Die Menschenwürde lässt sich auch nicht durch eine Grundgesetzänderung - quasi durch die Hintertür - aushebeln. Das verhindert Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz. Er erklärt eine Änderung des Grundgesetzes, die insbesondere die Grundsätze in Artikel 1 und Artikel 20 berührt, für unzulässig. Da helfen auch keine Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, die sonst für Grundgesetzänderungen erforderlich sind. Artikel 1 und Artikel 20 machen insbesondere Folgendes nochmals klar: "Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." und "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden."
Außerdem muss der Wesensgehalt der Grundrechte bei jeder Einschränkung erhalten bleiben. Damit gemeint ist ein unverletzbarer Kern, den jedes Grundrecht über die unantastbare Menschenwürde besitzt. Kein Grundrecht darf inhaltlich derart leerlaufen, dass es seine Schutzfunktion verliert.
Welche Einschränkungen gelten für die Einschränkung?
Einfach ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung genügt nicht für eine Grundrechtseinschränkung. Für jede Grundrechtseinschränkung gelten wiederum Einschränkungen. Sie sollen einen Missbrauch verhindern. Juristen bezeichnen diese als Schranken-Schranken und meinen damit Folgendes:
- Das Gesetz muss allgemein gelten. Gesetze für einzelne Personen oder nur einen Sachverhalt sind verfassungswidrig. Damit sind sogenannte Einzelfallgesetze, die sich gegen bestimmte Gruppen oder Sachverhalte richten, verboten.
- Die eingeschränkten Grundrechte müssen klar aus der sie einschränkenden Regelung hervorgehen. Die von der Einschränkung betroffenen Grundrechtsartikel sind einzeln zu nennen. Das verdeutlicht: Hier ist etwas ganz Wichtiges betroffen.
- Besonders deutlich wird das bei drohenden Strafen. Strafgesetze müssen deshalb so konkret formuliert sein, dass strafbare Handlungen und ihre strafrechtlichen Folgen erkennbar sind.
- Ermöglicht ein Gesetz den Erlass einschränkender Verordnungen durch Regierung und Verwaltung, muss es deren Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmen. Die Verordnung muss ihre Rechtsgrundlage nennen. Das Wesentliche muss jedoch weiterhin das Parlament entscheiden, die Verordnung darf nur Details ermöglichen.
- Die wichtigste Schranke ist die Verhältnismäßigkeit. Dazu muss das Gesetz vier Prüfungen bestehen:
- Legitimer Zweck: Das heißt, das mit der Einschränkung verfolgte Ziel muss mit dem Grundgesetz in Einklang stehen.
- Geeignetheit: Die Einschränkung muss das Erreichen des mit ihr verfolgten Ziels zumindest fördern.
- Erforderlichkeit: Es darf keine weniger einschneidende Maßnahme geben, mit dem sich das Ziel mindestens genauso gut erreichen lässt.
- Angemessenheit: Die Vorteile dürfen nicht außer Verhältnis zu den Nachteilen stehen. Alle betroffenen Interessen sind dabei zu berücksichtigen. Es muss also immer eine Abwägung stattfinden.
Dabei wird zunächst die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter bestimmt. Dann wird abgewägt zwischen dem Ausmaß der Gefährdung des zu schützenden Rechtsguts und der Schwere der Beeinträchtigung des Rechtsguts, in das eingegriffen wird. Wichtige Punkte sind dabei die Dauer, das Ausmaß und die Häufigkeit.
- Bei der Anwendung sind Gesetze entsprechend der Bedeutung der von ihnen eingeschränkten Grundrechte auszulegen. Die Grundrechte sind die Leitplanken.
Wie kann man gegen eine als ungerecht empfundene Grundrechtseinschränkung vorgehen?
Wer seine Grundrechte verletzt sieht, kann Verfassungsbeschwerde erheben. Je nachdem, wer die Einschränkung beschlossen hat, ist das Bundesverfassungsgericht oder ein Landesverfassungsgericht dafür zuständig.
Zuvor müssen Betroffene jedoch meist erfolglos über die anderen Gerichte gegen die Einschränkung vorgehen. Bei den derzeitigen coronakrisenbedingten Beschränkungen sind das besonders die Verwaltungsgerichte. Zudem muss die Begründung der Verfassungsbeschwerde hohe Anforderungen erfüllen, damit sie das Bundesverfassungsgericht annimmt. Dieser Beitrag geht näher auf diese besondere Beschwerde ein.
Weitere Informationen in Kampf gegen das Coronavirus: So kann der Staat die Grundrechte einschränken
(GUE)
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