Beschlüsse in der Erbengemeinschaft: Was müssen Sie wissen?

  • 6 Minuten Lesezeit

Von Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann*



I. Einführung: Strittige Rechtsfragen und Beispiele

In einer Erbengemeinschaft sind Entscheidungen oft umstritten. Häufig stellt sich die Frage, wie Beschlüsse gefasst werden und ob sie rechtlich bindend sind.

Ein typisches Beispiel: Ein Mitglied der Erbengemeinschaft möchte ein zum Nachlass gehörendes Ferienhaus verkaufen, während andere dagegen sind. Wie wird hier entschieden? Welche Mehrheiten sind erforderlich?

Ein weiteres Beispiel: Ein Erbe möchte einen Mietvertrag für ein Nachlassobjekt kündigen. Darf er das allein, oder braucht es die Zustimmung der Mehrheit oder aller Erben?


II. Die Rechtslage: Mehrheit und ordnungsgemäße Verwaltung

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht für die Verwaltung des Nachlasses drei Arten vor:

  1. Gemeinschaftliche Verwaltung (§ 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB): Hier müssen alle Miterben gemeinsam entscheiden.
  2. Mehrheitsverwaltung (§ 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB): Entscheidungen können mit Stimmenmehrheit getroffen werden.
  3. Notwendige Verwaltung (§ 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB): Maßnahmen, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich sind, müssen von allen Miterben mitgetragen werden.


III. Willensbildung innerhalb der Miterbengemeinschaft

1. Wie erfolgt die Nachlassverwaltung im Grundsatz?

  • Die Erben verwalten den Nachlass gemeinsam.
  • Für einfache Angelegenheiten reicht die Stimmenmehrheit.
  • Für wichtige Beschlüsse ist Einstimmigkeit erforderlich (§ 2038 Abs. 1 BGB). Dies ist in der Regel der Fall, wenn es um Verfügungen über den gesamten Nachlass geht. Besteht der Nachlass im Wesentlichen aus einer Immobilie, muss Einstimmigkeit herrschen (BGH, Urteil vom 28.9.2005, IV ZR 82/04).

2. Wer führt die Geschäfte einer Erbengemeinschaft?

  • Die Miterben einigen sich formlos auf eine Geschäftsführung, z.B. durch die Bevollmächtigung eines Miterben.
  • Abstimmung über die Geschäftsführung kann mündlich, schriftlich oder durch schlüssige Handlungen erfolgen. Stellvertretung ist möglich.

3. Wann ist ein Erbe bei der Beschlussfassung vom Stimmrecht aus-geschlossen?

  • Miterben, die bereits vollständig ausgezahlt wurden und nichts mehr zu bekommen haben, dürfen nicht mitstimmen.
  • Ein Miterbe ist von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn er in eigener Sache handelt oder es um ein Rechtsgeschäft zwischen ihm und der Erbengemeinschaft geht (§ 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG analog).

4. Was passiert mit dem Erbe, wenn die Erben keine Beschlüsse treffen?

  • Maßnahmen, die unter Verstoß gegen den Minderheitenschutz zustande kommen, sind im Außenverhältnis wirksam, aber der verantwortliche Miterbe kann schadenersatzpflichtig werden.
  • Fehlt ein Mehrheitsbeschluss, handeln die Beteiligten als Vertreter ohne Vertretungsmacht und haften persönlich (§§ 177 ff. BGB).


III. Typische Konfliktfälle in der Erbengemeinschaft 

1. Beispiel: Verkauf einer Nachlassimmobilie

Eine Erbin möchte ein zum Nachlass gehörendes Ferienhaus verkaufen. Die Mehrheit der Erben stimmt zu, aber einige sind dagegen. Ist der Verkauf rechtswirksam?

Rechtslage: Nach § 2038 Abs. 2 Satz 1 BGB können solche Maßnahmen mit Stimmenmehrheit beschlossen werden, wenn sie der ordnungsgemäßen Verwaltung dienen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Entscheidungen (BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04) betont, dass Verfügungen über Nachlassgegenstände Verwaltungsmaßnahmen sein können, die nicht zwingend die Zustimmung aller Erben erfordern, solange sie der ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechen.


2. Beispiel: Kündigung eines Mietvertrags

Ein Erbe möchte einen Mietvertrag für ein Nachlassobjekt kündigen. Einige Erben sind dagegen.

Rechtslage: Auch hier gilt das Mehrheitsprinzip. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Kündigung eines Mietvertrags als Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung mit Stimmenmehrheit beschlossen werden kann (BGH v. 28.4.2006 – LwZR 10/05).


3. Vergütung des Testamentsvollstreckers

Gemäß § 2221 BGB erhält der Testamentsvollstrecker eine „angemessene“ Vergütung. Da der Gesetzgeber keine genaue Höhe festgelegt hat, sollte der Erblasser im Testament die Vergütung klar definieren, um Streit zu vermeiden. Entweder legt der Erblasser unter Anlehnung an die Vergütungsmodalitäten nach der sogenannten "Neuen Rheinischen Tabelle" ein Pauschalhonorar fest oder er erlaubt dem Testamentsvollstrecker die Abrechnung eines aufwandsangemessenen Stundenhonorars.

Trifft der Erblasser keine Bestimmung über die Fälligkeit der Vergütung, so wird diese erst nach Beendigung der Tätigkeit des Testamentsvollstreckers in einer Summe fällig, §§ 2218, 666 BGB. Nur wenn der Testamentsvollstrecker mit dem oder den Erben eine gesonderte Vereinbarung trifft, ist er darüber hinaus berechtigt, Vorschüsse auf die zu erwartende Vergütung aus dem Nachlass zu entnehmen. Ohne eine entsprechende Vereinbarung mit dem oder den Erben ist der Testamentsvollstrecker nicht berechtigt, einen Vergütungsvorschuss aus dem Nachlass zu entnehmen. Die vorzeitige und unberechtigte Entnahme der Vergütung stellt als grobe Pflichtverletzung einen Entlassungsgrund dar.


IV. Streitigkeiten und Vermittlung

1. Vermittlung durch das Nachlassgericht

  • Bei Uneinigkeit können die Miterben beim Nachlassgericht einen Antrag auf Vermittlung stellen (§ 363 FamFG). Das Gericht soll eine gütliche Einigung herbeiführen.

2. Schiedsverfahren

  • Die Miterben können einen Schiedsvertrag schließen und einen Schiedsrichter berufen (§§ 1025 ff. ZPO). Dies ist eine teure, aber mögliche Lösung.

3. Effektive Streitlösung

Weder die Vermittlung durch das Nachlassgericht noch ein Schiedsverfahren sind immer sinnvolle Streitlösungsmechanismen. Schiedsverfahren sind teuer, und Nachlassgerichte sind oft überlastet und entscheiden zu spät. Auch Zivilgerichte, die oft über den notwendigen Sachverstand verfügen, entscheiden häufig sehr langsam und erst nach Jahren, es sei denn, es wird ausnahmsweise einstweiliger Rechtsschutz beantragt.

Empfehlenswerter ist es daher, sich in die Hände qualifizierter Rechtsberater zu begeben und darauf hinzuwirken, dass über Mediation oder Schlichtung durch neutrale Dritte eine Lösung gesucht wird. Solche Wege sind natürlich nur sinnvoll, wenn noch hinreichend Vertrauen zwischen den Beteiligten besteht, damit sich diese an freiwillig getroffene Absprachen halten


V. Praktische Fragen und Antworten

1. Wann gilt das Mehrheitsprinzip?

Das Mehrheitsprinzip gilt bei Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung. Das bedeutet, dass die Mehrheit der Erben Entscheidungen treffen kann, die notwendig sind, um den Nachlass zu verwalten, solange diese Maßnahmen nicht zu wesentlichen Veränderungen des Nachlasses führen. Beispiele sind Reparaturen am Nachlass oder die Vermietung eines Nachlassobjekts.


2. Was ist eine ordnungsgemäße Verwaltung?

Eine Maßnahme gilt als ordnungsgemäß, wenn sie der Beschaffenheit des Nachlasses entspricht und im Interesse aller Miterben liegt. Zum Beispiel: Die Vermietung eines Nachlassgrundstücks, um Einnahmen für die Gemeinschaft zu erzielen, wäre ordnungsgemäß.


3. Muss eine Maßnahme zusätzlich „erforderlich“ sein?

Die Frage, ob Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung zusätzlich „erforderlich“ sein müssen, ist umstritten. Die Rechtsprechung hat hier unterschiedliche Positionen eingenommen:

  • BGH (Bundesgerichtshof): In Entscheidungen wie BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04 wurde darauf hingewiesen, dass die Erforderlichkeit kein gesondertes Prüfungskriterium sein muss, solange die Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung entspricht.
  • OLG Schleswig: Das Oberlandesgericht Schleswig hat in einem Urteil klargestellt, dass das Kriterium der Erforderlichkeit nicht gesondert geprüft werden muss (OLG Schleswig v. 18.9.2014 – 3 U 82/13).


VI. Wie verhalten Sie sich in der Erbengemeinschaft?

  1. Prüfen Sie Maßnahmen auf Ordnungsgemäßheit: Eine Maßnahme ist ordnungsgemäß, wenn sie nützlich ist und keine wesentliche Veränderung des Nachlasses bewirkt. Beispiele sind notwendige Reparaturen oder Vermietungen.
  2. Mehrheit sicherstellen: Um Beschlüsse im Sinne der Mehrheit zu fassen, sollten Sie im Vorfeld mit den anderen Miterben kommunizieren und versuchen, eine Mehrheit für Ihre Position zu gewinnen.
  3. Verhindern Sie ungewollte Beschlüsse: Falls Sie mit einer geplanten Maßnahme nicht einverstanden sind, prüfen Sie, ob sie eine wesentliche Veränderung des Nachlasses darstellt. In diesem Fall können Sie argumentieren, dass Einstimmigkeit erforderlich ist.
  4. Rechtzeitig widersprechen: Wenn Sie Beschlüsse verhindern wollen, müssen Sie rechtzeitig widersprechen und gegebenenfalls gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen.


VIII. Fazit: Klare Kommunikation und rechtliche Klarheit

In einer Erbengemeinschaft ist es entscheidend, Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung von wesentlichen Veränderungen zu unterscheiden. Die Mehrheit kann ordnungsgemäße Maßnahmen beschließen, solange sie keine wesentlichen Veränderungen des Nachlasses bewirken. Für Erben bedeutet das: Kommunizieren Sie klar, sichern Sie Mehrheiten und wehren Sie sich rechtzeitig gegen ungewollte Beschlüsse. Im Zweifelsfall sollte qualifizierter rechtlicher Rat eingeholt werden.

Mit diesen Grundsätzen können Sie sicherstellen, dass die Verwaltung des Nachlasses in Ihrem Sinne erfolgt.




* Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann ist Gründungspartner von LFR Wirtschaftsanwälte München, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie für gewerblichen Rechtsschutz, zertifizierter Wirtschaftsmediator (IHK) und systemischer Business Coach (IHK). Er berät laufend Testamentsvollstrecker, und Erben im Zusammenhang mit Streitigkeiten in Erbengemeinschaften


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Foto(s): https://unsplash.com/de/fotos/menschen-die-tagsuber-auf-einem-stuhl-vor-dem-tisch-sitzen-und-stifte-halten-KdeqA3aTnBY

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